(Fast) geschlossene Front gegen Aufweichung der Medizinethik

Bundesärztekammer und Parteien wenden sich deutlich gegen die geplante Neufassung der EU-Regeln für Medikamententests

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In Deutschland formiert sich der Widerstand gegen eine von der Europäischen Union geplante Neufassung der Regeln für Arzneimitteltests. In dem schon länger schwelenden Streit haben sich nicht nur alle Bundestagsfraktionen gegen die Brüsseler Vorlage ausgesprochen. Auch der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, warnte bei einer Pressekonferenz dieser Woche deutlich vor einer Aufweichung der ethischen Standards.

Das in der deutschen Version 115 Seiten fassende Dokument ( EU will wieder forschen wie vor 1946) zielt nach Auffassung der zunehmenden Anzahl ihrer Kritiker auf die Abschaffung der derzeitigen wissenschaftsethischen Kontrolle von Arzneimitteltests ab. Nicht nur in Deutschland müssen bislang Pharmakonzerne das Votum von Ethikkommissionen abwarten, bevor sie ihre Mittel in sogenannten Phase-I bis -III-Studien an Menschen testen. In dem Haupttext der Verordnung anonymer EU-Bürokraten kommen die Begriffe "Ethik" oder "Ethikkommission" nicht einmal mehr vor.

Zu den derzeitigen Schutzstandards bei der Forschung am Menschen gehört es, geplante Forschungsvorhaben vor Studienbeginn einer unabhängigen, interdisziplinär besetzten Ethikkommission zur Beratung, Stellungnahme und Zustimmung vorzulegen, sagte Montgomery bei einer Pressekonferenz in Brüssel. Der Verordnungsentwurf aber verzichtet auf eine solche ausdrückliche Vorgabe und verweist auf die den Mitgliedsstaaten überlassene Organisation. Auf diese Wiese würde der bestehende Patientenschutz ausgehebelt. "Wir dürfen nicht hinnehmen, dass Arzneimitteltests nur da durchgeführt werden, wo ein niedriges Schutzniveau für Patienten besteht", so der Präsident der Bundesärztekammer, der ein "Ethik-Shopping" befürchtet. Das heißt: Nach den Vorstellungen der EU muss künftig nur noch ein Staat der Union ein Medikament zulassen, den der beantragende Konzern aussuchen darf.

Auch der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese - wie Montgomery ein Mediziner - lehnt die EU-Vorlage daher ab und führt zur Begründung drei wesentliche Punkte an. Zum einen würde der Schutz von Kindern und Menschen mit geistiger Behinderung - im medizinisch-juristischen Jargon ist hier von "besonders Schutzbefohlenen" die Rede - reduziert. Zweitens würde nach den derzeitigen Plänen die zwingende Prüfung und Zustimmung durch eine unabhängige Ethikkommission ausgehebelt - und damit eine der Lehren aus den Verbrechen der Nazimedizin revidiert. Drittens kritisiert auch der Christdemokrat Liese die Idee, dass sich Pharmakonzerne einen Staat für ihre Studien aussuchen dürfen, der dann über EU-weite Standards entscheidet.

Im Bundestag hatten sich aus diesen und weiteren Gründen Ende Januar alle Fraktionen gegen die Vorlage aus Brüssel ausgesprochen und wesentliche Nachbesserungen verlangt. Dass alle Bundestagsfraktionen zum Patientenwohl entscheiden, das hätte ein Novum sein können - wenn die Unionsspitze die Initiative nicht in letzter Minute torpediert hätte. Sie schloss die Linksfraktion aus dem fraktionsübergreifenden Antrag aus. Aus parteipolitischer Borniertheit wurde damit eines der derzeit europapolitisch wichtigsten Vorhaben geschwächt, weil der Bundestag nun eben nicht einheitlich entschieden hat.

In medizinischen Fachkreisen sorgte das Regierungslager damit für Kopfschütteln, zumal die Sache ein noch absurderes Ende nahm. Am späten Abend kopierten die Linken den Antrag rasch und reichten ihn identisch noch einmal ein. So mussten auch die Kalten Krieger aus dem Regierungslager für das Papier der Linken stimmen, weil sie sonst zugleich gegen ihren eigenen Antrag votiert hätten.