Wachsende Lohnungerechtigkeit: Sieger Deutschland

Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation vergleicht Lohnentwicklung weltweit

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Der aktuelle globale Lohn-Bericht (als PDF) der Internationalen Arbeitsorganisation International Labour Organisation (ILO) bestätigt ein Ungleichgewicht, das Arbeitnehmer seit langem vermuten und bitter beklagen: Dass die Löhne in den guten Jahren des Wirtschaftswachstums ein gutes Stück hinter dem allgemeinen Wachstum hinterher hinken und in schlechten Jahren noch weiter abfallen.

So hat die Sonderorganisation der Vereinten Nationen (gegründet 1919) ermittelt, dass zwischen 1995 und 2007 für jedes Prozent Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) die Löhne um ein ganzes Viertel weniger gestiegen sind, um 0,75 Prozent. Global gesehen führte dies dazu, dass in fast drei Vierteln aller Länder die Lohnquote (der Anteil der Löhne am BIP) geschrumpft ist. Dies lässt befürchten, dass Frau Merkels heute getätigter Ausspruch - "2009 wird das Jahr der schlechten Nachrichten" - für Lohnempfänger im besonderen Maße zutreffen könnte. Denn in Abschwungphasen, so analysiert der Bericht, entwickeln sich Löhne noch deutlich schwächer. Fiel der BIP in den Jahren zwischen 1995 und 2007, so errechneten die Verfasser für jedes Prozent BIP-Rückgang einen Fall der durchschnittlichen Löhne um 1,55 Prozent.

Allerdings wird darauf aufmerksam gemacht, dass es große regionale Unterschiede beim Reallohnzuwachs gebe. Während er in manchen Ländern wie China, Russland und "anderen Transformationsländern" 10 Prozent oder sogar mehr erreichen konnte, erreichte er in den Industrieländern zwischen 2001 und 2007 jährlich selten mehr als ein Prozent. In Deutschland beschränkte er sich der ILO zufolge auf 0,51 Prozent.

Unter den Industrienationen hält Deutschland den Spitzenplatz im Ausbau des Lohngefälles. Hierzulande wuchs die Ungleichheit zwischen höchsten und niedrigsten Löhnen am schnellsten, vor Polen und den USA. Die ILO-Studie unterscheidet hier zwei treibende Kräfte der Ungleichheit: zum einen die rasante Entwicklung der höheren Löhne "Flying top wages" zum anderen "kollabierende Niedriglöhne". Während Industrieländer wie Großbritannien und die USA in Kategorie "flying top wages" fallen, zählt man Deutschland zur Kategorie "collapsing bottom wages".

Außerhalb des Kreises der Industrienationen nahm die Lohnungleichheit am schnellsten in Argentinien, China und Thailand zu. Verbesserungen meldet die ILO unter europäischen Ländern in Frankreich und Spanien. Generell hat man beobachtet,dass die Kluft zwischen den höchsten und den niedrigsten Löhnen seit 1995 in über zwei Dritteln aller untersuchten Länder gewachsen ist - "mitunter auf ein sozial unhaltbares Maß".

Bemerkenswert ist zudem, dass das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen gemäß ILO-Recherchen anhaltend "sehr hoch" ist - in den meisten Ländern würden Frauen nur zwischen 70 und 90% der Löhne ihrer männlichen Kollegen erreichen. In einigen asiatischen Ländern treffe dies aber nicht zu. Dort habe man "deutlich geringere Unterschiede" ermittelt.

Angesichts der anstehenden Wirtschaftskrise plädiert die ILO für tariflich ausgehandelte Löhne und Mindestlöhne. Soziale Ungleichheiten dürften nicht weiter anwachsen und die Kaufkraft der Bevölkerung müsse geschützt werden, fordert die in Genf ansässige Organisation mit 182 Mitgliedsstaaten, die sich zum obersten Ziel gesetzt hat, den "Weltfrieden durch eine Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen aller Menschen" zu sichern. Einstweilen, so lässt der Bericht erkennen, hofft man (wie viele andere auch), dass eine durch vernünftige Lohnpolitik gestärkte Binnennachfrage hilft, die Rezession möglichst flach zu halten.