Mehr Rechte für Wanderarbeiter

Chinas Städte wachsen rasant und erstmalig seit vielen Jahrzehnten bekommen auf dem Dorf Geborene das Recht, sich in der Stadt, wenn auch nicht in jeder, niederzulassen und die vollen Bürgerrechte zu genießen

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Seit den 1950er Jahren ist die Bewegungsfreiheit der chinesischen Bürger in der Volksrepublik streng reglementiert. Sie dürfen sich nicht an einem beliebigen Ort niederlassen, sondern brauchen dafür eine ohne Geld kaum zu bekommende Genehmigung. Insbesondere Dorfbewohner haben es nach diesem, hokou genannten, System schwer, einen legalen, dauerhaften Aufenthaltsstatus in den Städten zu bekommen. Die weit über 100 Millionen Wanderarbeiter sind dort daher bisher von vielen sozialen Leistungen ausgeschlossen, zum Beispiel auch vom Schulbesuch für ihre Kinder. Meist bleiben diese daher bei Verwandten auf dem Land oder besuchen Privatschulen.

Nachdem dieses System bereits seit mehreren Jahren zunehmend öffentlich kritisiert wurde, scheint es nun eine erhebliche Lockerung zu geben, wie das Wall Street Journal in einem Blog berichtet. Nach einer offensichtlich schon etwa ein Jahr alten, aber erst jetzt veröffentlichten Regierungsverordnung können sich Personen, die sich in einem festen Arbeitsverhältnis befinden, mit ihren Eltern, Ehepartnern und unverheirateten Kindern um eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis bewerben. Die Regel gilt allerdings nur für kleine Städte. In den größeren Städten sind die Anforderungen etwas höher.

Die in Beijing (Peking) erscheinende Volkszeitung berichtet, dass es 2011 252,78 Millionen Wanderarbeiter gab, von denen 158,63 Millionen nicht in der Kommune leben, in der sie registriert sind, der sie also nach dem hokou-System zugeordnet sind. Ziel der Verordnung sei es unter anderem, allen Bürgern den gleichen Zugang zu den Sozialsystemen zu ermöglichen.

Die Verordnung markiert eine neue Phase in Chinas Urbanisierung. Seit kurzem lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung in den Städten. Das hokou-System sollte bisher auch dazu dienen, deren Wachstum zu kontrollieren und die Bildung von Slums zu verhindern, hat aber die Landbewohner in den Städten, insbesondere deren ärmeren Teil, die sich als Straßenhändler oder ähnliches durchschlagen, oft der Willkür von Polizei und Behörden ausgeliefert.

Die Mega-Städte in der Küstenregion wie Beijing und Shanghai scheinen von der neuen Regel ausgenommen zu sein. In Beijing sollen bereits 19 Million Menschen leben, sieben Millionen davon als Wanderarbeiter. Damit übersteigt die Zahl der Hauptstadtbewohner das Planziel für 2020 bereits jetzt um eine Million. Mag sein, dass die neue Gerordnung unter anderem auch zum Ziel hat, die kleineren Städte für die in in die Stadt drängenden Dörfler attraktiver zu machen und den Druck auf die größten Ballungszentren abzubauen.

Einige Millionenstädte im chinesischen Hinterland sind unabhängig von den neuen zentralen Regelungen den Migranten schon entgegengekommen. Chongqing zum Beispiel, ein Ballungszentrum mit rund 30 Millionen Einwohnern, das am hinteren Teil des neuen, vom Drei-Schluchten-Damm gebildeten Stausees gelegen ist, hat in den letzten beiden Jahren, wie The Economist berichtet, insgesamt drei Millionen Wanderarbeitern das Niederlassungsrecht gewährt, obwohl es nach den neuen Regelungen nicht dazu verpflichtet wäre.

Auch Chengdu, eine weitere Großstadt im Binnenland, nordwestlich von Chongqing gelegen, verfolgt eine ähnliche Politik. Offensichtlich ist das Teil der Entwicklung des Binnenlandes, von der die Zeitung berichtet. Junge Arbeiter vom Land würden inzwischen zunehmend in der Nähe ihrer Dörfer bleiben. Seit einigen Jahren finden sie oft auch in den Städten in ihrer Nachbarschaft Arbeitsplätze, die sich durch gezielte Förderung rasch entwickeln.