Portugal: "Monumentale Farce" einer "sterbenden Regierung"

Heute wird der Staatspräsident entscheiden, ob er trotz der Einigung die Regierung auflöst

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Der Inhalt der Vereinbarung, die Portugals Ministerpräsident Pedro Passos Coelho und sein zurückgetretener Außenminister Paulo Portas am Samstag erzielt haben, ist noch unbekannt. Sie wurde nur Staatspräsident Anibal Cavaco Silva vorgelegt. Er entscheidet am Montag, ob er die Regierung auflöst und Neuwahlen ansetzt. Das hatten trotz extremer Hitze tausende Menschen in der Hauptstadt Lissabon gefordert. Zum Protest vor dem Präsidentenpalast hatte bei 40 Grad der große Gewerkschaftsverband CGTP aufgerufen. Die Regierungsparteien wollten Wahlen vermeiden, "weil sie für ihre Verarmungspolitik an den Urnen bestraft werden würden", sagte CGTP-Chef Arménio Carlos. () Auch Politiker der gesamten Opposition nahmen teil, die auch von Silva fordern, endlich das Volk entscheiden zu lassen.

Ob der Konservative den Forderungen nachgibt und ähnlich souverän wie die Verfassungsrichter entscheidet, die immer wieder Sparvorhaben der Regierung kippen, wird bezweifelt. Der Druck ist groß, der unter anderem durch die EU-Kommission ausgeübt wird. Gespannt sind die Portugiesen darauf, mit welchem Programm die Regierungskrise beigelegt wurde. Sie war vergangene Woche nach dem Rücktritt von Finanzminister Vítor Gaspar aufgebrochen. Portas, Chef der Volkspartei (CDS-PP), trat "unwiderruflich" zurück, weil Coelho gegen seinen Willen Maria Luis de Albuquerque zu Gaspars Nachfolgerin ernannte.

Die bisherige Finanz-Staatssekretärin sollte Kontinuität garantieren, um der Troika aus Internationalem Währungsfonds (IWF), EU-Kommission und Europäischer Zentralbank (EZB) zu signalisieren, dass Spar-Auflagen umgesetzt werden, die dem Land für das Hilfsprogramm im Umfang von 78 Milliarden Euro auferlegt wurden. Eine Politik, die Portugal immer tiefer in Rezession und Arbeitslosigkeit führt, will Portas aber verhindern. Er hatte einen "neuen politischen und ökonomischen Zyklus" gefordert, weshalb es immer wieder zum Streit zwischen seiner rechtskonservativen CDS-PP und Coelhos liberal-konservativer PSD kam. Zuletzt hatte die CDS-PP eine Rentenkürzung abgelehnt. Um die Koalition zu retten und 1,3 Milliarden Euro einzusparen, stimmte sie im Mai aber zähneknirschend doch zu.

Coelho spricht davon, ein "solides Abkommen" erreicht zu haben. Klar ist bisher nur, dass die CDS-PP deutlich gestärkt wird. Um Portas zur Rückkehr zu bewegen und "Stabilität der Regierung bis zum Ende der Legislaturperiode" in zwei Jahren zu sichern, musste der Ministerpräsident weitreichende Zugeständnisse machen. Statt Außenminister wird Portas nun Vize-Ministerpräsident. Er begrenzt die Macht der neuen Finanzministerin stark, denn er wird die Wirtschaftspolitik koordinieren und Troika-Ansprechpartner sein.

Zwar meinte Coelho, man werde an den Sanierungszielen festhalten, doch er sprach auch vom "Zykluswechsel", um "Wirtschaftswachstum und der Schaffung von Arbeitsplätzen" mehr Bedeutung zu geben. Dafür braucht man Geld. Deshalb ist klar, dass Portugal die Versprechen nicht einhalten wird. Längst wurden Defizitziele schon aufgeweicht und Rückzahlungen der Hilfsmilliarden um sieben Jahre gestreckt. Eine der ersten Aufgaben von Portas wird sein, der Troika weitere Zugeständnisse abzuringen. Auffällig war, dass er auf der Pressekonferenz mit Coelho kein Wort verlor. Mit verschränkten Armen und nachdenklicher Miene brachte er deutliche Distanz zum Koalitionspartner zum Ausdruck.

Egal welche Entscheidung der Staatschef heute fällt, glauben Beobachter im Land nicht, dass die Regierung noch lange Bestand haben wird. José Manuel Fernandes, Kolumnist der großen Tageszeitung Público, spricht davon, dass es schlimmer immer werden kann. "Heute ist das Schlimmste quasi unvermeidbar." Noch deutlicher wird Arlindo de Jesus Costa im Diário de Notícias. In der konservativen Zeitung, die der Regierung nahe steht, spricht er von einer "monumentalen Farce". Man werde Zuschauer eines "entwürdigenden Schauspiels", das eine "sterbende Regierung" gebe. () Die unvermeidliche "Trennung" werde nur verschoben, wenn Staatspräsident Silva einer zerrütteten Ehe zwischen PSD und CDS-PP als "Trauzeuge" absegne.

Die Zeitung hatte schon zuvor darauf verwiesen, dass es kein schlechter Moment für Neuwahlen wäre, da Portugal erst 2014 den Rettungsschirm verlassen und an die Kapitalmärkte zurückkehren will. Vermutet wird im Land aber auch ein Schachzug, mit dem sich die CDS-PP vor Neuwahlen in eine bessere Position gegenüber der PSD bringen will. Dass Portas seine Forderungen umsetzen kann, ist unwahrscheinlich, da das Defizit 2012 sogar wieder auf 6,4 Prozent gestiegen ist, statt in Richtung drei Prozent zu sinken. Er will aber die Rentenkürzung zurücknehmen, die auf 23% angehobene Mehrwertsteuer genauso 2014 senken wie erhöhte Einkommens- und Unternehmenssteuern. Wird im Herbst der neue Haushalt beraten, dürfte es zum Machtkampf kommen. Platzt die Regierung daran, weil Coelho gegen Entlastungen ist, stehen Portas und die CDS-PP vor Neuwahlen im positiven Licht.