Arme sollen weniger klagen

Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung würde den Zugang zu Beratungs- und Prozesskostenhilfe für Menschen mit niedrigen Einkommen erschweren

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Ein Gesetzesentwurf des FDP-geführten Justizministeriums sieht vor, den Zugang zur Beratungs- und Prozesskostenhilfe für Menschen mit geringem Einkommen einzuschränken. Die von der Bundesregierung überarbeitete Fassung liegt mittlerweile im Bundesrat und im Bundestag vor.

Verschlechterungen gibt es vor allem an drei Punkten: Für einkommensarme Menschen soll es keinen ungehinderten Zugang zu einem Rechtsanwalt mehr geben, stattdessen muss ein Rechtspfleger den Antrag vorab bewilligen. Die Einkommensschwelle für den Zugang zu Rechtshilfen soll um rund 100 Euro in Richtung Hartz-IV-Niveau gesenkt werden. Die Kostenrückzahlung soll auf sechs Jahre verlängert werden.

Diese Maßnahmen werden von Juristen- und Erwerbslosenorganisationen, Sozial- und Frauenverbänden und der Dienstleistungsgewerkschaft verdi scharf kritisiert. Verdi hat mittlerweile eine Unterschriftenaktion gegen den Gesetzentwurf gestartet.

Auswirkungen auf die Familiengerichte

Vor allem Frauen, prekär Beschäftigte und Erwerbslose wären durch die Neufassung der Prozesskostenhilfe benachteiligt. "Gerade für Hartz-IV-Empfänger gelten fast alle Jobs als zumutbar. Das neue Gesetz würde es ihnen deutlich erschweren, gegen die zunehmenden Sanktionen der Jobcenter juristisch vorzugehen und sich einen Anwalt zu nehmen", befürchtet die Gewerkschaft. Schon lange gibt es Kritik von Erwerbslosengruppen, die monierten, dass mit den Hürden bei der Prozesskostenhilfe die Klagen gegen die Hartz IV-Bescheide eingedämmt werden soll, die im überwiegenden Teil von den Klägern gewonnen werden.

Doch der Bereichsleiter für Arbeitsmarkt- und Erwerbslosenpolitik im verdi-Bundesvorstand Bernhard Jirku benennt im Gespräch mit Telepolis auch gravierende Folgen für den Zugang zu Familiengerichten, wenn Pläne der Bundesregierung umgesetzt werden: "Untersuchungen haben gezeigt, dass der überwiegende Teil der Beratungs- und Prozesshilfe nicht im Bereich des Sozial- und Arbeitsrechts sondern beim Familienrecht notwendig wird. Dabei geht es beispielsweise um das Sorgerecht für die Kinder, um die Zahlung von Alimenten und so weiter", erklärte Jirku. Eine Einschränkung des Zugangs zur Beratungs- und Prozesshilfe würde also bedeuten, dass der Rechtsweg für sehr viele Familien praktisch weitgehend verschlossen würde, viele in die Verschuldung gedrückt würden.

Auch der Kreis der Betroffenen ist größer als in der öffentlichen Diskussion bisher wahrgenommen wird, so Jirku: "Die Absenkung des Schwellenwertes für den Zugang zur Beratungs- und Prozesskostenhilfe um nahezu 100 Euro und die Verkomplizierung von Verfahren betrifft vor allem die Erwerbstätigen mit Niedriglöhnen und auch solche, die ihren Lohn durch Arbeitslosengeld II aufstocken müssen." Bei dem in Deutschland boomenden Niedriglohnsektor sind davon Mini-Jobberinnen ebenso betroffenen wie Schein-Selbstständige, Leiharbeiter und befristet Beschäftigte. Es trifft auch Familien, die auf den Kindergeldzuschlag angewiesen sind, und zahlreiche Kinder, deren Eltern mittlere Einkommen haben. Bei dem großen Kreis der Betroffenen könnte man annehmen, dass die Proteste noch zunehmen.

Bisher ist die Debatte über recht überschaubare Kreise noch nicht hinausgekommen. Verdi will die Unterschriftenaktion über den Anhörungstermin im Bundestag, der ursprünglich für Februar 2013 angesetzt war, weiterlaufen lassen. Als Ziel benennt Jirku die Initiierung einer öffentlichen Debatte, die deutlich machen soll, dass die Bundesregierung Menschen mit geringen Einkommen auch weiterhin stark benachteiligen will. Allerdings sollten Teil der jetzigen Opposition in die Kritik mit einbezogen werden. Die Pläne für die Deckelung der Prozesskostenhilfe sind nicht neu und reichen zurück in die Zeiten der großen Koalition.