"Ein starker Finanzsektor ist schlecht, selbst wenn er erfolgreich ist"

Islands Präsident rät Europa, Banken nicht länger wie heilige Kirchen zu behandeln

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Islands Präsident Ólafur Ragnar Grímsson wurde auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos gefragt, ob Europa von der isländischen Politik, die Banken pleite gehen zu lassen, etwas lernen könne. Seine Antwort gehört zu den interessantesten Kommentaren, die Politiker in letzter Zeit zu Banken abgegeben haben.

"Aus dem Kollaps der Banken haben wir etwas wichtiges gelernt", so Grímsson. "Wenn man will, dass die Wirtschaft in den innovativen Branchen des 21. Jahrhunderts wettbewerbsfähig ist, in der IT oder in der Hightech, dann ist ein starker Finanzsektor eine schlechte Nachricht. Selbst wenn er erfolgreich ist."

Banken seien mittlerweile Hightech-Unternehmen, die den anderen Bereichen einer Volkswirtschaft Ingenieure, Informatiker und Mathematiker entziehen, erklärte der Präsident einem Reporter von Al-Jazeera English. Seitdem die isländischen Banken vor drei Jahren kollabiert sind, erblühten die technologischen Branchen. "Es geht ihnen besser, als jemals zuvor."

"Ich verstehe nicht, weshalb man die Banken wie die heiligen Kirchen der modernen Wirtschaft behandelt", sagte Grímsson. "Warum wird Banken nicht wie Fluglinien oder Telekommunikationsunternehmen erlaubt, bankrott zu gehen, wenn sie auf unverantwortliche Weise geführt werden? Die Theorie, dass man Banken retten muss, ist die Theorie, dass Banker ihren eigenen Profit genießen sollen aber die gewöhnlichen Leute für das Scheitern zu bezahlen haben. Die Bürger einer aufgeklärten Demokratie werden das langfristig nicht akzeptieren."

Island hat sich, nachdem es 2008 so gut wie pleite war, in historisch beispielloser Weise erholt. Dabei hat es genau das Gegenteil von dem gemacht, was hierzulande als alternativlos gilt: Anstatt eine Austeritätspolitik zu Lasten der Bevölkerung umzusetzen, hat Island den Sozialstaat ausgebaut. Anstatt den Markt zu liberalisieren, wurden Kapitalkontrollen eingeführt, um die Krone vor dem Absturz zu bewahren. Anstatt die Demokratie durch eine Technokratenregierung zu schwächen, hat Island den Wunsch der Bürger nach mehr direkter Demokratie erfüllt. Und, vor allem: Anstatt die Banken mit immer neuen Steuergeldern zu retten, ließ man sie pleite gehen lassen, wenn sie pleite waren.

Natürlich war alles nicht so einfach, wie es manchmal dargestellt wird. Der Absturz bedeutete für viele Isländer einen heftigen Verlust von Wohlstand. Doch seit zwei Jahren wächst die isländische Wirtschaft wieder mit rund 2,5 Prozent, während das Land mit etwa 5 Prozent Arbeitslosigkeit und akzeptablen Bedingungen auf dem internationalen Kapitalmarkt wieder recht gut dasteht.