Portugal stimmt über Troika-Programm ab

Das Verfassungsgericht hat nun auch Teile der Arbeitsmarktreform vor den Wahlen am Sonntag gekippt, über die Kommunalwahlen wird im Fernsehen nicht berichtet

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Die konservative Regierung in Portugal sieht den Kommunalwahlen am Sonntag mit großen Sorgen entgegen. Ein neues Urteil der Verfassungsrichter hat diese am Donnerstag weiter verstärkt. Veränderungen beim Kündigungsschutz in der Arbeitsmarktreform wurden als verfassungswidrig gekippt, weil sie zu vage seien und unter anderem eine Sozialauswahl im Sommer 2012 abgeschafft wurde.

Obwohl Ministerpräsident Pedro Passos Coelho immer wieder den lokalen Charakter der Wahlen beschwört, werden sie zur großen Abrechnung mit der Politik der rechtskonservativen Regierung, die seit gut zwei Jahren im Amt ist. Deren Politik hat das Land tief in die Rezession geführt, während die Arbeitslosenquote auf Rekordwerte anstieg.

Zu einer Art Plebiszit über deren Kürzungs- und Sparpolitik will die gesamte Opposition sie machen. Wie die Gewerkschaften mit Generalstreiks hatten auch Sozialisten (PS), Kommunisten (CDU) und der Linksblock (BE) im Parlament und auf riesigen Demonstrationen immer wieder den Rücktritt der Regierung und vorgezogene Neuwahlen gefordert. "Diese Regierung verdient es, bestraft zu werden", sagte Manuel Alegre, der für die PS im Jahr 2006 Präsidentschaftskandidat war am späten Mittwoch bei einer Wahlkampfveranstaltung.

Angeführt wird dafür auch, dass das Verfassungsgericht immer wieder zentrale Kürzungspläne der Regierung als verfassungswidrig erklärt. Erst Ende August hat es das Vorhaben gekippt, mit dem die Konservativen Beamte – vor allem Lehrer- entlassen wollten. Zuvor wurden Rentenkürzungspläne, die Besteuerung von Arbeitslosen und Krankengeld, etc. gekippt. Schon im Frühjahr hatte das höchste Gericht der Regierung ein "Suchtverhalten" bei Verfassungsverstößen bescheinigt.

Linke und Kommunisten erhoffen sich Gewinne

Deshalb wird am Sonntag im ärmsten Land der EU bei den Wahlen zu Stadt- und Gemeindeparlamenten über die Politik entschieden, die Portugal im Rahmen der Rettungsmilliarden vor gut zwei Jahren von der Troika aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) verordnet wurde. Die die Linke erwartet klare Zugewinne gegenüber den Parlamentswahlen. Umfragen zeigen, dass die Sozialisten in der Hauptstadt Lissabon sogar mit einer absoluten Mehrheit rechnen können. Coelhos Sozialdemokratische Partei (PSD) – real konservativ – würde demnach auf 22,8% abstürzen. Dabei tritt sie nun in Koalition die rechten Volkspartei (CDS-PP) an, mit der sie in Koalition auch Portugal regiert. Interessant wird, ob die PSD ihre Hochburg in der zweitgrößten Stadt Porto verteidigen kann.

Die PS kann außer in Lissabon mit Bürgermeister António Costa, der zum dritten Mal antritt, nicht überall vom Absturz der Konservativen profitieren. Viele Wähler erinnern sich noch daran, dass sie lange die Kürzungspolitik mitgetragen hat. So könnte sie zum Beispiel die Industriestadt Matosinhos verlieren. Hier liegt der unabhängige Kandidat Guilherme Pinto bei sehr deutlich mit mehr als 36% vor dem PS-Kandidaten António Parada. Die PSD stürze sogar nur noch auf 10% ab.

Auch die Kommunisten hoffen wie der Linksblock auf gute Ergebnisse. CDU und BE wollen vom Unmut gegenüber den beiden großen Parteien profitieren. Die Kommunisten, die gemeinsam mit den Grünen und vielen unabhängigen Kandidaten antreten, hoffen landesweit auf ein zweistelliges Ergebnis. Sie regieren schon die Industriestadt Setúbal und weitere 37 Gemeinden und nach den Wahlen sollen weitere hinzukommen. Für ihren Generalsekretär Jerónimo de Sousa ist klar, dass diese Wahlen dazu dienen, "um die Ablehnung der Austeritätspolitik der Regierung deutlich zu machen". Es handele sich längst um eine "illegitime Regierung", die das Volk belogen habe, in ihm die keine Unterstützung mehr habe und gegen "die Verfassung und die Interessen des Landes regiere". Er hofft, dass sie nach diesen Wahlen nicht mehr um vorgezogene Parlamentswahlen herumkommt. Wegen einer Koalitionskrise standen die ohnehin schon fast an.

Den kleineren Parteien kommt zugute, dass bei diesen Wahlen die Fernsehsender nicht über den Wahlkampf berichten. Sie kommen deshalb mit ihrer Politik, mit Ständen und Aktionen besser zum Vorschein. Erstmals seit Nelkenrevolution und dem Ende der Diktatur 1974 hatten die Fernsehsender angekündigt, weder Debatten der Kandidaten zu übertragen noch deren Kampagnen zu verfolgen. Der öffentlich-rechtliche RTP und die beiden großen Privatsender SIC und TVI argumentierten, sie hätten dafür nicht die Mittel. Denn das Wahlgesetz schreibt vor, dass alle Kandidaten die gleiche Berichterstattung erhalten müssen, damit sie nicht von den Kandidaten der großen Parteien bestimmt wird. Dem Ministerpräsident ist das mit Blick auf mögliche baldige Neuwahlen ein Dorn im Auge. Er kündigte eine Veränderung des Wahlgesetzes an, weil sich dies "nicht wiederholen darf".

Coelho versucht auf schönes Wetter zu machen und spricht von positiven Daten, weil angesichts des Tourismussommers die Wirtschaft im zweiten Semester wieder gewachsen und die Arbeitslosenzahl gesunken ist. Doch niemand glaubt, dass das nachhaltig ist. Die Industrieproduktion schrumpfte im Juli stark. An den Finanzmärkten steigt der Risikoaufschlag für Staatsanleihen wieder und Zinsen für zehnjährige Anleihen sind wieder über die Marke von 7% geklettert. Es wird erwartet, dass das Land im nächsten Jahr nicht nur neue Rettungsmilliarden braucht, sondern angesichts der extremen Verschuldung von fast 130% des Bruttoinlandsprodukts auch einen Schuldenschnitt. Das Wall Street Journal vermutet sogar, dass sich "über Portugal ein Sturm zusammenbraut".