Haus für 300 Dollar

Architekten und Ökonomen tüfteln an einer für Slumbewohner bezahlbaren Unterkunft.

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Von
  • Peter Glaser

Architekten und Ökonomen tüfteln an einer für Slumbewohner bezahlbaren Unterkunft.

Vijay Govindarajan, heute Professor für International Business am Dartmouth College in New Hampshire und einer der weltweit führenden Innovationsexperten, kennt Wohnungsnot aus seiner Heimatstadt Madras in Südindien. Sein Schulweg führte ihn jeden Tag durch einen der Slums der Stadt. Govindarajan ist der Ansicht, dass sich große Unternehmen daranmachen sollten, diese Art von Problem zu lösen. "187 Milliarden Dollar Marktvolumen – hat jemand Interesse?", fragt er rhetorisch. Zwei Milliarden Menschen leben in Armut, etwa 625 Millionen Familien weltweit haben keinen Wohnraum. Gäbe es ein Haus für 300 Dollar und könnte man es für jede von ihnen bauen, ergäben sich eben jene 187 Milliarden Dollar. Dabei sind Produkte und Dienstleistungen, die in einem solchen neuen Ökosystem entstehen können, noch nicht eingerechnet.

Den ersten Entwurf für ein 300-Dollar-Haus zeichnete Govindarajan auf eine Papierserviette. Außer Dach und Wänden gehörte noch ein Wasserfilter zur Grundausstattung, eingebaute Betten mit Moskitonetz, ein Solarpanel nebst Solarkocher – und ein Tablet-PC. Im August 2010 veröffentlichten Govindarajan und der Strategieberater Christian Sarkar, er stammt ebenfalls aus Indien, ein detailliertes Konzept in Form eines Blogpostings in der "Harvard Business Revue". Die Resonanz war überwältigend. Ideen und kritische Anregungen aus der ganzen Welt flossen in das Projekt. Manche stellten den Nutzen des Tablet-Rechners infrage, er würde das knappe Budget für Dinge mindern, die möglicherweise sinnvoller wären, etwa einen Platz für Lebensmittel oder eine Toilette. Govindarajan aber ist der Auffassung, dass der direkte Zugang zu Informationen ein fundamentaler Baustein zur Überwindung von Armut ist.

Die Herausforderungen beim Entwurf einer Billigbleibe sind groß. Sie reichen von der Frage des Grundbesitzes über die Finanzierung etwa durch Mikrokredite bis hin zum Baumaterial. Dennoch sehen die beiden Ideengeber im Wohnungsbau für Arme eine Riesenchance für die Wirtschaft. "Wir müssen an das Profitstreben appellieren", sagt Govindarajan. Zudem sollen Neuerungen nach dem von ihm erdachten Prinzip der "Reverse Innovation" zuerst in den Entwicklungsländern Anwendung finden, ehe sie in den Industrieländern auf den Markt kommen – nicht wie bisher umgekehrt.

Für den Professor gehört der Preis auch mit zum Markenzeichen der Idee, wie zum Beispiel beim 100-Dollar-Laptop. Und warum gerade 300 Dollar? In den USA beliefen sich die geschätzten Kosten für ein derartiges Haus, einen wohnwagengroßen Wohncontainer, auf rund 3000 Dollar. Einer Faustregel entsprechend wären das etwa 300 Dollar in einem Entwicklungsland – jeweils nur für das Material, ohne Grundstückskosten.

Das Ziel ist keineswegs illusorisch. Eine Reihe von Unternehmen sind bereits auf dem Weg zum 300-Dollar-Haus, darunter auch der indische Tata-Konzern. Mit dem Kleinstwagen "Tata Nano" für 2500 Dollar hat die Firma bereits ein superbilliges Massenprodukt auf den Markt gebracht. Nach ersten Tests vor zwei Jahren bietet Tata nun auch sogenannte "Nano-Häuser" an: Für umgerechnet rund 540 Euro gibt es einen Bausatz aus schlichten Leichtbeton-Fertigteilen. Das 20 Quadratmeter große Haus lässt sich in ein paar Tagen selbst aufbauen. Auch eine größere Version mit 30 Quadratmetern ist verfügbar.

"Crowdstorm" nennt Christian Sarkar die beachtliche Resonanz auf die Idee des 300-Dollar-Hauses. Die deutsche Online-Kreativplattform jovoto etwa veranstaltete 2011 eine "$300 House Challenge", bei der die besten Konzepte mit 25.000 Dollar prämiert wurden, so auch der Siegerentwurf von Patti Stouter. Bei einem nachfolgenden Workshop am Dartmouth College brachten Architekten und Designer Verbesserungsvorschläge ein. Aus diesen ganzen Ideen entstehen gerade zwei Pilotprojekte auf Haiti. ()