Massenproteste gegen Finanzmarkt-Putsch in Spanien

Hunderttausende gingen am Jahrestag des Militärputschs 1981 in 80 Städten friedlich gegen den "Putsch der Finanzmärkte" und Korruption auf die Straße

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"Hände hoch, das ist ein Überfall", schallte es wie nie zuvor durch spanische Städte. Unzählige Menschen waren am Samstag an dem Tag auf die Straßen gegangen, der eine ganz besondere Bedeutung hat. 300 Organisationen hatten zu Massenprotesten am 23. Februar in mehr als 80 Städten aufgerufen, um vereint für eine "wirkliche Demokratie" und gegen die Regierung und die Korruption zu demonstrieren. Genauere Zahlen liegen nicht vor, aber allein in den Metropolen Madrid und Barcelona sollen nach Angaben der Veranstalter Hunderttausende protestiert haben. In der Hauptstadt zogen vier Marschsäulen ins Zentrum und in der katalanischen Metropole sogar sechs.

Vor genau 32 Jahren hatten Einheiten der paramilitärischen Guardia Civil das Parlament in Madrid gestürmt und die Parlamentarier als Geiseln genommen. Den Jahrestag nutzten nun Ärzte und Krankenschwestern, Lehrer und Schüler, Minenarbeiter und Iberia-Angestellte, Beamte, geschädigte Bankkunden sowie von Räumung bedrohte Wohnungsbesitzer für ihren Protest gegen einen "Finanzmarkt-Putsch". Sie richteten sich gegen "die steigende Rekordarbeitslosigkeit, die Angriffe auf das Gesundheits- und Bildungswesen, die sozialen Rechte und die Umwelt", hieß es in einer Erklärung, die auf den Abschlusskundgebungen verlesen wurde.

Wie der 72-jährige Felipe Ruiz erinnerten sich Viele noch gut an den Putsch 1981. Gerade sechs Jahre nach dem Tod des Diktators Franco versuchten Militärs erneut die Macht an sich reißen. "Das war ein Militärputsch, aber nun erleben wir einen sozialen und ökonomischen Staatsstreich", sagte er. Er hat vor den Entwicklungen nun so viel Angst wie 1981. Er will aber keine "Finanzdiktatur" hinnehmen, weshalb ihn auch die Eiseskälte nicht vom Protest abhielt.

"Wahnsinn", bezeichnete es die junge Maria, dass das Parlament von 2000 Polizisten hermetisch vor friedlichen Demonstranten abgeriegelt worden war. Die Schülerin sieht sich vom Parlament nicht mehr vertreten. Die Distanz zum Volk könne nicht besser gezeigt werden, meint sie. Hunderte Feuerwehrleute hatten "im Dienst am Menschen" eine zusätzliche Sperre gebildet, um Übergriffe verhindern. Auch sie protestieren und weigern sich, bei Zwangsräumungen eingesetzt zu werden. Sie seien zur "Rettung von Menschen" da und nicht zur "Rettung von Banken", die mit Milliarden gestützt werden, obwohl sie zentral für die Krise verantwortlich seien. Ihren Opfern helfe niemand, erklärt Javier unter seinem Brandschutzhelm mit Blick auf 400.000 Zwangsräumungen seit Beginn der Krise. Es ist bekannt, zuletzt bei der Einkreisung des Parlaments im vergangenen September, dass vermummte Polizisten die Krawalle angezettelt haben.

Auch der Justizangestellte Fernando Buendía sprach von einer Art institutionellem Putsch. Der führte vergangene Woche dazu, dass Richter und Staatsanwälte erstmals gemeinsam gegen die Regierung gestreikt haben. Die Justizreform bezeichnet er als "Anschlag auf Grundrechte". Mit Gebühren werde verarmten Menschen der Zugang zur Justiz versperrt. Zudem werde die "Unabhängigkeit der Justiz abgeschafft". Die Regierung wolle nun den Kontrollrat für Justizgewalt nach ihrem Gutdünken neu besetzen. Es sollen "rechtlose Räume" entstehen, von denen auch korrupte Politiker profitierten, hieß es in der Streikerklärung.

Korruptionsskandale haben das massive Aufbegehren begünstigt. Von Ministerpräsident Mariano Rajoy wurde der Rücktritt gefordert. Die Hinweise erhärten sich, dass führende Mitglieder seiner Volkspartei (PP) lange Jahre vom ehemaligen Schatzmeister hohe Bargeld-Summen in Briefumschlägen als "Zusatzlohn" erhielten, während er die Schere am Sozialsystem ansetzt. Über eine besondere "Buchführung", in denen "Einnahmen und Ausgaben" verzeichnet sind, hatte Luis Bárcenas Ende Dezember bei einem Notar eine Erklärung abgegeben. Kurz zuvor wurde in Schweiz ein Schmiergeldkonto entdeckt, auf dem er über 22 Millionen Euro verfügte. Rajoy soll mit über 300.000 Euro sogar die höchste Gesamtsumme erhalten haben.

Im sich auflösenden Spanien wird längst von einer Staatskrise gesprochen, denn neben der Regierung steht auch die Monarchie unter massiver Kritik. Das hat auch mit der Anklage gegen den König-Schwiegersohn Iñaki Urdangarin zu tun, der am Samstag erneut wegen Korruption vor dem Richter erscheinen musste. Sein früherer Geschäftspartner Diego Torres versucht mit Dokumenten zu belegen, dass neben ihm auch die Königstochter an die Veruntreuung von Steuermillionen beteiligt war.

Die Vorgänge seien von König Juan Carlos gedeckt worden, behauptet Torres. Er verfüge über weitere Dokumente, das "Königshaus verschwindet", meint er, wenn diese Daten an die Öffentlichkeit gelangten. Im Königspalast haben offensichtlich unter königlicher Vermittlung Treffen stattgefunden, um dem Schwiegersohn Zugang zu Steuermillionen zu verschaffen. Ein neue "Transición" (Übergang) und die Abschaffung der Monarchie werden immer lauter gefordert. Dafür standen die zahllosen Fahnen der zweiten Republik. Gegen die hatten die Generäle unter Franco 1936 geputscht. Der Übergang zur Demokratie sei im Ansatz stecken geblieben. Denn der Diktator hatte zuvor die Monarchie restauriert und Juan Carlos zu seinem Nachfolger ernannt. Dass Juan Carlos mit den Putschisten 1981 sympathisierte, ist kein Geheimnis. Einige der Anführer behaupten gar, er sei mit von der Partie gewesen.