Bevölkerungsschwund als Chance?

Statistisches Bundesamt: Die Bevölkerung im Osten Deutschlands wird "besonders schnell zurückgehen und altern"

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Hört man auf die Klagen von Eltern, die von teilweise grotesken Bemühungen erzählen, einen Krippenplatz oder, noch schwieriger, einen Platz für die Tagesbetreuung von Schulkindern zu ergattern, dann nimmt sich der Trend, den das Statistische Bundesamt in seiner "Bevölkerungsvorausberechnung" im November letzten Jahres ermittelt hat, in etwa so aus wie Erderwärmungsstudien an endlos klirrend kalten Wintertagen.

Die Zahl der jungen Mitbewerber um die begehrten Einsichtungsplätze sei so üppig wie zu Zeiten des Babybooms, heißt es öfter. Doch ist das wohl die subjektive Sichtweise einer privilegierten Mitte-Elite, die sich in den gentrifizierten Fertilitätsviertel in München, Glockenbach, oder in Berlin, Prenzlauerberg, heimisch gemacht hat. Die weiter reichende, amtliche Sicht der Bundesstatistiker lässt demgegenüber einen signifikanten Trend zu Bevölkerungsschwund und Überalterung erkennen.

Die Bevölkerung wird bis zum Jahr 2060 von den gegenwärtigen 82 Millionen Menschen auf voraussichtlich nur noch 65 bis 70 Millionen schrumpfen, die Alterstruktur wird sich erheblich verändern: "Heute sind 20% der Bevölkerung 65 Jahre oder älter, im Jahr 2060 wird dann jeder Dritte mindestens 65 Lebensjahre durchlebt haben, jeder Siebente wird sogar 80 Jahre oder älter sein", so lautete das Resüme der "12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung" im Herbst letzten Jahres.

Ostdeutschland: Bereits 2030 15 Prozent weniger Einwohner, jeder dritte Einwohner wird 65 Jahre sein oder älter

Heute veröffentlicht das Statistische Bundesamt eine Ergänzung zu diesen Ergebnissen. Demnach trifft der Schrumpfungs-und Überalterungstrend besonders die neuen Bundesländer (außer Berlin): Die Bevölkerung im Osten Deutschland wird "besonders schnell zurückgehen und altern", gibt das Amt bekannt:

"In den neuen Bundesländern (ohne Berlin) werden 2060 rund 37% weniger Menschen als im Jahr 2008 leben und 36% von ihnen werden 65 Jahre und älter sein. Besonders schnell wird diese Entwicklung in den kommenden zwei Jahrzehnten voranschreiten: Bereits um 2030 wird die Bevölkerungszahl in den neuen Ländern um 15% niedriger sein als heute und jeder dritte Einwohner wird 65 Jahre oder älter sein."

In den westlichen Flächenländern wird die Bevölkerung nach den Destatis-Berechnungen in den nächsten zwei Jahrzehnten um lediglich 4% und bis zum Jahr 2060 um 19 Prozent zurückgehen (verglichen mit den Zahlen aus dem Jahr 2008).

Die Zahl der Personen im "Erwerbsalter", amtlich zwischen 20 bis 64 Jahren veranschlagt, beträgt derzeit etwa 50 Millionen. Für Deutschland im Jahr 2060 berechnen die Statistiker - abhängig vom Ausmaß der angenommenen Zuwanderung - einen Rückgang von 27 oder 34 Prozent. Der "Altenquotient" - die Anzahl der Menschen im Rentenalter je 100 Personen im Erwerbsalter - würde von jetzigen 34, auf über 50 im Jahr 2030 und auf 63 bis 67 im Jahr 2060 steigen.

Für Ostdeutschland sehen die Zahlen noch drastischer aus. Der Altenquotient liegt derzeit bei 37 Prozent und könnte bis 2030 auf 68 steigen. 2055 wird er 82 erreichen und danach wieder sinken, weil dann die geburtenschwachen Jahrgänge ins Rentenalter kommen.

"Mit wenigen Menschen lebt es sich angenehmer"

Das Bundesamt betont, dass es sich bei den Zahlen um keine Prognosen handelt, die Berechnungen fußen auf der Fortsetzung der gegenwärtigen demografischen Trends. Es kann also erstens anders kommen und zweitens müssen die Aussichten nicht unbedingt als düster gewertet werden: "Mit wenigen Menschen lebt es sich angenehmer", so die Klage eines Großstadtbewohners, der von seinem Nachbarn mit täglichen Gepolter heimgesucht wird. Er vergleicht die landschaftlich schönen, aber wenig besiedelten Länder im Osten Deutschlands mit den Hamptons, dem Naherholungsgebiet der reicheren New Yorker. Mecklenburg-Vorpommern und die Uckermark als Hamptons für Berliner? Die Gutsbesitzer in der Uckermark würden ihm vielleicht recht geben mit diesem Standortvorteil. Ob der Rest der Ortsansässigen dies auch so sieht, ist nicht bekannt.