Wikileaks: Das Internet schlägt zurück

Wikileaks ruft mit Erfolg Internetnutzer zur Einrichtung von Mirror-Seiten auf, die Piratenparteien unterstützen Wikileaks und andere Whistleblower-Plattformen auch technisch

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Wikileaks greift auf die Möglichkeit des Internet zurück, Informationen durch massenhafte Verbreitung der Zensur und der Löschung zu entziehen. Nachdem EveryDNS die Domain wikileaks.ch in ihren DNS-Servern gelöscht hatte, PayPal die Überweisungen von Spenden unterbindet und der US-Onlinehändler Amazon Wikileaks von seinen Servern sperrte, hat man sich an die Internetnutzer gewandt und zum massenhaften Herunterladen der Dateien und zur Einrichtung von Mirror-Seiten aufgerufen. Wikileaks droht auch über seinen Anwalt Mark Stephens damit, Materialien zu veröffentlichen, die "thermonuklear" seien, falls sich die Organisation schützen müsse.

Jeffrey T. Kuhner fordert in einem von der rechten Zeitung The Washington Times veröffentlichten Kommentar: Assassinate Assange.

Mittlerweile haben Hunderte die Daten heruntergeladen oder eine Umleitung zu http://213.251.145.96 angelegt. Auf savewikileaks.net/another-wikileaks-address findet man nun selbst dann die Wikileaks-Informationen, wenn diese auch noch von den Servern von Wikileaks gelöscht würden. Nun könnte wohl nur eine gezielte internationale Aktion für das Verschwinden sorgen, was aber eine globale Einheit der Interessen voraussetzen würde, die auch für vorhersehbare Zeit nicht herstellbar sein dürfte. Allerdings ist die Situation wohl nicht stabil. Die Website berichtete heute um 00:35 Uhr mittels einer automatischen Überprüfung vom Stand der Mirror-Seiten: Good: 166 Outdated: 329 Down: 296 Total: 791. Wikileaks spricht von 208 Mirror-Seiten.

Allerdings scheint sich die US-Regierung vorneherum mittlerweile lässig zu geben, aber im Hintergrund doch starken Druck auszuüben. So hat der US-Botschafter Donald Beyer in der Schweiz in der Zeitschrift "Der Sonntag" gewarnt, Wikileaks-Gründer Julian Assange Asyl zu gewähren: "Die Schweiz wird sehr sorgfältig überlegen müssen, ob sie jemanden, der vor der Justiz flüchtet, Unterschlupf gewähren möchte." Der frühere schweizerische Geheimdienstchef Peter Regli hält es durchaus für möglich, dass an Assange ein abschreckendes Beispiel vollstreckt werden könnte: "Ich wäre nicht überrascht, wenn er plötzlich Opfer eines Autounfalls, von einem U-Bahn-Steig auf die Gleise stürzen oder an einem 'Herzinfarkt' sterben würde."

"It's not wrong to lie, cheat, steal, corrupt, and torture. It's wrong to let people know about it", wird auf Twitter kommuniziert.

Dass EveryDNS wikileaks.org gesperrt hat, weil es zu zahlreichen DDoS-Angriffen gekommen sei, lässt sich zwar nicht ohne weiteres widerlegen, ist aber nach Aussagen der Schweizer Piraten unwahrscheinlich. Die haben seit Freitag den Zugang zur Wikileaks-Website über wikileaks.ch ermöglicht, berichten aber, dass sie noch "keinerlei Anzeichen von Hacker-Attacken feststellen" konnten. Andererseits hatte auch Wikileaks selbst von solchen Angriffen gesprochen. Feststellen konnten sie hingegen, dass EveryDNS auch die Domain wikileaks.ch sperrte, weswegen die Schweizer Piraten zu der Schweizer Domainregistrationsstelle Switch gewechselt sind, wo ihnen versichert wurde, dass eine Abschaltung nicht drohen würde, wenn dies nicht ein Schweizer Gericht verfügt.

Zumindest ein Teil der Daten von Wikileaks wird von dem schwedischen Provider Bahnhof in einem Bunker gehostet. Dessen Chef John Karlung erklärte, dass in Schweden schwedische Gesetze gelten, keine amerikanischen oder chinesischen. Wikileaks sei nur ein Kunde wie jeder andere. Die US-Regierung habe sich noch nicht an ihn gewandt, er würde die Daten aber auch nicht löschen, wenn dies geschehen sollte.

Im Augenblick leitet Bahnhof Anfragen auf http://88.80.13.160 auf http://213.251.145.96 bei dem französischen Provider OVH weiter, wohin Wikileaks nach dem Herauswurf durch Amazon gezogen ist. OVH hat vorerst trotz des Drucks der französischen Regierung erklärt, dass es weder die Angelegenheit der Politik noch von OVH sei, Wikileaks vom Netz zu nehmen. Das müssten die Gerichte entscheiden.

"The first serious infowar is now engaged. The field of battle is WikiLeaks. You are the troops", so Altinternetpionier und EFF-Mitglied John Perry Barlow auf Twitter.

Die Piratenparteien machen nun den Fall Wikileaks zu dem ihren. Tatsächlich passt die Verteidigung von Wikileaks genau ins politische Profil der digitalen Freibeuter. So gaben die "Piratenparteien aus der ganzen Welt" gestern bekannt, dass sie "Whistleblower-Plattformen" unterstützen und "aufgrund von dringender Besorgnis um die Informations-, Meinungs- und Pressefreiheit" in einer "Gemeinschaftsaktion" dafür sorgen wollen, "dass Wikileaks auf internationaler und mehrfach gespiegelter Infrastruktur verfügbar bleibt". Betont wird freilich, dass man damit nicht nur Wikileaks unterstützen will, so Daniel Flachshaar aus dem Bundesvorstand der deutschen Piratenpartei: "Wir werden diese Plattform jedem zur Verfügung stellen, der als Whistleblower seine Information gelöscht oder geblockt sieht."

Wie es weitergeht, wird vermutlich erst einmal auch zwischen Großbritannien und Schweden entschieden werden. Mit einer angeblich fragwürdigen Klage hat Schweden einen Red Alert durch Interpol erwirkt. Das ist kein Haftbefehl, sondern der Angeklagte soll aufgespürt und festgenommen werden, um ihn zu befragen. Zunächst hatte die schwedische Staatsanwältin formelle Fehler gemacht, die scheinen nun korrigiert zu sein. Die britische Polizei kennt angeblich den Aufenthaltsort von Assange, was auch nicht verwunderlich wäre. Assange selbst sagt, er würde sich auch gar nicht verstecken. Die schwedische Staatsanwaltschaft könne ihn auch erreichen und befragen. Ausliefern an die USA werde man ihn nicht, versichert derweilen die Staatsanwältin. Der Vergewaltigungsvorwurf könnte auch eine schwedische Eigenart sein. Es heißt, Assange habe beim einverständigen Sex mit den beiden Frauen nur kein Kondom benutzen wollen.

Vorerst könnten sich die Schwierigkeiten häufen, weiter an die für Wikileaks überlebenswichtigen Spendengelder zu gelangen. So will die Schweizer Postfinance ein Konto von Assange überprüfen, das Julian Assange Defence Fund heißt. Zum Problem könnte der Wohnsitz werden. Assange hatte zur Kontoeröffnung Genf als Wohnsitz genannt. Man sei sich nicht sicher, ob dies zutrifft. Wenn es politisch und ideologisch nicht passt, werden plötzlich auch die Schweizer Banken kritisch.