Kriminalakten: Die bayerische Polizei sammelt besonders eifrig...

und begünstigt damit Vorverurteilungen. Daten von 1,7 Millionen Bürgern sind im Kriminalaktennachweis

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Der Eifer des behördlichen bayerischen Sicherheitsheitsapparates ist ein großer. Bisweilen so groß, dass er unweigerlich mit Gesetzen zum Schutz des Individuums kollidiert. Zum Beispiel, wenn es um das Recht auf körperliche Unversehrheit geht ( Unbotmäßige Gewalt durch Polizisten) oder um Freiheitsrechte, wie der Fall Mollath zeigt ( "Wenn das stimmt, dann ist das kein Rechtsstaat, dann haben wir einen Archipel Gulag"), um die Unabhängigkeit von Zeitungsredaktionen oder Fernsehredaktionen oder wenn es, wie beim Staatstrojaner, um Vorgaben des Datenschutzes und der Verfassung geht, die von der Opposition angemahnt und vom Innenministerium kaum zur Kenntnis genommen werden ( Herrmann will Staatstrojaner bald wieder einsetzen).

Zu diesen Nachrichten der Liberalitas Bavariae zu Anfang des 21. Jahrhunderts gesellt sich nun ein neuer Hinweis auf den Fleiß der Exekutive im südlichen Freistaat. Demnach sammelt die bayerische Polizei besonders viele Daten im Kriminalaktennachweis (KAN), die aktenkundigen Einträge geben dabei nicht immer nur Auskunft über Verfahren und Urteile der jeweiligen Person, sondern auch "bloße Verdachtsmomente".

Laut bayerischem Innenministerium finden sich 1.733.745 Bürger und Bürgerinnen in der KAN-Datei. Das ist laut bayerischem Datenschutzbeauftragten Thomas Petri etwa ein gutes Drittel aller bundesdeutschen Kriminalakten (insgesamt 4,6 bis 4,7 Millionen).

Petri hatte in einer Sendung des Bayerischen Rundfunks Mitte März auf die "Datensammelwut der Polizei im Freistaat" aufmerksam gemacht. Angesprochen wurde dabei auch das Problem, dass Einträge selbst bei "Verfahrenseinstellungen oder Freisprüchen" in der Regel in der Datei bleiben. Eine Nachziehklausel soll demnach zur Konsequenz haben, "dass ältere Einträge gespeichert blieben, sobald ein neuer hinzukomme". Die Effekte solcher Akten liegen auf der Hand: Der Blick auf die Person ist voreingenommen.

Die Grünen, die aufgrund der Schätzung des bayerischen Datenschutzbeauftragten in der BR-Sendung, eine parlamentarische Anfrage an Innenminister Hermann richteten und die oben genannten Zahl zur Antwort erhielten, sprechen von einer "Stigmatisierung". Eine Vielzahl der Personen, über die Einträge in der KAN-Datei gespeichert sind, laufe "Gefahr, bei möglichen Konflikten mit Behörden vorverurteilt zu werden", so die innenpolitische Sprecherin der Landtagsgrünen, Susanna Tausendfreund, die bereits bei der Affäre um den LKA-Trojaner gegen die grenzwertige Ermittlungsarbeit der bayerischen Behörden protestierte ( Austesten was geht).

Sie fordert nun eine Überprüfung der Kriterien, die einen KAN-Eintrag rechtfertigen, sowie auch der Speicherfristen. Einträge, die auf Verdacht hin getätigt wurden, sollten gelöscht werden, ebenso wie die Einträge von Verfahren, die zu einem Freispruch geführt haben. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Aber besonders in Bayern wohl nicht. Eine Erklärung des Innenministers, die solchen Forderungen in allem nachkommen würde, wäre eine Überraschung; Zweifel daran, ob das auch in der Praxis so gehandhabt würde, blieben trotzdem.

Im Übrigen sind die KAN-Einträge nicht nur für polizeiliche Ermittlungen/Kontrollen interessant. Laut Informationen des Bayerischen Rundfunks kann die Polizei über Amtshilfe die Daten "jederzeit an andere anfragende Behörden herausgeben."