Anhörung zur Vorratsdatenspeicherung beim EuGH: Gordischer Argumentationsknoten

Außer Kontrolle

Bei der Anhörung zur Vorratsdatenspeicherung vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verheddern sich die Befürworter in der selbstgestrickten Falle.

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Das Portal "Netzpolitik.org" hat Interessierten einen Liveticker zur Anhörung beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) bezüglich der Vorratsdatenspeicherung (VDS), die nun auch als Mindestspeicherfrist bezeichnet wird, zur Verfügung gestellt.

Auch wenn derzeit noch die Schlussplädoyers anstehen, so wird bereits eines deutlich: diejenigen, die die VDS eindeutig befürworten, sind in Zugzwang geraten. Nicht nur die derzeitigen "Affären" rund um die Abhörprogramme Prism und Tempora tragen dazu bei, dass die Richter ungewöhnlich scharf nachfragen, was auch schon durch den Fragenkatalog, den die Richter aussandten, deutlich wurde. Insbsondere auch die Wahl der Rechtsgrundlage ist ein Aspekt, der den Richtern wichtig ist – und hierbei machten einige Befragte keine gute Figur. Einfach gesagt verheddern sie sich in der selbst gestrickten Falle, die die Richtlinie in der derzeitigen Form ermöglichte, und die von den Befürwortern als cleverer Schachzug angesehen wurde.

Schlängelkurs zur VDS

Um dies zu verstehen, muss man noch einmal zurückblicken auf die Entwicklung der VDS vor der Richtlinie. Zwar gab es Länder, die schon ähnliche Regelungen verabschiedet hatten, doch beispielsweise Deutschland erlebte immer wieder, dass der Bundestag den Schlagbaum herunterließ bevor die VDS hindurchmarschieren konnte. Gerade auch die deutschen Befürworter, besonders hervorzuheben sei hier die nun als Verbraucherschutz-Kompetenz-Koriphäe von Peer Steinbrück geadelte Brigitte Zypries, taten alles um die VDS, wenn schon nicht auf dem Direktweg, dann doch über Umwege in Deutschland durchzusetzen. Dabei war man auf diesem Umweg bereits einmal gescheitert – die EU hatte zwar die VDS erlaubt, sie jedoch nicht vorgeschrieben. Die Entscheidung, ob eine VDS nun eingeführt werden würde, blieb insofern bei den einzelnen Ländern – und in Deutschland entschied man sich dagegen. Doch die VDS-Befürworter gaben nicht auf und setzten nunmehr darauf, dass die VDS verbindlich für die Länder vorgeschrieben werden sollte. 2005 war es dann soweit – das EU-Parlament segnete die VDS ab und beschloss, seinen Entschluss noch als Sieg für die Bürgerrechte zu verkaufen. Immerhin, so die Logik dahinter, hätte der Ministerrat ja für weitreichende Speicherungmöglichkeiten plädiert, das EU-Parlament habe aber das Schlimmste verhindern können.

Kaum war also die offizielle Zwangs-Richtlinie erreicht worden, setzte man in Deutschland alles daran, nun mit der Begründung, man müsse ja die Richtlinie umsetzen, die VDS auch hier durchzusetzen, was ja auch gelang.

Doch bereits bei der EU-Richtlinie war deutlich geworden, dass es keine Mehrheiten geben würde, setzte man auf entsprechende Rechtsgrundlagen im Bereich der Inneren Sicherheit. Ein Kniff musste also her – und der fand sich im Bereich Harmonisierung des Binnenmarktes. Die Länder, so der Tenor, würden doch sowieso schon speichern, es wäre jetzt nur wichtig, dies zu harmonisieren. Dieser Kniff machte es dann auch möglich, dass die Grundrechtseingriffe weniger wichtig bewertet werden konnten. Einfach gesagt: Hey, hier geht es doch nur noch um ein paar Begrenzungen und Harmonisierungen, der Rest ist doch sowieso schon abgesegnet, da müssen wir uns nicht wirklich mit solchen Dingen wie Datenschutz und Co. befassen.

Damit dieses Argument "zieht", ist es aber notwendig, dass die Länder nicht erst durch die Richtlinie in Zugzwang gesetzt worden sind, was die Durchsetzung der VDS angeht und tatsächlich eine Harmonisierung eingetreten ist. Dass dem nicht so ist, hat bereits 2011 der österreichische Journalist und Bürgerrechtler Erich Möchel erläutert.

Somit liegt es nun an den Apologeten der VDS zu erklären, wieso gerade diese Rechtsgrundlage gewählt wurde – und sieht man sich die Beobachtungen im Liveticker an, so wird deutlich, dass sie hierbei ins Schwimmen geraten.

12:09 Richternachfrage:
Wegen der Wahl der Rechtsgrundlage konnten keine detaillierteren Regelungen getroffen werden?
Antwort: Ja.
Richternachfrage:
Die Grundrechtskonformität hängt also von der Wahl der Rechtsgrundlage ab?
Antwort: Nein
Richternachfrage:
Stellen Sie sich vor sie hätten eine andere Rechtsgrundlage gewählt, müsste die Richtlinie dann Grundrechtskonform sein?
Antwort: Ja
Richternachfrage:
Aber dann stellt sich doch die Frage ob die Wahl der Rechtsgrundlage nicht abhängig von der möglichen Grundrechtskonformität zu treffen ist?
Antwort: Ja aber das geht mit Binnenmarkt-Regelungen nicht, so einen Grundrechtsschutz mit zu regeln.
Richternachfrage:
Ich Frage schlicht und ergreifend ob das ihr Rechtsstandpunkt ist? Ja oder Nein?
Antwort: Natürlich sollten Grundrechte geschützt werden. Aber für Binnenmarktregelungen kann so eine große Regelung mit Hinblick auf Grundrechte nicht getroffen werden. [/b]
Dahinter steckt die Frage, ob bei einer Richtlinie, die derart stark in die Bereiche Datenschutz und Privatsphäre (ergo: Menschenrecht) eingreift, nicht automatisch eine Rechtsgrundlage gewählt werden muss, die hohe Ansprüche an Grundrechtskonformität stellt. Die Hartnäckigkeit der Richter deutet darauf hin, dass sie eher zu einem "ja" in dieser Frage tendieren. Für die Befragten in diesem Bereich ergibt sich damit ein Problem: wenn die Wahl der Rechtsgrundlage wirklich nur deshalb erfolgte weil ja sowieso schon die Länder speicherten, müsste nachgewiesen werden, wieso dann nach der "Harmonisierung" weiterhin ein "Flickwerk aus Speicherfristen und -arten" besteht und wieso dann in den einzelnen Ländern weiterhin so weitreichende Ablehnung gegenüber der VDS zu finden ist (wäre dem nicht so, gäbe es diese Anhörung nicht). Würde man aber zugeben, dass die Länder eben nicht "alle sowieso schon speicherten", so wäre die Frage, wieso dann eben diese Form der Rechtsgrundlage gewählt wurde, die die Grundrechtskonformität eher stiefmütterlich behandelt.
Die Befürworter haben also die Wahl, entweder als Trickser dazustehen, die über Bande Grundrechte eher als Nebensache behandelt haben; oder als diejenigen, die eine Richtlinie mit vorangebracht haben, deren Sinn und Zweck verfehlt wurde, was dann die Frage aufwirft, was die Richtlinie überhaupt bringen soll. Entweder die Länder speichern sowieso, dann ist die Richtlinie nicht notwendig, oder die Länder speichern eben nicht sowieso, dann müsste eine Regelung getroffen werden, die hinreichend auch auf Aspekte wie Datenschutz... eingeht. Wie sich bei der Anhörung zeigte, haben sich die VDS-Befürworter in eben dieser selbstgestrickten Falle hoffnungslos verheddert; was letztendlich der EuGH dazu sagen bzw. wie er urteilen wird, wird sich erst in einigen Monaten zeigen, doch schon jetzt ist klar, dass die VDS-Freunde keine gute Figur gemacht haben.