Wenn Jerusalem Berlin wäre

Einseitige Berichterstattung und Änderungen in der Realpolitik: Ist die Beziehung zu Israel abgekühlt?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

"Am Mittag schlägt auf dem Breitscheidplatz ein Flugkörper ein. Bei einem anderen Bombentreffer in Tiergarten sterben drei Menschen, und Schloss Sanssouci in Potsdam wird sogar von elf Raketen getroffen. Das ist Krieg, sagen Sie? Dann wissen Sie, wie sich die Menschen in Israel schon seit sechs Tagen fühlen."

Diesem Text hat die BZ eine Graphik vorangestellt, in der die geographischen Verhältnisse zwischen Gaza und Israel maßstabsgetreu nach Berlin/Brandenburg verlegt wurden.

Jerusalem wäre dann das Örtchen Hönow bei Berlin und Tel Aviv Birkenwerder in Brandenburg. Raketeneinschläge gäbe es in den Stadtteilen Prenzlauer Berg genau so wie in Zehlendorf und Steglitz. Tatsächlich wird in der Boulevardzeitung sehr anschaulich ein Aspekt verdeutlicht, der in der aktuellen Berichterstattung über den neuesten Nahostkonflikt oft untergeht: der Raketenbeschuss von Gaza auf israelisches Gebiet. Dabei geht es auch um die Frage, wann der neuste Nahostkrieg begonnen hat. Mit der Tötung des Hamas-Militärchefs, wie es die arabische Welt unisono behauptet, um Israel als alleinigen Aggressor hinzustellen? Die israelische Seite weist hingegen darauf hin, dass die Tötung des Militärchefs eine Antwort auf den sich verstärkenden Raketenbeschuss gewesen ist.

Die israelische Regierung steht bei der Bevölkerung unter Druck, endlich dafür zu sorgen, dass diese Raketenangriffe eingestellt werden. Schließlich haben führende israelische Politiker recht mit ihrer Erklärung, dass keine Regierung der Welt zusehen würde, wie ihre Bevölkerung und ihr Territorium diesen Angriffen ausgesetzt wird.

Wie "Bild" den Deutschen 1967 Israel erklärt hat

Der Vergleich zwischen Jerusalem und Berlin hat historischen Vorläufer. Während des 6-Tage-Krieges 1967 war er vor allem von der Springerpresse bemüht worden. Im letzten Jahr setzte sich eine Ausstellung im Jüdischen Museum in Frankfurt/Main über Axel Springer und die Juden kritisch mit der Art und Weise auseinander, wie "Bild" den Deutschen damals den Nahostkonflikt erklärte hatte.

Dort war auch eine Polemik des früheren Spiegel-Kommentators Otto Köhler dokumentiert, der die damalige Israel-Begeisterung nicht nur im Hause Springer als Blaupause zur Lösung der deutschen Frage interpretierte:

"Was läge näher, als das israelische Blitzsieg-Rezept auf das Jerusalem des allernächsten Ostens anzuwenden und auch dort durch Vormarsch den Frieden zu retten."

Die "Welt" jedenfalls findet angesichts des wiedervereinigten Jerusalems spontan: "Man muss unwillkürlich an Berlin denken." "Bild" erläutert für alle, die zu langsam begreifen: "Unsere Araber", das sind: "Ulbrichts Volksarmee oder die Tschechen oder die Polen oder alle drei", schreibt Köhler.

Heute, wo die deutsche Frage nicht mehr offen ist, ist auch die Liebe zu Israel in Deutschland abgekühlt. Mag die Bundesregierung auch rhetorisch auf Seiten Israels stehen, was vom derzeit wieder vielgefragten Nahostexperten Michaels Lüders als einseitige Parteinahme beklagt wird, die Realpolitik sieht anders aus.

Da werden der Türkei die Patriot-Raketen an der Grenze zu Syrien geradezu aufgedrängt. Dabei ist der türkische Ministerpräsident Erdogan nicht nur für den Konflikt an der syrischen Grenze wesentlich mitverantwortlich. Zurzeit profiliert er sich im neuesten Nahostkonflikt als Scharfmacher, bezeichnet Israel als terroristischen Staat und wirft ihm ethnische Säuberungen vor. Wenn Erdogan erklärt, dass Israel begreifen müsse, dass sich der Nahe Osten heute geändert hat, kann das in Tel Avis durchaus als Drohung verstanden werden. Für die Bundesregierung sind solche Töne allerdings kein Grund, die Lieferung von Patriot-Raketen auch nur zu überdenken. So weit geht die Solidarität mit Israel dann doch nicht.