Zur Politik des Wassers

Ein paar Gedanken zu einem öffentlichen Gut, das zugleich Medium und Lebensquell, Ware und Waffe ist

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Zugegeben, es bereitet großes Vergnügen, an schwülen Tagen oder nach einem heißen Sonnenbad am Strand in die kühlenden Fluten eines Sees oder Meeres zu springen und sich danach ein paar Minuten von den Wellen des Wassers tragen zu lassen. Doch stundenlang im Wasser zu treiben, ist gewiss nicht jedermanns Sache. So mancher sucht, nachdem eine kühlende Frische den Körper (oder ist es doch der Geist?) durchdrungen hat, schnell wieder an Land zu kommen, um, so scheint es wenigstens, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.

Wasser als Herausforderung

Evolutionsbiologisch ist das eine durchaus verständliche Reaktion. Obgleich wir aus dem Wasser kommen und auch unser Körper zu siebzig Prozent aus Wasser besteht, haben wir uns (warum auch immer) das Land als die uns gemäße und uns passende Umgebung gewählt. "Landtreter" sind wir (so eine Vermutung) geworden, weil wir nach einem festen Standpunkt streben, nach Festland sozusagen, und uns nur ungern auf Schwankendes, Fließendes und Ungewisses einlassen.

Im Umkehrschluss heißt das freilich nicht, dass es nicht immer auch Zeitgenossen gegeben hat und noch gibt, die die Herausforderung, die das Wasser und die unendlichen Weiten des Meeres ihnen bieten, eigens suchen oder gesucht haben, um die ewige Wiederkehr zu unterbrechen, den der Alltag mit sich bringt und die Sonne jeden Tag aufs Neue vollzieht. Stets spürt der Mensch auch die Kraft und den Willen in sich, zu neuen Ufern oder in noch unbekannte Räume aufzubrechen, seine und die Grenzen anderer immer weiter zu verschieben und Natur und Dasein durch die eigene Tat geschichtlich zu verändern.

Wasser als Medium der Macht

Neben einzelnen Entdeckern und Abenteurern, Walfängern und Piraten, waren das, historisch betrachtet, häufig auch Völker, deren Territorien von Wasser umspült waren und die sich von ihm quasi gefangen und eingesperrt fühlten. Und da sie auf dem Land, auf dem sie lebten, herzlich wenig Rohstoffe, Bodenschätze oder Ressourcen vorfanden, um ihre Lebenslage zu verbessern, waren sie gezwungen, ihr Heil im Maritimen zu suchen und dem Handel statt dem produzierendem Gewerbe den Vorzug zu geben.

Darum kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Land- und Seemächten, von denen die Weltgeschichte voll ist und von denen uns Geschichtsbücher und Historiker erzählen. Bekannt sind vor allen die zwischen Griechen und Persern, Römern und Phöniziern, Russen und Engländern bzw. Amerikanern, was am Ende immer auch die Gründung von Großreichen oder gar Imperien zur Folge hatte.

Wasser als Lebensquell

Außer solchen geostrategischen Fragen und Politiken, die die Welt, nebenbei bemerkt, immer wieder mal in ein blutiges Chaos mit unzähligen Opfern gestürzt hat, ist Wasser aber auch und vor allem Grundvoraussetzung allen Lebens. Über sauberes Trinkwasser zu verfügen, ist, zumindest außerhalb der westlichen Welt und der asiatischen Speckgürtel, immer noch eine Überlebensfrage.

Nach Schätzungen der UN Anfang des Jahrtausends besitzt jeder sechste Erdbewohner keinen Zugang zu ihm. Knapp vierzig Prozent von ihnen müssen auf sanitäre Einrichtungen weitgehend verzichten. Pro Jahr sterben allein an wasserbedingten Krankheiten über zwei Millionen Menschen, mehrheitlich Kinder unter fünf Jahren.

Hinzu kommt, dass das Wasser auf der Erde ungleich verteilt ist und daher das Trinkwasserproblem die Menschen sehr unterschiedlich trifft. Es gibt Regionen, die Wasser im Überfluss haben, wie die Nordländer. Sie können es sich leisten, Rasen, Golf- und Fußballplätze großflächig zu besprengen und ihr Trinkwasser aus einem zunehmend prosperierenden Wasserflaschenmarkt zu beziehen. Das Hotel Adlon am Brandenburger Tor in Berlin hält für seine Gäste gar hundert verschiedene Mineralwassersorten bereit, die von einem eigens dafür engagierten Wassersommelier empfohlen werden.

Wasser als knappes Gut

Es gibt aber auch Gebiete, die über kein oder kaum Wasser verfügen, weil dafür die nötigen Niederschläge fehlen. Beseitigen die einen ihren Wassermangel dank sprudelnder Ölquellen mit teuren Entsalzungsanlagen, können sich andere das aufgrund ihrer geografischen Lage oder Armut nicht leisten. Schließlich gibt es auch Gegenden, wo lang anhaltende Trocken- und Dürreperioden jede Wasserquelle oder Oase versiegen lassen, und dies auch zu großen Hungersnöten oder gar -katastrophen führt wie gerade jetzt am Horn von Afrika.

Sowohl der annoncierte Klimawandel als auch der stetig wachsende Wasserverbrauch, versiegende Trinkwasserressourcen oder der erwartete Anstieg der Weltbevölkerung auf neun Milliarden könnten die globale "Wasserkrise" rasch forcieren und den sozialen Frieden, die Wirtschaft, die Unabhängigkeit und die Sicherheit verschiedener Länder gefährden.

Da Wasser ständig im Fluss ist und in aller Regel nicht vor Landesgrenzen halt macht, kann es auch nicht so leicht verteilt werden wie Land. Um Wasser und seine Vorräte gemeinschaftlich nutzen zu können, braucht es daher immer politischer Übereinkünfte unter den einzelnen Anrainerstaaten. Ein Versagen oder politisches Fehlverhalten auf diesem Gebiet kann daher zu tiefen Krisen und heftigen Konflikten führen.

Daher hat man bereits Anfang der Siebziger des letzten Jahrhunderts auf einer UN-Weltkonferenz, die in Stockholm stattfand, versucht, den umwelt-, wirtschaftlich- und politisch gerechten Umgang mit Wasser multilateral zu regeln. Recht weit ist man damit aber in den letzten vierzig Jahren trotz diverser Nachfolgekonferenzen nicht gekommen.

Wasser als Ware

Mehr als zu wortreichen Absichtserklärungen wie a) bis 2015 den Anteil der nicht mit Trinkwasser Versorgten zu halbieren, oder b) jenen Teil der Bevölkerung, der über keine sanitären Anlagen verfügt, drastisch zu senken, hat es aber nicht gereicht. Weder ist es gelungen, die Trinkwasserressourcen nachhaltig zu bewahren, noch die Versorgung der Bevölkerung mit Wasser zu sichern oder die Kämpfe um sie politisch einzuhegen.

In manchen Gebieten hat man deshalb Anfang der Neunziger Jahre begonnen, die "Weltwasserkrise" in Eigeninitiative zu lösen. Man hat sich vom Gemeingut Wasser verabschiedet, das Wasser zum wirtschaftlichen Faktor gemacht und die Wasserversorgung privatisiert. Diese Herangehensweise an das Problem wird von der Überzeugung getragen, dass der Markt die Wasserknappheit besser meistern kann als Staat oder Kommunen.

Richtig daran ist, dass private Akteure, auch dank der Konkurrenz, bessere Gemeinwohlleistungen erbringen könnten als staatlich kontrollierte; richtig ist aber auch, dass Dienstleister das nicht immer an den richtigen Stellen tun, weil sie vor allem Eigentümern, Renditevorstellungen und Profiten verpflichtet sind. Folgerichtig hat die Weitergabe der Kosten an die Verbraucher dann auch zu rapide steigenden Wasserpreisen (an die Brotpreise in Tunesien und Ägypten sei erinnert) geführt, die bisweilen in blutigen Zusammenstößen zwischen Bürgern und Armee und gar der Verhängung des Ausnahmezustands endeten.

Petra Dobner weist in ihrem Buch "Wasserpolitik" (Suhrkamp, Berlin 2010) auf den Fall Bolivien hin, wo die Bürger endlich eine Kündigung des Vertrages durchsetzten, woraufhin der private Dienstleister vor einem Schiedsgericht der Weltbank Schadenersatz in zweistelliger Millionenhöhe vom bolivianischen Staat für verlorene Investitionen und entgangene Gewinne verlangte. Wenn ich mich nicht irre, diente der Konflikt (zumindest in Teilaspekten) auch als Vorlage für den Bond-Film "Ein Quantum Trost" mit Daniel Craig.

Wasser als Waffe

Nicht immer aber ist das Wasserproblem national lösbar. Nicht immer gibt es einen autokratischen Staat, der über den Bau eines "Drei-Schluchten-Damm" einfach verfügen, Millionen von Menschen zwangsumsiedeln und solche Großprojekte trotz ökologischer Bedenken politisch durchsetzen kann.

So sei in diesem Zusammenhang an das Südanatolienprojekt der Türkei erinnert, an das Vorhaben, die Wasserläufe von Euphrat und Tigris mit riesigen Dammbauten zu stauen, um mit dem Wasser die Steppen und Wüsten Anatoliens fruchtbar zu machen. Von den An- und Unterrainern wird die Absicht des Oberrainers mit Argwohn und großer Sorge beobachtet. Ein Versiegen dieser beiden Flüsse würde Syrien oder den Irak in ihrem Lebensnerv empfindlich treffen. Mal abgesehen von der Möglichkeit der Türkei, den Nachbarn jederzeit das Wasser "abdrehen" zu können.

Als besonders schwierig gestaltet es sich, wenn das Problem ausreichender Wasserversorgung noch von sozialen, politischen oder gar ethnischen und religiösen Konflikten überlagert wird. Palästina ist so ein Spezialfall ( Wasserkrise in Nahost).

Bekanntlich leiden alle Anrainer in der Region unter extremen Wassermangel. Unter dem Boden des Jordanlandes lagern jedoch erwiesenermaßen riesige Wasserreservoirs, die sowohl Jordanier und Syrer als auch Israelis, Libanesen und Palästinenser für sich reklamieren. Bislang hat man dafür keinen alle zufrieden stellenden Wasserverteilungsschlüssel gefunden. Da Israel aber den Großteil des Wassers konsumiert, findet dort eine Art "Wasser-Intifada" statt, bei der auch das Kanalisationssystem einbezogen wird. Um das Trinkwasser der jeweils anderen Seite ungenießbar zu machen, pumpt jede Seite ihre Kloake auf das Gebiet des anderen.

Wasser ist mithin nicht nur Erfrischungsgetränk, Lebensquell und Lebenselexier für das begonnene "Wassermannzeitalter", Wasser ist auch "Medium", "Ware", "Instrument" und "Waffe" zugleich. Demzufolge geht es in der politischen Realität nicht immer, wie die Anhänger der Globale Governance Bewegung meinen, um die Lösung kollektiver Probleme, sondern eben auch oder gar primär um "Machtgewinn und Machterhalt". Die Forderung nach einem Menschenrecht auf "sauberes Wasser", wie sie von politisch engagierter Seite beizeiten erhoben wird, wird daran wenig ändern, solange die Ressource "Wasser" alle diese genannten Eigenschaften auch hat.