Zeitungsverleger: Behörden setzen Presse in Deutschland unter Druck

Staatliche Institutionen fühlten sich offenbar zum Schutz der Bevölkerung auch zu Aktionen jenseits von Recht und Gesetz motiviert, sagt der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger in einem dpa-Interview zum Welttag der Pressefreiheit.

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Von
  • Esteban Engel
  • dpa

Die Pressefreiheit in Deutschland steht nach Worten von Zeitungsverleger-Präsident Helmut Heinen unter dem wachsenden Druck von Behörden. Staatliche Institutionen fühlten sich offenbar zum Schutz der Bevölkerung auch zu Aktionen jenseits von Recht und Gesetz motiviert, sagte der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) in einem dpa-Interview zum Welttag der Pressefreiheit an diesem Samstag. Jüngstes Beispiel sei die Abhöraktion des Bundesnachrichtendienstes (BND) gegen eine Spiegel-Journalistin.

Vorratsdatenspeicherung, Einschränkung des Quellenschutzes, BND-Affäre – wie gefestigt ist die Pressefreiheit in Deutschland?

Heinen: Deutschland ist eines der wenigen Länder, in denen die Pressefreiheit nicht nur im Grundgesetz verankert, sondern täglich gelebte Praxis ist. Es wäre absolut unredlich, die Situation bei uns mit der in China oder Weißrussland vergleichen zu wollen. Gleichwohl habe ich den Eindruck, dass die zahlreichen aktuellen Gesetzesvorhaben etwa zur Vorratsdatenspeicherung oder zur heimlichen Online-Durchsuchung privater PCs ein Klima schaffen, in dem sich staatliche Institutionen zum Schutz der Bevölkerung auch zu Aktionen jenseits von Recht und Gesetz motiviert fühlen können. Wie eben jüngst der BND – und da müssen wir gegenhalten.

Die Olympischen Sommerspiele finden in China statt, einem Land ohne Pressefreiheit. Die Verlegerverbände haben von China Zeichen einer Liberalisierung gefordert. Wäre nicht ein Boykott die richtige Antwort?

Heinen: Die Verantwortlichen wussten ja, in was für ein Land sie die Spiele vergaben. Und die Wahl Chinas war, auch bei den Medienverantwortlichen, von großen Hoffnungen auf Öffnung begleitet. War das naiv? Wurde zu schnell zu viel erwartet? Meine Kollegen beim Weltverband der Zeitungen wie auch wir beim BDZV suchen jedenfalls jede Gelegenheit, auf die unerträglichen Verstöße gegen die Menschenrechte und die inakzeptable Beschneidung einer freien Berichterstattung in China hinzuweisen. Wir fordern die unverzügliche Freilassung der inhaftierten chinesischen Journalisten und sogenannten Cyber-Dissidenten, die hinter Gittern sitzen, weil sie ihre Arbeit gut gemacht haben, nämlich Missstände zu recherchieren und darüber zu informieren. Wie nie zuvor steht China heute im Interesse der Weltöffentlichkeit. Ein Boykott könnte da wirklich nur das letzte Mittel sein.

Viele Zeitungen haben sich geweigert, die Mohammed-Karikaturen nachzudrucken – aus Furcht vor Repressalien. Nur ein paar Blätter druckten die Karikaturen. Wie weit darf der vermeintliche Respekt vor den Religionen gehen?

Heinen: Meiner Ansicht nach war es vertretbar, dass die Zeitungen die Karikaturen gezeigt haben. Denn die deutschen Leser mussten sich ein Bild davon machen können, wovon der seinerzeit durch dänische Zeitungen losgetretene Streit eigentlich handelte. Allerdings gehörte dann nach meiner Einschätzung auch eine Erläuterung dazu, dass das Stilmittel der Karikatur mit der Verletzung des im islamischen Glauben verankerten Bilderverbots an Grenzen geht. Im Übrigen macht es in Fällen wie diesen die weltweite Vernetzung leider heute viel leichter und schneller möglich, dass Überzeugungen und Werte im vorgeblichen "Kampf der Kulturen" von jeweils interessierter Seite missbraucht werden.

Vor dem Hintergrund der Medienkonkurrenz nehmen einige Redaktionen Verletzungen des Pressekodex in Kauf. Sorgen diese Übertretungen nicht selber dafür, dass Pressefreiheit in Misskredit gerät?

Heinen: Beschwerden über Verletzungen des Pressekodex geht ein Gremium nach, das allzu leicht unterschätzt wird, der Deutsche Presserat. Wer schon einmal erlebt hat, wie bitter sich Redaktionen durch eine Rüge dieses Selbstkontrollgremiums getroffen fühlen, erkennt sehr schnell, dass Verletzungen des Pressekodex eben gerade nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Unsere Branche befindet sich in einer ständigen und häufig sehr öffentlich ausgetragenen Diskussion über Qualität, wobei die hohe Glaubwürdigkeit der Zeitungen sicher das wichtigste Kriterium ist, um das und für das wir immer wieder kämpfen müssen, gedruckt und auch online.

Die Bundesregierung hat eine Nationale Initiative Printmedien gestartet. Wie nötig hat die Zeitungsbranche die Hilfe – und die Nähe – des Staates?

Heinen: Um allen Missverständnissen vorzubeugen: Der deutsche Zeitungsmarkt ist stabil, die Zeitungsverleger brauchen und wünschen keine Subventionen oder "Wohltaten" vom Staat. Wir wehren uns allerdings gegen ständige, wachsende Zumutungen der Politik auf nationaler und europäischer Ebene, die uns medienpolitisch einengen oder unsere wirtschaftliche Grundlage auf Dauer beschädigen, seien es nun Werbeverbote, die Pläne der Deutschen Post für kostenlose Anzeigenblätter oder das ungebremste Streben des gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks ins Internet. Eine Aktion wie die Nationale Initiative Printmedien verstehe ich zunächst als ein Signal der Wertschätzung und Anerkennung der Bedeutung von Zeitungen für unsere Demokratie. (Esteban Engel, dpa) / (anw)