Michael Moore kritisiert Umgang mit Wikileaks-Akten

US-Dokumentarfilmer wehrt sich gegen Darstellung, sein Film „Sicko“ sei in Kuba verboten. These wurde ungeprüft aus Depeschen übernommen

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Peinlicher Unfall in der Wikileaks-Affäre: Führende Medien, unter ihnen der britische Guardian, sind Fehlinformationen aus den Depeschen aufgesessen. Mehrere Blätter berichteten, dass der Dokumentarfilm Sicko des US-amerikanischen Filmemachers Michael Moore selbst in Kuba zensiert wurde. Und dies, obgleich der Film die Vorzüge des staatlich massiv subventionierten kubanischen Gesundheitssystems mit den oft maroden Kliniken in den USA in Kontrast setzt. Doch Moores polemische Darstellung sei selbst den kubanischen Behörden zu viel gewesen, heißt es in einer ausführlichen Depesche, die inzwischen auch im Internet veröffentlicht wurde. Der Film sei kurzerhand als „subversiv“ eingestuft und zensiert worden.

Das Problem: Als der mehrseitige Bericht vom Leiter der US-Interessenvertretung in Havanna, Michael Parmly, am 31. Januar 2008 nach Washington geschickt wurde, war Moores Streifen schon in den Kinos der kubanischen Hauptstadt gelaufen. Sogar in Sichtweite von Parmlys Büro in den Häusern „La Rampa“ und „Yara“ an der 23. Straße. „Und die gesamte kubanische Nation sah den Film im nationalen Fernsehen am 25. April 2008“, schreibt Moore in seinem Blog, dem zufolge er das Tape persönlich an das kubanischen Kinoinstitut ICAIC geschickt hat.

Dessen ungeachtet zitierten der Guardian und US-amerikanische Medien ausführlich aus der diplomatischen Nachricht. Kubanische Ärzte, denen der Streifen vorab gezeigt worden war, seien so verärgert gewesen, dass die den Raum verlassen hätten. „Sicko“ sei daraufhin in Kuba verboten worden, weil den Behörden dieses Landes klar gewesen sei, dass er Mythen verbreite, heißt es weiter über den Streifen, der nur wenige Tage zuvor für den Oskar nominiert worden war.

Nun holte Moore zum Gegenschlag aus. Zum einen sei die Depesche ein umwerfendes Beispiel dafür, wie Staatsbürokraten im orwellschen Sinne ihre Lügen verbreiten und eine eigene Realität zu schaffen versuchen. „Ich vermute“, so Moore weiter, „dass sie ihre Vorgesetzten beschwichtigen wollten, um ihnen mitzuteilen, was sie hören wollen“.

Zugleich gießt Moore Öl ins Feuer derjenigen, die den Umgang mit den Wikileaks-Dokumenten kritisieren. So war in den vergangenen Wochen vor allem in Internetforen kritisch beleuchtet worden, dass die gut 250.000 Akten in Gänze nur fünf Medienkonzernen zur Verfügung stehen. Der aktuelle Fall zeigt, mit wie wenig Sorgfalt das Material von diesen Redaktionen ausgewertet wird. Als die betreffende Depesche an die Presse gegeben wurde, „haben sie es präsentiert, als ob es der Wahrheit entspricht“, kritisiert Moore. So habe der Britische Guardian getitelt: „Kuba verbot 'Sicko' wegen Darstellung eines 'mythischen' Gesundheitssystems“. Vor allem die rechtsgerichtete US-Presse habe sich auf die Story gestürzt „und eine Lüge verbreitet“, so Moore, der den verantwortlichen Redaktionen mangelnde Gegenrecherche unterstellt. Hämisch fügte er seinem Blogeintrag einige Internetübersetzungen von spanischsprachigen Meldungen über die Ausstrahlung seines Films in Kuba an.

Der Fall dürfte die Debatte über den Umgang mit den Wikileaks-Dokumenten weiter anheizen. In Fall von Lateinamerika gab es in den vergangenen Wochen vor allem Kritik gegen die spanische Tageszeitung El País. Das Blatt gehört zu einer von fünf Redaktionen, die alle Daten zur Verfügung gestellt bekommen haben. El País, dessen Redaktion eine klar ablehnende Position gegen die anti-neoliberalen Staaten des ehemaligen spanischen Kolonialraums Lateinamerika einnimmt, hatte in den vergangenen Wochen wiederholt Darstellungen aus den Depeschen unkritisch übernommen, sofern die Informationen etwa gegen Kuba und Venezuela zu verwenden war.

Während der Guardian die Medienente am Samstag klarstellte, druckten US-Medien wie die New York Post am Sonntag ungerührt die Falschinformation.