Die CDU als ideeller Gesamtkapitalist

Die viel bewunderte Popularität Merkels hat ihren Grund darin, dass ihr es gelingt, die unterschiedlichen Interessen im modernen Kapitalismus auszugleichen

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Schon längst ist die Dekoration abgebaut. Wo bis Mittwochmittag die CDU ihren Parteitag abgehalten hat, wird in wenigen Tagen der SPD die Bühne erobern. Tatsächlich können beide Parteitage auch als Theater betrachtet werden, wo die kleinsten Details bis zur Länge des Applauses vorgeplant sind. Weil alle inhaltlichen Fragen schon im Vorfeld mit Formelkompromissen überbrückt oder in Arbeitsgruppen delegiert wurden, gab es inhaltlich keine Überraschungen. Auch die Ablehnung eines Antrages, der die steuerliche Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben forderte, war erwartet worden. Eine Überraschung wäre vielmehr gewesen, wenn der Antrag angenommen worden wäre.

Kreisverband Fulda wichtiger als die Taz

Dann hätte die Union sicher viel Lob in der grünennahen Taz bekommen. Doch dort sitzen nicht die klassischen CDU-Wähler. Für die Union aber war schon die Frage bedenkenswerter, wie ein solcher Beschluss im CDU-Bezirk Fulda angekommen wäre. Von dort war in den letzten Tagen vor dem Parteitag noch einmal eine klare Ablehnung der steuerlichen Gleichstellung von Schwulen und Lesben formuliert worden.

Was dort verlautbart wird, kann den Unionsstrategen aber schon deshalb nicht egal sein, weil es sich hier um die Kerntruppen der CDU handelt, die schon lange mit vielen Modernisierungen, die in der Merkel-Ära ihrer Partei verordnet worden sind, fremdeln. Sie mussten sogar noch akzeptieren, dass ihr Idol Martin Hohmann, wegen seiner weithin als antisemitisch verstandenen Geschichtsdeutungen nicht mehr Parteimitglied sein konnte. Trotzdem hat sich auch im Raum Fulda keine christlich-konservative Alternative zur CDU herausgebildet, obwohl es in den letzten Jahren einige Gruppierungen gab, die sich für diese Rolle anboten und auch Hohmann umwarben.

Doch sie drifteten entweder schnell ins Rechtsaußenspektrum ab oder verschwanden ganz. So ging es bundesweit allen Versuchen, eine konservative Alternative zur CDU zu etablieren. Auch die Partei Die Republikaner, die aus einer Rechtsabspaltung der Union hervorging, ist seit Jahren nur noch eine rechte Kleinstpartei zwischen NPD und Pro-Bewegung.

Dass der Union von rechts keine Konkurrenz droht, liegt weniger an der demokratischen Läuterung der Bevölkerung in Deutschland. Vielmehr haben auch die Rechtsaußen in der Union und die Bewahrer der CDU-Traditionen Anteil daran, dass momentan in Deutschland eine neue Rechtspartei keine realen Chancen hat. Da bleiben sie doch lieber in der CDU und versuchen dort noch einige Akzente zu setzen. Die Ablehnung der steuerlichen Gleichberechtigung für Schwule und Lesben können sie beispielsweise als einen solchen Akzent verstehen.

Es ist daher nicht überraschend, wenn bei Merkels Rede auf dem Parteitag an den Stellen besonders laut applaudiert wurde, wo es um die Selbstvergewisserung der christlich-konservativen Traditionen ging. So wurde das Klatschen besonders laut, als Merkel die Familie als Hort der Geborgenheit lobte und die Kindererziehung in der Familie positiv hervorhob.

Frauen als Arbeitskraft statt als Mutter

Gerade das letzte Beispiel macht aber auch deutlich, wie auch die konservativsten Familienpolitiker zur Kenntnis nehmen müssen, dass der moderne Kapitalismus ihre Vorstellungen anachronistisch werden lässt. Jahrzehntelang wurde die Erziehung in der Familie von christlich orientierten Parteien in aller Welt als Gegenmodell zur als sozialistisch verrufenen Erziehung in Horten und Kindergärten propagiert, die immer noch an die sozialistischen Erziehungsmodelle einer Alexandra Kollontai in der frühen Sowjetunion erinnerten.

Die CDU hatte dabei noch scheinbar das Grundgesetz auf seiner Seite, das den Schutz der Familie ausdrücklich erwähnt. Und doch müssen jetzt die Christsozialen gemeinsam mit einer Minderheit in der Union dafür kämpfen, dass die bereits im Koalitionsvertrag vereinbarte Unterstützung von Eltern, die ihre Kinder zu Hause erziehen, auch umgesetzt wird. Trotzdem gibt es keine wahrnehmbare gesellschaftliche Bewegung, die diese Forderung unterstützt.

Die Gegner sind in der Mehrzahl in der Gesellschaft und selbst unter den Frauen in der Union in der Mehrheit. Allein an diesem Beispiel zeigt sich, wie sehr der moderne Kapitalismus religiöse und klassisch konservative Familienvorstellungen marginalisiert hat. Frauen werden längst als wichtige Arbeitskraft auf allen Ebenen erkannt. Vor allem studierte Frauen sollen ihre Fähigkeiten nicht länger in der Hausarbeit und der Kindererziehung vergeuden. Dass hat aber mit einer Frauenemanzipation insgesamt recht wenig zu tun. Denn die immer noch nötige Reproduktion der Arbeitskraft des Mannes und der Frau aus dem Bürgertum wird einen neuen Niedriglohnbereich, sowohl im Haushalt als auch im außerhäuslichen Dienstleistungsbereich schaffen, der vor allem von Frauen bedient werden wird.

Als Zeichen, dass die CDU verstanden hat, was im modernen Kapitalismus von ihr erwartet wird, werden im neuen Parteivorstand weitere Frauen aufrücken. Neben Ursula von der Leyen ist jetzt Julia Klöckner als Merkel-Stellvertreterin aufgerückt. Dass ausgerechnet von der Leyen nun auch als Sozialpolitikerin der Union gilt, zeigt auch, welche Bedeutung das Soziale in der neuen CDU hat. Es geht vor allem um Ehrenämter und Caritas, nicht aber um Rechtsansprüche.

Für eine solche Art bürgerliche Armutspolitik ist von der Leyen von ihrer Herkunft aus gutbürgerlichen Haus gut geeignet. Sie dürfte materielle Not allerhöchstens ehrenamtlich kennengelernt haben. Gleichzeitig hat Merkel ihre Differenz zur SPD an der Stellung zu Hartz IV noch mal deutlich gemacht. Während in der SPD heute darüber gestritten wird, stehe sie voll und ganz hinter der Agenda 2010 betonte sie und die Partei applaudierte. Da dürfte der SPD-Kanzlerkandidat neidisch sein, denn er muss wohl seine nach wie vor bestehende Unterstützung von Hartz IV etwas verklausulierter ausdrücken.

Nach den Wahlen alles offen

Mögliche Bündnisse aber werden durch die Übereinstimmung in der Sache nach den Wahlen leichter. Vor den Wahlen will niemand darüber reden. Doch die CDU hat schon deutlich gemacht, dass sie der FDP nicht mit einer Leihstimmenkampagne ins Parlament helfen will. Jede Partei muss für sich allein kämpfen, machten führende CDU-Politiker den nach wie vor schwächelnden Altliberalen klar.

Aus Sicht der Union ist diese Haltung verständlich. Sie fungiert als eine Art ideeller Gesamtkapitalist in Parteienform und versucht, den Erfordernissen des modernen Kapitalismus gerecht zu werden, ohne ihre konservative und christliche Herkunft ganz aufzugeben. FDP und Grüne hingegen sind liberale Parteien, die bestimmte Fraktionen des alten und neuen Kapitals repräsentieren und wollen und können die Rolle der CDU gar nicht wahrnehmen.

Die Union aber kann so im Zweifel mit beiden gemeinsam oder getrennt koalieren, je nachdem wie die Mehrheitsverhältnisse sind. Doch einfacher wird wohl eine Koalition mit der SPD sein, die alle aktuelle Äußerungen gegen eine Koalition mit oder gar unter Merkel vergessen wird, wenn sie nach der Wahl keine andere Möglichkeit hat, doch mit zu regieren. Denn wenn es auch bei der SPD wenige Grundsätze gibt, den Müntefering-Satz, dass Opposition Mist ist, kann man als einen solchen bezeichnen.

Deshalb hat die Union gegenwärtig keinen Grund für wirkliche Besorgnis, mag sie auch Rathausposten in den größeren Städten, wie kürzlich in Karlsruhe, verlieren. Schließlich war die Union nie die Partei, die die Kärnerarbeit über Hochschulasten, die Kommunal- und Landespolitik in die Bundesregierung gegangen ist. Wichtig ist, dass sie die Erfordernisse bedient, die das Kapital heute braucht. Dann wird sie auch künftig als Regierungspartei gebraucht. Diesen Beweis aber hat sie auf ihren Parteitag erbracht.