Die Liebeslieder des Präsidenten und seine Kommunikationssperre

Bei einer Serie von Explosionen sind in Turkmenistan angeblich fast 1400 Menschen ums Leben gekommen. Nachrichten gibt es dazu kaum.

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Der Weg nach Turkministan ist weit und beschwerlich; aber dass dies nicht nur für Rollerfahrer gilt, sondern auch für Nachrichten, ist in heutigen Zeiten doch verwunderlich.

So berichtet der süddeutsche Nachrichtensender Bayern 5 im Viertelstundentakt davon, dass es in einem Munitionsdepot in Turkmenistan in der Stadt Abadan eine Serie von Explosionen gegeben habe. Dabei sind offenbar bis zu 1.400 Menschen ums Leben gekommen. Die Explosion fand am 7.Juli statt.

Die BR-Nachricht stützt sich auf einen ARD-Korrespondenten, der sich wiederum auf Aussagen der Opposition im Land beruft. Demnach ist das Unglück passiert, als Soldaten ein Munitionsdepot auslagern wollten. Während 48 Stunden sei es immer wieder zu Explosionen gekommen, Raketen sollen in Schulen, Krankenhäuser und Wohnhäuser geflogen sein. Die Meldung, so der Nachrichtensprecher, lasse sich nicht überprüfen. Präsident Berdimuhamedow habe eine Nachrichtensperre verhängt. Die funktioniert anscheinend so gut, dass die BR-Nachricht dazu heute wie ein Alleingänger erscheint, wo doch sonst große Redundanz im Nachrichtenmarkt herrscht.

Berdimuhamedow verfolgt ähnlich wie sein Vorgänger der exzentrische Diktator Nijasow ("Wenn ich nicht mehr rauche, darf keiner mehr im Land rauchen"), dessen Zahnarzt er war, einen absonderlichen Personenkult. Mit Sondersendungen im TV, wo er selbstgemachte Liebeslieder singt. Die Politik, die er in dem abgelegenen Land macht, kommt vielen ebenfalls absonderlich vor, um einen milden Ausdruck zu wählen.

Freie Informationspolitik findet anderswo statt. Glaubt man den Informationen von Wikipedia zum Land, dann finden sich in Turkmenistan gerade mal 3 Zeitungsleser unter 1000 Einwohnern und der Prozentsatz jener aus den etwa 5 Millionen Einwohnern, die das Internet nutzen, lag 2007 bei 1,4 Prozent. Von einer Informationsgesellschaft, wie wir sie zugrunde legen, kann also nicht die Rede sein.

Dies alles zeigt sich auch in den unterschiedlichen Varianten der oben erwähnten Nachricht, zu der im deutschsprachigen Internet kaum etwas zu finden ist. Offiziell war zunächst (in der vergangenen Woche) nur von Explosionen in einem Pyrotechniklager in Abadan die Rede. Das Außenministerium ließ dazu mitteilen, dass es "keine Opfer und besonderen Zerstörungen" gegeben habe. Auslöser sei die starke Hitze gewesen.

Jetzt räumt man offiziell 15 Tote ein; über Hergang und Auswirkungen des Unglücks sagt man aber nichts Genaueres. Wie ein Video, das an Radio Free Europe/Radio Liberty gelangt ist, auf unmissverständliche Weise zeigt, handelt es sich um eine größere Explosion mit harten Folgen. Mittlerweile, so heißt es in dem Bericht, hätten die Behörden zugegeben, dass sie sich in einem Munitionsdepot ereignete. Laut einer pakistanischen Zeitung wurde der stellvertretende Verteidigungsminister geschasst. Als Ursache wurde angegeben, dass Feuer von einem Pyrotechniklager auf das Munitionsdepot übersprang, wie das in unzähligen Filmen so passiert.

Uneinig ist man sich über das Ausmaß. Laut RFE/RL gibt es einen regelrechten Informationskrieg zwischen offiziellen Medien und Veröffentlichungen in sozialen Netzwerken. Aber auch die Informationen, die via Netzwerke veröffentlicht werden, sprechen "nur" von 200 zivilen Toten. Augenzeugen bestätigen laut RFE/RL, dass es zu großen Verwüstungen gekommen ist, jede Explosion habe sich angefühlt wie ein Erdbeben, noch immer lägen Sprengkörper herum:

"There are rocket fragments and ammunition in the streets and even inside some houses, and this ammunition might explode and fatally injure people."

Warum die Behörden das wahre Ausmaß der Katastrophe nicht zugäben, ist den Betroffenen ein Rätsel.