"Doof ist cool" im modernen Amerika

Manche Experten sehen die globale Führungsmacht trotz ihrer High-Tech-Industrien, Elite-Universitäten und zahllosen Nobelpreisträger am intellektuellen Abgrund.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1203 Kommentare lesen
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Laszlo Trankovits
  • dpa

Wer Präsident der USA werden möchte, muss ein Volk voller Unwissender gewinnen. Heute glauben laut Newsweek mit 41 Prozent mehr US-Bürger denn je allen Ernstes, dass Saddam Hussein in die Anschläge vom 11. September 2001 verwickelt gewesen sei. Rund 40 Prozent der Amerikaner unter 44 Jahren haben 2007 kein einziges Buch gelesen. Etwa ein Drittel der jungen US-Bürger können weder den Irak noch den Bundesstaat New York auf einer Landkarte zeigen. Etwa gleich viele haben nicht einmal eine ungefähre Ahnung, wann der Bürgerkrieg (1861-1865) die Nation in ihr schrecklichstes Blutbad riss.

Bei internationalen Schüler-Vergleichen wie PISA schneiden die USA meist mittelmäßig, in manchen Fächern wie Mathematik miserabel ab. Und 35 Prozent der US-Bürger glauben, dass die Stimme für "American Idol" – dem Gegenstück zu "Deutschland sucht den Superstar" – mindestens so wichtig ist wie die bei der Präsidentenwahl, berichtete die Time. Trotz des angebrochenen Informationszeitalters sei die US-Öffentlichkeit politisch schlechter informiert als früher, "der größere Zugang zu Medien hat ironischerweise den Anteil der politisch informierten Amerikaner reduziert", so der Politologe Markus Prior von der Princeton Universität.

Manche sehen die globale Führungsmacht trotz ihrer High-Tech-Industrien, Elite-Universitäten und zahllosen Nobelpreisträger am intellektuellen Abgrund: In den USA seien Wissen und Lernen aus der Mode gekommen, behauptet die Publizistin Susan Jacoby. "Amerikaner sind in großen intellektuellen Nöten – wir sind in Gefahr, unser hart erworbenes kulturelles Kapital gegen eine bösartige Mixtur von Anti-Intellektualismus, Anti-Rationalismus und niedrigen Erwartungen zu verlieren", schreibt sie in ihrem derzeit heiß diskutierten Buch "Das Zeitalter der amerikanischen Unvernunft". Es gebe fast einen "Kult der Blödheit". Die Lust der Jugend an Videospielen und Internet-Plattformen verstärke nur den Trend zu Verflachung und Verdummung. "Doof ist heute cool", meint Jacoby.

Tatsächlich sind Trottel und Deppen Helden erfolgreicher Hollywoodfilme. Auch überbieten sich zahlreiche TV-Shows mit immer bescheideneren Ansprüchen: So messen sich in der Sendung "Bist Du klüger als ein Fünftklässler?" junge "Promis" aus Showbusiness oder der Filmbranche mit Elfjährigen. Gern zitierter und in Online-Videodiensten angeklickter Auszug: "Budapest ist die Hauptstadt welches europäischen Landes?" Antwort der Musikerin Kellie Pickler: "Was, ich dachte, Europa sei ein Land?"

"Kann eine Nation politische und wirtschaftliche Vorherrschaft behalten, wenn sich die Bürger weigern, erwachsen zu werden?", klagte Professor Mark Bauerlein (Emory-Universität Atlanta) in seinem Buch "Die dümmste Generation". Der Autor kritisiert die "intellektuelle Leere" der Unter-30-Jährigen. Die "Netzkultur macht uns zu einer Nation der Unwissenden", warnt er. "Eine Technologie, die schlauer machen, die Sinne schärfen und die Sprachfähigkeiten entwickeln sollte, hat genau den gegenteiligen Effekt." Kein Wunder, dass auch keine Altersgruppe so wenig wähle wie die der jungen US-Bürger.

In einem Land, in dem Unwissen zunehmend als gesellschaftlich akzeptabel gilt, scheint es besonders gewagt herauszuragen. Der Demokrat Barack Obama bekam jüngst zu spüren, wie wirkungsvoll der Vorwurf ist, wegen einiger nachdenklicher Sätze über Religion und Waffen als arroganter "Elitist" angegriffen zu werden. "Eines der gefährlichsten Vorurteile, mit denen man einen Politiker etikettieren kann", so Jacoby. Dabei offenbart Obama, Einser-Jurist aus Harvard, durchaus häufig Wissenslücken: Kürzlich kündigte er einen Besuch beim "Präsidenten Kanadas" an – den es gar nicht gibt.

Auch aus der traditionellen Abneigung vieler Amerikaner gegen Intellektuelle hatte Präsident George W. Bush seine Wahlerfolge gegen Al Gore und John Kerry gezimmert: Bush gab sich als Mann aus dem Volke, mit dem man ein Bier in der Kneipe trinken könnte, dem Dünkel und Allüren fremd sind. Dabei gehört Bush ebenso wie fast alle seine Vorgänger jener Elite der USA an, die an den Top-Universitäten der Ostküste studierten, aus reichen Familien stammen oder eine sehr erfolgreiche Wirtschaftskarriere hinter sich haben. Wegen seiner legendären Sprachpatzer ("Der überwiegende Teil unserer Importe kommt aus dem Ausland!") und seiner oft unbeholfenen Art fiel es Bush allerdings nie schwer, als "Typ von nebenan" angesehen zu werden.

Jeder, der ins Weiße Haus will, muss um Wähler kämpfen, die offenbar immer weniger von der Welt wissen. Untersuchungen von Wissenschaftlern, Pädagogikverbänden und der Regierung haben ein teilweise erschreckendes Bild der Bildungsmisere offenbart. Schon 2004 beschrieb das nationale Kulturinstitut NEA ein alarmierendes Schwinden der Lesefähigkeiten der Amerikaner, insbesondere der jungen Generation. "Zwei von fünf Schülern sind heute schlechte Leser", so Professor Robin Lanzi (Georgetown Universität) in der Washington Times.

"Das Frappierende ist nicht, dass unsere Schüler international irgendwo im Mittelfeld liegen, sondern dass es einen überproportional großen Anteil an schlechten Schülern gibt", lautet die Analyse des Bildungsexperten Edward Fiske in der New York Times. Denn inzwischen bleibt fast ein Drittel der US-Jugendlichen ohne Schulabschluss. Die USA rangieren beim Anteil der Hochschulabschlüsse eines Jahrgangs nur noch auf dem 16. Platz unter 27 industrialisierten Ländern.

Allerdings sind die Klagen keineswegs neu. Vor 25 Jahren schreckte die Regierungsstudie "Eine Nation in Gefahr" die Öffentlichkeit auf. Damals wurde die Bedrohung durch "das Mittelmaß in der Bildung" mit der Gefahr kriegerischer Handlungen gegen die USA gleichgesetzt. Noch immer bestimmten Rasse und soziale Herkunft die Schulkarrieren, hieß es. Daran hat sich trotz zahlreicher Bildungsreformen bis heute nicht viel geändert. Nur scheint Unwissen weniger denn je Scham hervorzurufen. (Laszlo Trankovits, dpa) / (anw)