Hey, wir sind online!!!!

Außer Kontrolle

77% aller Unternehmen in Deutschland haben eine eigene Webseite! Ein Grund zur Freude - das digitale Zeitalter hat auch die Firmen erreicht!

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Ach, endlich mal eine gute Nachricht. 77% aller Unternehmen/Firmen in Deutschland haben eine eigene Webseite - das heißt, sie sind im "Digitalen Zeitalter" angekommen, sind Up-to-date, sind "user orientated" und vor allen Dingen "cyberig" (oder so). Das ist ein Grund zum Jubeln, nur noch 23% der Firmen gehören also zu den ewig Gestrigen.

Nun ja, zumindest frage ich mich, was eine solche Statistik denn sonst aussagen soll. Was sagt es über eine Firma aus, ob sie im Internet vertreten ist oder nicht?

Wieso eine Homepage?

Zum einen gibt es natürlich jede Menge Firmen, die überhaupt keinen Wert darauf legen, online zu sein. Ein kleines Beispiel: In Fassberg beispielsweise gibt es mittlerweile mehrere Firmen, die Winterdienste anbieten - Schneeschippen, Sand streuen usw. Die Dienstleistung ist so begehrt, dass die Firmen schon alleine durch die Mundpropaganda und Kleinanzeigen in den lokalen Zeitungen bzw. Annoncenblättern genug Aufträge bekommen. Eine Onlinepräsenz wäre für sie schlichtweg Verschwendung von Zeit und Geld.

Falls jetzt jemand meint "Wieso Zeit und Geld, eine Onlinepräsenz gibt es für einen Apfel und ein Ei, ein Klick-Dir-Deine-Homepage-Programm gibt es kostenlos im Internet zum Download und der Rest läuft von allein", dann hat mir dieser jemand mein "zum anderen" vorweggenommen.

Hauptsache eine Homepage

Viele der Internetpräsenzen sind die genaue Umsetzung dieses Denkens: Domain registriert, "Homepage" mit dem dazugehörigen Designerprogramm zusammengeklickt, fertig. Meist dient die Domainregistrierung auch nur der Sicherung eines Namens, danach bleibt das bekannte Baustellenschild das, was dort zu sehen ist - für lange Zeit. Vorübergehend reicht es natürlich, erst einmal auszusagen, dass hier "eine Homepage entsteht", wenn dieses "vorübergehend" sich aber endlos in die Länge zieht, sagt dies viel über die Prioritäten aus.

Aber auch Firmen, die allen Anschein nach sich wirklich im Web präsentieren wollen, vergessen, dass Webinhalte nicht immer statisch sein sollten - wenn seit dem Jahr 2005 außer dem Logo und einer Ankündigung noch immer nichts zu finden ist, kann man davon ausgehen, dass entweder die Firma nicht mehr existiert oder ihr die Webpräsenz nicht wichtig genug für einen weiteren Ausbau ist. Genauso wenig überzeugen Webseiten, bei denen 3/4 der Seiten lediglich aus Navigation bestehen, hastig zusammengeflickten Flashpräsentationen oder die bekannten "Optimiert für xyz"-Seiten.

Aber selbst wenn die Webseite das Baustellenstadium überstanden hat, zeigt sich, dass ein "Ich bin drin" noch lange nicht heißt: "Ich habe das Prinzip des Onlineseins verstanden". Da führt ein Link zur Preisliste zu einer 50seitigen Firmenpräsentation im PDF-Format, da sind die Produkte im BMP-Format vorgestellt, so dass es selbst mit DSL einige Minuten dauert, bis sich dem Interessierten dann einmal ein(!) Beispiel der Produktpalette darbietet...

Noch schlimmer wird es bei der Kontaktaufnahme - die bekannten webmaster/info/email@-Adressen führen oft genug zu keiner Resonanz. Dank der Angst vor Spam sind selbst Captchas und Co. nicht mehr angesagt, sondern die Mehrzahl der Webdesigner bzw. Do-It-Yourself-Homepageersteller setzt auf Formulare zur Kontaktaufnahme. Wobei auch hier nicht selten gleich der Datenabfrageoverkill einsetzt (so das Formular funktioniert und nicht zu einer verzweifelten Suche nach einem Ansprechpartner führt, wenn stattdessen ein mysql-Fehler oder dergleichen angezeigt wird). Bei der Suche nach einer neuen Bleibe stieß ich auf die Kontaktformulare der Immobilienfirmen. Da gerade die Immobilienanzeigen bei den diversen Anbietern oftmals längst überholt sind, bietet es sich an, zunächst einmal nachzufragen, ob das Objekt der Begierde noch vorhanden ist. Falls nicht, erübrigen sich ja alle weiteren Fragen. Dennoch waren außer dem vollständigen Namen auch noch der Geburtsname, das Alter, die Telefonnummer sowie die komplette Adresse erforderlich, um eine Antwort zu bekommen. "Unvollständig ausgefüllte Anfragen werden nicht beantwortet", heißt es lapidar. Natürlich kann man jetzt irgendwelche Angaben machen, aber wieso ist es denn überhaupt notwendig, für die Antwort auf die Frage "Ist das Objekt noch verfügbar?" gleich all diese Angaben zu machen, die bei einer telefonischen Kontaktaufnahme ja auch nicht gemacht werden würden?

Aber selbst

wenn

die Kontaktaufnahme ohne Datenstriptease möglich ist, so heißt dies nicht auch, dass man überhaupt eine Antwort erhält. Nicht nur falsch eingestellte Spamfilter, auch das "Ach, ich schaue nur sehr selten nach den Emails"-Denken führt oft zu wochenlanger Wartezeit. Hier wäre eine telefonische Anfrage oftmals sinnvoller, doch das Vorhandensein einer Webpräsenz suggeriert ja auch die Erreichbarkeit via Email, zumindest wenn extra für diverse Anfragen mehrere Emails zur Verfügung stehen (theoretisch).

Bei vielen Firmen wäre es mir persönlich lieber, sie würden auf dieses Pseudo-Online-Dasein verzichten oder ganz ehrlich auf der Homepage schreiben: "Dies ist die "Homepage" der Firma xyz - sie wird nicht weiter entwickelt, bei Fragen rufen Sie uns bitte an unter..." Dies würde viel Zeit und Nerven ersparen, denn wenn man aus diversen Gründen eben gerade kein Telefon nutzen will, dann wüsste man: Bei dieser Firma hier ist die E-Mailadresse nur ein Direktweg ins Nirvana, wenn ich also nicht telefonisch anfragen will, sollte ich eine andere Firma wählen.

So aber schmücken sich immer mehr Leute mit "ihrer Homepage" und tauchen dann in dieser nichtssagenden Statistik auf, die einmal mehr zeigt, dass Quantität nicht automatisch Qualität bedeutet.

Aber hurrah, hurrah, 77% der Firmen sind im Netz...