Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft wegen bürokratischer Hürden

Weil zahlreiche deutsche Staatsbürger ihren Pass verlieren könnten, ist die Optionspflicht im deutschen Staatsbürgerschaftsrecht wieder in der Diskussion

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Tausenden in Deutschland lebender Menschen meist türkischer Herkunft droht der Verlust ihrer deutschen Staatsbürgerschaft. Dass sind die Konsequenzen eines vor 13 Jahren beschlossenen viel kritisierten Gesetzes, das schon damals niemand wirklich verteidigte: die Optionsregelung im deutschen Staatsbürgerschaftsrecht. Dort heißt es in §29:

"Wer die deutsche Staatsangehörigkeit nach dem Geburtsortsprinzip (§ 4 Abs. 3 StAG) oder durch Einbürgerung nach § 40 b StAG erhalten hat, muss mit Beginn der Volljährigkeit und spätestens bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres erklären, ob er die deutsche oder die andere Staatsangehörigkeit behalten will."

Eigentlich wollte die damals frisch ins Amt gewählte rotgrüne Bundesregierung mit der Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft das verstaubte und sowohl aus menschenrechtspolitischen als auch aus ökonomischen Gründen anachronistische deutsche Staatsbürgerschaftsrecht modernisieren. Dagegen machten konservative und rechtspopulistische Strömungen mobil.

Der hessische CDU-Politiker Roland Koch, setzte sich vor der damaligen Landtagswahl in seinem Bundesland mit einer Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft an die Spitze der rechten Gegenmobilisierung. Nachdem er damit die Landtagswahl gewonnen hatte, suchte die rotgrüne Bundesregierung einen Kompromiss mit den rechten Kritikern (Anm. d. Red.: Ursprünglich wurde hier irrtümlich Roland Koch als Ministerpräsident zum Zeitpunkt des Wahlkampfs bezeichnet, das wurde korrigiert.) Heraus kam die schon damals umstrittene Optionsregelung. Die meisten politischen Protagonisten der damaligen Auseinandersetzung, wie Schröder, Fischer und Koch, haben sich mittlerweile aus der Politik verabschiedet. Doch die Folgen der ungeliebten Reform haben nun die Menschen auszubaden, deren Situation mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts eigentlich verbessert werden sollte.

Mehr als 44.000 Deutsche zweiter Klasse?

Bisher wenig mediale Aufmerksamkeit bekommen junge in Deutschland lebende und oft auch dort geborene Menschen mit Migrationshintergrund, die nun ihre deutsche Staatsbürgerschaft verlieren sollen. Die Publizistin Anke Schwarzer hat einige dieser Fälle recherchiert. Demnach sind "über 440. 000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene keine 'echten' Deutschen, sondern solche auf Widerruf, 'Options-Deutsche', Deutsche zweiter Klasse, Staatsbürger auf Zeit". Für mindestens 3.300 Menschen droht in diesem Jahr konkret der Widerruf ihrer Staatsbürgerschaft, wie die Bundesregierung im Januar 2013 in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen bestätigte.

Nun hat eine neue Debatte über den Sinn der Optionsregelung eingesetzt. Dabei wird aber vor allem auf die vielfältigen bürokratischen Hürden verwiesen, die schnell den Verlust des deutschen Passes bedeuten können. So hatte der Fall einer 23-Jährigen in Deutschland geborenen Frau Schlagzeilen gemacht, die nach 11 Jahren ihren deutschen Pass abgeben musste, obwohl sie, wie vom Gesetz gefordert, einen Antrag aus der Entlassung der türkischen Staatsbürgerschaft gestellt hatte.

Die Bescheinigung war aber nicht rechtzeitig zu ihren 23jährigen Geburtstag eingetroffen. Nun fordern verschiedene Initiativen die Vermeidung solcher Härten und plädieren für mehr Spielraum bei den Behörden. Politiker der Bundesregierung hingegen verteidigen das Optionsmodell und fordern die Neudeutschen auf, sich rechtzeitig um die Erledigung der Formalitäten zu kümmern.

Wirtschaft und Menschenrechtler gegen Optionszwang

Nun haben sich auch SPD-Politiker, Migrantenorganisationen, Menschrechtsgruppen und auch die unternehmensnahe Bertelsmannstiftung gegen die bisherige Praxis der Optionspflicht ausgesprochen.

Allerdings sind die Gründe des Engagements unterschiedlich. Während es den einen um gleiche Rechte für alle Menschen geht, die in Deutschland leben, sorgt sich die Wirtschaft um die Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte, die Deutschland verlassen könnten, wenn ihnen der Pass entzogen wird. Die Union, der in vielen Fragen vom AKW-Ausstieg bis zu den Rechten für Homosexuelle in der letzten Zeit Flexibilität nachgesagt wird, dürfte beim Optionsrecht so schnell nicht nachgeben. Denn, wenn sich auch ein Roland Koch aus der Politik zurückgezogen hat, seine politischen Erben sind noch aktiv - und nicht nur in der CDU/CSU.