"Ich bin eine Amtsperson" oder: Vertrau mir blind

Außer Kontrolle

Wenn die Funktion über den Menschen gestellt wird, so ist dies ein Nährboden (nicht nur) für Arroganz. Zwei Beispiele

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Dialog mit dem Gerichtsvollzieher

Gerichtsvollzieher sind, logischerweise, nicht unbedingt sehr beliebt bei den Betroffenen. Dennoch gibt es unter ihnen durchaus viele, die mit den von Zwangsvollstreckung betroffenen Personen zusammenarbeiten und Humanität und Verständnis durch die ihnen durch den Job auferlegten Erfordernisse durchscheinen lassen. Bei anderen Gerichtsvollziehern zeigt sich die Annahme, ihre Funktion würde ihnen automatisch Respekt und Vertrauensvorschüsse einbringen, egal, wie sie sich verhalten. Zeigt der betroffene Bürger dann auf, dass er diesen Vertrauensvorschuss nicht zu leisten gewillt ist, entstehen oft kafkaesk anmutende Dialoge.

Ein Beispiel:

Nach der Feststellung der wirtschaftlichen Lage legt der Gerichtsvollzieher W. dem betroffenen Bürger P. ein Dokument vor, welches dieser unterzeichnen soll. P. möchte dieses Dokument durchlesen bevor er unterzeichnet. Der nachfolgende Dialog basiert auf einem Originalfall. P: Ich möchte das nur kurz durchlesen, bevor ich unterschreibe.
W: Wieso?
P: Ich will wissen, was ich unterschreibe.
W: Das habe ich doch gesagt. Sie unterschreiben, dass ich heute hier war und mit Ihnen gesprochen habe. Das geht dann an das Gericht und den Gläubiger.
P: Ja, und das möchte ich nachlesen.
W: Ich bin in Eile. Unterschreiben Sie jetzt bitte endlich.
P: Wo ist eigentlich das, was ich Ihnen gesagt habe?
W: Was?
P: Sie haben doch aufgenommen, dass ich über keinerlei Wertsachen verfüge und mein regelmäßiges Einommen unterhalb der Pfändungsgrenze liegt.
W: Ja. Bitte unterschreiben Sie.
P: Wo haben Sie denn das vermerkt?
W: Was?
P: Was ich Ihnen gesagt habe.
W: Dafür gibt es ein Gedächtnisprotokoll.
P: Wo ist dieses Protokoll?
W: In der Mappe (deutet auf eine Mappe).
P: Das möchte ich gerne sehen.
W: Unterschreiben Sie bitte.
P: Ich möchte bitte das Gedächtnisprotokoll sehen, das Sie angefertigt haben.
W: Denken Sie, ich schreibe da was Falsches hinein? Ich bin eine Amtsperson.
P: Ich möchte bitte das Protokoll sehen (liest weiter das Dokument). Bekomme ich bitte eine Kopie dieses Schreibens?
W: Das ist nicht normal.
P: Was?
W: Sie bekommen keine Kopie. Ich mache das schon richtig, ich mache das seit vielen Jahren, ich bin Amtsperson.
P: Ich habe schlechte Erfahrungen gemacht und möchte mich absichern. Bitte zeigen Sie mir das Protokoll.
W: (öffnet die Mappe, dort stehen ca 10 Wörter in schlecht leserlicher Schrift)
P: Was steht da?
W: Das, was Sie gesagt haben. Unterschreiben Sie jetzt bitte.
P: Wenn ich nicht sehe, was dort steht, kann ich auch nicht sehen, ob es richtig ist.
W: Es ist richtig, ich bin immerhin eine Amtsperson.

Der Dialog endete schließlich mit dem Weggang der Amtsperson, eine Kopie des Dokumentes wurde nicht überreicht.

Zweites Beispiel:

Das "Lawblog" des Udo Vetter ist stets ein Blog, dessen Lektüre sich lohnt. Im vorliegenden Fall ging es um einen Herrn, der gegenüber der Polizei jede Aussage verweigerte. Während dies, neutral formuliert, als "Er machte von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch" bezeichnet werden würde, zeigte die Formulierung der Polizei auf, dass sie sich von solcherlei Inanspruchnahme von Rechten genervt fühlte. Sie definierte dies als "über alle Maßen unkooperatives Verhalten".

Respekt bitteschön, aber sofort

In beiden Fällen, sowohl beim Gerichtsvollzieher als auch bei den betroffenen Polizisten, lässt sich aus dem Verhalten bzw. den Formulierungen bereits nachvollziehen, dass sie ihre Funktion als Staatsdiener als Garant für ihnen gegenüber zu erweisenden Respekt und Vertrauensvorschuss sehen. Die Rechte der Bürger ihnen gegenüber werden hingegen von ihnen eher als Zumutung verstanden, als eine Amtsanmaßung. Fast hört man Trappatonis "Was erlauben" in solchen Formulierungen heraus, die letztendlich sagen: "Du stehst unter mir, du hast das zu tun, was ich sage, hast mir zu vertrauen."

Doch Respekt und Vertrauen sind keine Einbahnstraße und vor allen Dingen sind es keine nur durch eine Uniform, eine Marke oder eine Berufsbezeichnung per se verliehene Würdigungen. Es sind Dinge, die verdient werden müssen. Respekt erhält der, der sich respektvoll erhält, ebenso wie Vertrauen erst verdient werden muss. Ein Vertrauensvorschuss gegenüber der Polizei beispielsweise ist nicht zuletzt durch die Art und Weise, wie (nicht nur) in den letzten Jahren Fehlverhalten seitens der Strafverfolgung permanent ignoriert, verharmlost und totgeschwiegen wurde, kaum mehr begründbar. Davon abgesehen ist eine Inanspruchnahme von gesetzlich verbrieften Rechten kein Misstrauensbekenntnis, sondern es hilft letztendlich auch der Polizei selbst, die sonst ggf. Gefahr läuft, manche Aussagen nicht mehr verwerten zu können. Doch Staatsdiener sehen dies zunehmend anders und betrachten Kritik wie auch das Pochen auf Rechte kritisch bis ablehnend. Nicht zuletzt auch unterstützt durch ein mediales Stakkato, das das Schweigen von Verdächtigen negativ bewertet, statt auf die Rechte des Verdächtigen hinzuweisen, wird damit auch der Gedanke, dass die Inanspruchnahme von Rechten gegenüber den Staatsdienern tatsächlich negativ ist, weitergegeben. "Aber da behindern wir doch die Polizei" oder "Aber ich muss die doch in meine Wohnung lassen, mit ihnen reden" sind Ansichten, die eben daraus resultieren.

Die Staatsbediensteten gehen den Weg der Arroganz jedoch immer weiter, statt sich mit den Folgen dieser Arroganz zu befassen. Dass dies den Vertrauensvorschuss, den sie einfordern, endgültig ad absurdum führt, ist anscheinend zu schwer zu erkennen.