Das hässliche Gesicht der CDU - und das wahre

Stilfragen und Politik: Roland Kochs Rückzug wirft die CDU ins optische Nirgendwo und erregt die Kommentatoren

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Roland Koch war das hässliche Gesicht der CDU. Anti-Ausländerkampagnen, Lügen, Affären, ungestillter Ehrgeiz, ein Hardliner, der seine Macht schamlos für niedere Zwecke nutzte - all das drückte sich auch physiognomisch aus. Und es war wahrscheinlich genau diese Übereinstimmung von Innen und Außen, die sowohl Kochs Erfolg ausmachte, als auch letztendlich sein Scheitern bewirkte.

"Alle wissen: Das Auge wählt mit", schreibt Ulf Poschardt in der Welt. Nur die CDU weiß es offenbar nicht. Wie sonst sei zu erklären, dass einer wie Volker Bouffier ernsthaft zum Nachfolger von Roland Koch auserkoren werden kann?

Die Physiognomie der CDU erlebe "eine Regression ins Unzeitgemäße", so Poschardt. Er klagt, Angela Merkel habe die Partei zwar postmodernisiert, aber: "Gemeinhin geht das mit einer Ästhetisierung Hand in Hand. Dem Kerngebot der Postmoderne, bei allem möglichst gut auszusehen, kommt die Union im Augenblick weniger nach als alle anderen Parteien."

Vor allem fühlt sich Poschardt durch den Look des designierten Koch-Nachfolgers, des sechs Jahre älteren Volker Bouffier provoziert:

"Bouffier scheint durch einen Riss im Zeitkontinuum in einer Parallelwelt zu leben. Sein Look verrät die Sehnsucht nach einer Zeit, in der Alfred Dregger noch im hessischen Landtag saß. Dregger selbst wie auch sein stahlgrauer Nachfolger im Geiste, Manfred Kanther, waren jedoch weitgehend tadellos gekleidete und gekämmte Erscheinungen. ... Bouffiers Frisur, seine Art, sich zu kleiden, provoziert auch wohlmeinende Zeitgenossen und lässt selbst ideologisch verstaubte Sozialdemokratinnen wie Andrea Ypsilanti automatisch frisch erscheinen."

Koch immerhin scherzte noch über "meine dicken Lippen". Für andere Unionsvertreter gälte nur: "Sie diffundieren mit ihrer Blässe ins Nichts" und verkörperten das Klischee der gegenwartsfernen JUler par excellence. "Sie nähren Vorurteile, ohne es zu wollen."

Die CDU ist blutleer

Lassen wir dahingestellt, ob sie das womöglich zu Recht tun, ob das Äußere nicht vielleicht doch auch ein Spiegel innerer Wahrheit ist - denken wir nur an Guido Westerwelle, Sigmar Gabriel oder Claudia Roth, die in etwa so Politik machen, wie sie aussehen - Poschardts Verweis auf Konservative anderer Länder hat Gewicht:

"Von Barack Obama über Nicolas Sarkozy bis David Cameron und Nick Clegg reicht das Panorama jener zeitgenössischen Ansehnlichkeit, denen die Politiker der Union wie Karikaturen gegenüberstehen. In Großbritannien haben Tories wie Boris Johnson, der als Bürgermeister von London Punkfrisur und Maßanzug kombiniert und damit Herz und Verstand der Wähler erreicht, längst die Stilhoheit von Popstars erreicht."

Ein weiterer wichtiger Punkt ist Poschardt Erinnerung an Merkel-Ziehvater Helmut Kohl, dem man ja auch sehr zu Recht oft seine ästhetischen Defizite vorgehalten hatte - "die Gestalt gewordene Trivialität, ... eine Art Refrain auf den Durchschnittstypus einer westdeutschen Kleinstadt ... In Dr. Helmut Kohl drückte sich die Unfähigkeit der ganzen Gesellschaft zur Infragestellung überkommener Glaubensinhalte aus", schrieb etwa der Ästhet Karl Heinz Bohrer -, aber: "Kohl holte von Weizsäcker, Geißler, Biedenkopf und Roman Herzog. Egal wie zerstritten er mit all diesen Figuren heute ist, entscheidend war, dass er ihnen in der CDU eine Heimat bot und sie förderte. Von der Erscheinung eines Richard von Weizsäcker hat die Union heute niemand mehr zu bieten. Selbst die physiognomische Exotik eines Franz-Josef Strauß scheint der Partei weit entrückt. Der phänomenologische Korridor der Volkspartei wird schmaler, normierter." Die CDU ist blutleer, so der aktuelle Stand.

Die Merkel-CDU ist ostdeutsch geworden

Der angekündigte Rückzug des hessischen Ministerpräsidenten stürzt aber noch andere CDU-nahe Teile der Medien in eine geistige Krise. "Was hatten wir an Roland Koch?", fragt etwa Jürgen Kaube in der FAZ und antwortet wie Poschardt auf der - eben sehr wohl politischen - Ebene der Stilfragen:

"Koch war ein Politiker, der nicht peinlich wirkte. Zu Unangenehmem entschlossen, aber nicht peinlich. Er war zum Beispiel vorbereitet, wenn er irgendwo auftrat. Und wach. Er erzählte zum Beispiel keine schlechten Witze, um sich ranzuschmeißen. Gute Stimmung war ihm nicht so wichtig. Er tat nie, als wäre ihm Macht unangenehm, als wäre Macht ein leidiger Konstruktionsfehler von Demokratie."

Und Kaube weiter: "Sind wir wirklich schon zu sehr ein Volk von "Wetten, dass . . ?"- und "Sportschau"-Zuschauern, um das nicht mehr respektieren zu können? Hat uns der öffentlich-rechtliche Politbarometer-Schwachsinn um das Gespür für Intelligenz und Form gebracht?"

Was bleibt der CDU nach Koch? "Bleibt Angela Merkel samt dem wartenden Wulff also die programmatische Leere im Zentrum, der Umgehungsstil, die Allergie gegen Worte wie 'konservativ', die etwas festlegen oder etwas ausschließen könnten."

Was dabei dann allerdings übersehen wird: Vielleicht ist die CDU einfach zu einem Wurmfortsatz von Angela Merkel geworden, formlos, quallig, ästhetisch desinteressiert. Die Merkel-CDU hat aus der Indifferenz ihre Form gemacht. Sie ist ostdeutsch geworden - angepasst und nett, verdruckst und spießig, ehrgeizig und kühl kalkulierend, Positionen vermeidend und gerade damit noch relativ erfolgreich.

Wie lange sie das sein wird, ohne Koch, mit einem entmannten Rüttgers, einem ebenfalls untoten Peter Müller, ist eine andere Frage. Ob die schwarzgrünen Ole von Beust und Norbert Röttgen nach dem Ende des "Anden-Pakts" die Hoffnung verkörpern, muss man ebenso bezweifeln, wie der schnappige Mappus, der jetzt schon älter aussieht, als er ist und viel zu viel schwäbelt, um bundestauglich zu sein.

Wer sonst? Ursula von der Leyen? Oder doch Guttenberg? Man beginnt langsam, Mitleid zu bekommen mit den Christdemokraten.