Abwrackprämie: Zuviel des Guten für Hartz-IV-Empfänger?

Am Ende profitieren nur Politiker von der Auto-Prämie - das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen entschied heute, dass die Umweltprämie Hartz-IV-Empfängern als leistungsmindernd angerechnet werden soll

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Hartz-IV-Bezieher müssen sich die Wahlkampfprämie, besser bekannt unter den Namen "Abwrackprämie" (bzw. grünlackiert als "Umweltprämie"), als leistungsmindernd anrechnen lassen.

Laut einer Entscheidung, die das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen heute in Essen getroffen hat, beinflusst die Gewährung der Abwrackprämie "die Lage ihres Empfängers so günstig [...], dass daneben die Leistungen, die Arbeitssuchende nach dem SGB II erhalten, nicht gerechtfertigt wären".

Die Begründung des Gerichts: Der Hartz-Empfänger, geklagt hatte ein solcher aus Bochum, profitiert von der Abwrackprämie für den privaten Konsum. Somit sind die "erheblichen Geldmittel in mehrfacher Höhe einer monatlichen Regelleistung" auf das gleiche ausgerichtet wie die monatlichen Grundsicherungsleistungen und als zusätzliche Einnahme anzurechnen. Selbst wenn die Essener Richter anerkennen, dass es sich bei einem neuen Auto um ein "längerlebiges und höherwertiges" Verbrauchsgut handelt, setzen sie einen Unterschied etwa zur Eigenheimzulage, die den Hartz-IV-Leistungen nicht mindernd angerechnet wird:

"Denn anders als bei der Anschaffung eines PKW diene die Eigenheimzulage der langfristigen - in der Regel so gut wie lebenslangen - Absicherung des verfassungsrechtlich besonders geschützten Grundbedürfnisses des Wohnens."

Nach Auffassung der Landessozialrichter wird dem Hartz-IV-Empfänger nur ein "vorhandenes, angemessenes Fahrzeug" anrechnungsfrei gewährt. Das darf er behalten. Wenn er dagegen ein neues kauft, wird ihm die ggf. gewährte Umweltprämie als Hartz-IV-leistungsmindernd angerechnet.

Das ist allein auf der symbolischen Ebene ein merkwürdiges Urteil. So war doch in den geräuschvollen Appellen, in denen die Politiker die Prämie für den Neuwagenkauf als Gegenmaßnahme zur großen Krise ausriefen, deutlich das solidarische Moment herauszuhören: Industrie und Konsumvolk stemmt euch vereint gegen die Krise. Jetzt zeigt sich durch die Brille der Richter, dass die Solidarität vor allem der Autoindustrie galt. Deren Geschäft durfte durch die Lockung der Prämien (allerdings nur sehr kurzfristig) angekurbelt werden, der Geldbeutel der Ärmeren darf sich damit nicht füllen - was, da die Prämie im Nachhinein gezahlt wird, also nachdem der alte Wagen nachweislich verschrottet und der neue gekauft wurde, auch nicht der Fall ist.

(Ergänzung: Wie die Financial Times heute PricewaterhouseCoopers-Studie-Deutschen-Autobauern-droht-lange-Krise/540354.html: berichtet, sinkt die deutsche Autoproduktion 2009 um rund 14 Prozent - trotz Abwrackprämie. Laut der Studie einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft werden dieses Jahr rund 750.000 Fahrzeuge weniger die Werkshallen verlassen. Die Durststrecke der deutschen Autobauer wird länger dauern, prognostiziert PricewaterhouseCoopers (PwC)).

Die praktischen Gewinner der Abwrack-Symbolpolitik sind die Politiker, die als einzige von der kurzen euphorischen Phase der Prämie profitieren könnten (außer den Herstellern von Importfahrzeuge - die PricewaterhouseCoopers-Studie-Deutschen-Autobauern-droht-lange-Krise/540354.html: "Gewinner des Nachfragebooms"). Bis zur Wahl im Herbst schlägt das negative Echo des Abwrackprämien-Hypes hierzulande wahrscheinlich noch nicht richtig durch.

Auf der sachlichen Ebene könnte man dem Gericht entgegenhalten, dass ein benzinsparender Neuwagen "für so manchen ALGII-Empfänger eine durchaus sinnvolle Investition durch das vorhandene Schonvermögen ist" (siehe dazu: Abwrackprämien, Abfindungen und ALGII). Das könnte nicht zuletzt auch das soziale Vermögen schonen.