Portugiesisches Verfassungsgericht bremst Troika aus

Zudem musste der Vize-Premier zurücktreten, weil er 2007 seinen Hochschulabschluss betrügerisch erhalten haben soll

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Die portugiesische Regierung stolpert mit ihren Sparmaßnahmen über das Verfassungsgericht und über einen Skandal, der den Vize-Premierminister zum Rücktritt gezwungen hat. Gerade war der konservative Miguel Relvas am Donnerstag zurückgetreten, da das Verfassungsgericht am späten Freitag den Haushalt wie erwartet weitgehend gekippt hat. Zentrale Teile der von Troika aus EU Kommission, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank im Rahmen des Rettungsprogramms verordneten Sparmaßnahmen wurden erneut für verfassungswidrig erklärt.

Die Regierung hat für den Nachmittag eine Krisensitzung einberufen, um die Lage zu analysieren. Nach Ansicht von Beobachtern, kommt sie nun an Neuwahlen nicht mehr vorbei. Coelho soll gegenüber Parteimitgliedern schon gesagt haben, er sehe keine Alternativen zu den Sparmaßnahmen.

Einige Einschnitte hält das höchste Gericht für unvereinbar mit der Vorschrift, dass die Lasten gleichmäßig verteilt werden müssen. Das hatten auch Experten stets bezweifelt. So muss den Rentnern und den Beschäftigten im öffentlichen Dienst das 14. Monatsgehalt gezahlt werden. Die eingeführte Besteuerung von Arbeitslosen- und Krankengeld ist ebenso unzulässig. Die enorme Anhebung der Einkommenssteuer um 30% haben die höchsten Richter dagegen nicht gekippt.

Anders als 2012, als die höchsten Richter ebenfalls schon Sparmaßnahmen der Konservativen gekippt haben, ziehen die Verfassungsrichter nun aber die Schraube an. Damals hatten die Richter aus "höherem Interesse" nicht die Nachzahlung des Weihnachts- und Urlaubsgelds angeordnet. Da die Regierung das Spiel mit einer der beiden Sonderzahlungen trotz des Urteils aus dem Vorjahr erneut versucht hat, müssen 2013 nun alle 14 Zahlungen erfolgen.

"Anomalien" beim Politologe-Abschluss

Portugals Regierung befindet sich nun im perfekten Sturm, weil zudem gerade ihr zweiter Mann über einen Skandal gestolpert ist. Superminister Relvas hatte zwar nur erklärt, er sei nicht mehr in der "seelischen Verfassung" für die Ausübung seiner Ämter, sprach aber beim Rücktritt mit keinem Wort die Hintergründe an. Denn dass es "Anomalien" gab, mit denen der 52-Jährige in einer Rekordzeit 2007 zu seinem Politologie-Abschluss kam, hat Bildungsminister Nuno Crato im portugiesischen Fernsehen anerkannt. Die Zeitung "Expresso" hatte zuvor berichtet, dessen Ministerium läge eine Studie vor, wonach der Relvas betrügerisch zu einem Hochschulabschluss kam.

Bekannt wurde auch, dass die Staatsanwaltschaft die Umstände ermitteln wird, unter denen der Minister für Parlamentarische Angelegenheiten in nur einem Jahr an der Privatuniversität "Lusófona" zum Akademiker wurde. Von 36 Prüfungen hat Relvas im Studienjahr 2006/2007 nur vier abgelegt. Den Abschluss mit Spezialisierung auf "internationale Beziehungen" bekam er, weil auch sein "reicher Erfahrungsschatz" anerkannt wurde. Darunter befand sich die ehrenamtliche Tätigkeit als Vorsitzender eines Folklore Tanzvereins.

Frühere akademische Versuche waren vom Scheitern geprägt. Ein Jurastudium brach er 1985 nach nur einem Jahr ab. Nach der Nelkenrevolution 1984 war er aus der Kolonie Angola nach Lissabon zurückgekehrt. 1996 wurde er nach einem Jahr von der Privatuniversität "Lusíada" exmatrikuliert, weil er Studiengebühren nicht bezahlt hatte. Doch weil er in der Sozialdemokratischen Partei (PSD), real eine konservative Partei, Karriere gemacht hatte, fiel es ihm auf der Lusófona leicht, 2007 zum Abschluss zu kommen und 2011 sogar Vize-Premier zu werden.

Der Skandal ist seit vergangenem Sommer bekannt, doch zog Ministerpräsident Pedro Passos Coelho keine Konsequenzen daraus. Das spitzt seine Lage nun zusätzlich zu, auch wenn er am Freitag versicherte, der Rücktritt seines Vertreters werde nicht die "Regierung mitreißen". Er ist schwer angeschlagen, auch wenn seine Regierung gerade am Mittwoch den ersten gemeinsamen Misstrauensantrag der linken Oppositionsparteien abgewehrt hat.

"Es reicht"

Auch die Sozialisten (PS) hatten das Urteil vorhergesehen und sich angesichts von Neuwahlen positioniert. Sie hatten erklärt, die "Zeit der Regierung ist abgelaufen". Mit ihrem ersten Misstrauensantrag hat sich die PS auch gegenüber dem Linksblock und den Kommunisten in Stellung gebracht, die von der enormen Empörung im Land profitieren. Denn die PS hatte bisher den harten Sparkurs mitgetragen. "Es reicht", meint sie nun. "Das Land wird arm gemacht und legt den Portugiesen enorme Opfer auf, ohne dass diese Ergebnisse sehen." Das müsse beendet werden, sagte Oppositionsführer António José Seguro.

Tatsächlich steigt die Arbeitslosigkeit auf ist immer neue Rekorde und liegt nun bei knapp 18 Prozent. 40 Prozent aller jungen Menschen sind schon ohne Job und das Land versinkt immer tiefer in der Rezession. Mit dem Schwenk der PS wird aber nun auch die Basis für die ohnehin schon massiven Proteste noch breiter. Heute beginnen die "Märsche gegen die Verarmung" im ganzen Land. Eine Woche lang ruft der große Gewerkschaftsverband CGTP die Portugiesen zu Demonstrationen auf. Mit einer Großdemonstration soll die Protestwoche am 13. April in der Hauptstadt abgeschlossen werden und die Regierung zum Ende des Sparkurses gezwungen werden.