Kernel-Log: Zweiter Tag des "Kernel-Summit 2008", Ubuntu-Kritik bei Eröffnung der Linux Plumbers Conference

Keine Einigkeit bei Tracing Tools; wichtige Realtime-Erweiterung bald im Standard-Kernel; veraltete Dokumentation soll entfernt werden; wie man am besten in die Kernel-Entwicklung einsteigt.

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Von
  • Thorsten Leemhuis
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Nachdem am Dienstag erste Details der Debatten und Entscheidungen auf dem diesjährigen Kernel Summit bekannt wurden, berichtet LWN.net nun auch vom zweiten und letzten Tag der Konferenz. Auf der hatten Linus Torvalds, Andrew Morton und zirka 80 andere wichtige, fast ausschließlich männliche Kernel-Entwickler ihr Vorgehen bei der Weiterentwicklung von Linux diskutieren und Erfahrungen ausgetauscht. Wie schon die LWN.net-Artikel vom ersten Tag stehen auch Jonathan Corbets Berichte vom zweiten Tag des Kernel-Summit bis zum 25. September ausschließlich Abonnenten von LWN.net zur Verfügung. Andere Quellen sind jedoch wie jedes Jahr rar – häufig sickern über Blogs oder Posts auf der Linux-Kernel-Mailing-Liste (LKML) erst Wochen oder Monate später weitere Informationen zu den auf der Konferenz getroffenen Entscheidungen durch.
Tracing Tools standen auf der Agenda für den zweiten Konferenztag ganz oben. Laut dem sehr ausführlichen LWN.net-Bericht zum Thema wurde viel um Analyse-Werkzeuge wie SystemTap, Dtrace und LTTng diskutiert. An SystemTap hatten sich einige Kernel-Entwickler schon heran gewagt – aber selbst die hatten teilweise nicht die Ausdauer zum Aufsetzen und Pflegen des Diagnose-Werkzeugs. Torvalds stufte SystemTap als viel zu kompliziert ein; er plädierte dafür, die derzeitigen und einfacher gestrickten Kernels-Tools für Tracing-Aufgaben zu verbessern, bevor neue hinzukommen. Auf einen konkreten Plan zum weiteren Vorgehen haben sich die Kernel-Hacker jedoch nicht geeinigt – auf der gestern im Anschluss an den Kernel Summit am selben Tagungsort gestarteten Linux Plumbers Conference wollen einige der Kernel-Hacker das Thema weiter diskutieren.
Debattiert wurde auch über Änderungen bei der Handhabung von Kernel-Threads. Daraus ergab sich auch eine Diskussion um "Threaded Interrupts" – die werden im Realtime-Tree (RT) genutzt, damit die Abarbeitung von Hardware-Interrupts in einem eigenen Thread erfolgt und so andere Arbeiten im System nicht weiter stört. Das tief in die Arbeitsweise beim Behandeln von Interrupts eingreifende Konzept war allerdings bislang von einigen Entwickler recht kritisch beäugt worden – nach einigem Debatten um Details gab es aber keine größeren Einwände mehr gegen die Idee, sodass der Code für Threaded Interrupts wohl schon in einer der nächsten Versionen in den Hauptentwicklungszweig einziehen dürfte. Der Code soll vorher aber noch etwas angepasst werden, damit die Threaded Interrupts nicht generell benutzt werden, sondern nur bei Hardware, bei der das Ganze sinnvoll ist und keine Probleme bereiten dürfte.
LWN.net-Berichterstattender Jonathan Corbet leitete ferner selbst eine Sitzung zum Thema Kernel-Dokumentation. Darin entschieden die Kernel-Hacker, einige vollkommen veralte Dokumente aus dem Kernel-Quellen zu entfernen, da sie neue Entwickler teilweise auf die falsche Fährte bringen. Torvalds forderte ferner bessere Release-Notes für neue Kernel-Versionen; wie das bewerkstelligt werden soll, ist aber ungewiss.
Erneut gab es zudem Mini-Summits zu speziellen Themen – Matt Mackall präsentierte da unter anderem sein Projekt Bloatwatch, in dem er das Wachsum des Text- und Datenstrukturen von Linux näher analysiert. Netzwerkverwalter David S. Miller beschrieb in seiner Sitzung im wesentlichen die "Linux TX Multiqueue Implementation", durch die der Netzwerk-Stack von 2.6.27 grundlegende Funktionen für Netzwerk-Hardware mit mehreren Transmit Queues bietet (LWN.net-Artikel).
Bevor die Kernel-Entwickler zum Abschluss des Kernel-Summits diesen selbst diskutierten leitete James Bottomley eine Sitzung zum Thema "Fixing the Kernel Janitor's Project". Mit Hilfe dieses Projekts sollen Programmierer sich in die Linux-Kernel-Welt einfinden und dabei lernen, zur Linux-Entwicklung beizutragen. Die Ergebnisse der Arbeiten, die neue Kernel-Hacker teils auf Anraten von Projekt-Mitgliedern oder -Dokumentation durchführen, stoßen bei den etablierten Kernel-Hackern aber nicht immer auf Gegenliebe. Torvalds etwa meinte, Neulinge sollten nicht wie vom Projekt geraten mit dem Korrigieren von Code beginnen, der Compiler-Warnungen auslöst, da solche Korrekturen meist neue Fehler mit sich bringen.
Die Diskussion ging laut der LWN.net-Beschreibung dazu über, dass insbesondere das Testen neuer Kernel (und die Beseitigung der gefundenen Fehler) eine gute Aufgabe für Neulinge wäre. Letztendlich gab es aber keine konkrete Entscheidung zum weiteren Vorgehen – ein Mentor-Projekt, das Neulinge aktiv betreut, wurde zwar vorgeschlagen, es fand sich aber niemand, der diese Idee vorantreiben wollte. Angeregt wurde ferner, dass Distributionen aktuelle Kernel-Versionen zum Testen bereitstellen sollten, damit Tester diese vergleichsweise einfach ausprobieren können.
Die abendliche Abschussveranstaltung des Kernel-Summits war gleichzeitig die Eröffnungsfeier für die Linux Plumbers Conference. Auf dieser Gemeinschaftveranstaltung konnten die Teilnehmer sechs der zehn neuen Mitglieder für das Technical Advisory Board (TAB) der Linux Foundation wählen – James Bottomley, Kristen Carlson Accardi, Chris Mason, Dave Jones, Chris Wright und Christoph Hellwig machten in dieser Wahl das Rennen. Hellwig muss sich allerdings bereits in einem Jahr wieder zur Wahl stellen, weil er den Sitz von Olaf Kirch einnimmt, der seine Mitgliedschaft vorzeitig niedergelegt hatte.
Der bekannte Kernel-Entwickler Greg Kroah-Hartman hielt am gestrigen Mittwoch die Keynote zur Eröffnung Linux Plumbers Conference. Dabei kritisierte er Ubuntu-Sponsor Canonical deutlich – dessen Angestellte würden sich zu wenig an der Weiterentwicklung vom Kernel und anderen Open-Source-Projekten beteiligten, die Basis-Software für Linux-Distributionen entwickeln. Kroah-Hartman musste dabei zwar eingestehen, dass Canonical in den letzten Jahren mehr als die fünf oder sechs Patches beigesteuert hatten, wie er es vor einigen Monaten bereits in einem Vortrag behauptet hatte. In Wirklichkeit waren es nach seiner Zählung zwischen Linux 2.6.15 und 2.6.27-rc6 immerhin hundert Patches; Red-Hat-Entwickler hätten in der selben Zeit allerdings 11.846 Patches eingebracht, Novell-Entwickler 7.222.
Auch zur Entwicklung von X.org, GCC oder binutils hätten Canonical-Entwickler nur sehr wenig beigetragen, während auch hier Red-Hat-Mitarbeiter zu den aktivsten zählten. Details und weitere Zahlen liefern die Präsentationsfolien, die Greg Kroah-Hartman heute in seinem Blog veröffentlicht hat. Matt Zimmerman, CTO bei Canonical, hat in seinem Blog zur Keynote von Greg Kroah-Hartman derweil Stellung bezogen; dabei kritisiert er Greg Kroah-Hartman deutlich und stellt einige der Schlussfolgerungen des bekannten Kernel-Entwicklers in Frage. Auch anderen Blogs befassen sich bereits näher mit der Keynote von Kroah-Hartman.
Neu ist die Kritik von Kroah-Hartman keineswegs – auch andere Kernel-Entwickler haben Canonical und Ubuntu-Entwickler in der Vergangenheit bereits mehrfach für ihre mangelnde Teilnahme an der Weiterentwicklung im Hauptentwicklungszweig kritisiert und ihnen vorgeworfen, die eigenen Verbesserungen im Ubuntu-Kernel nicht einzubringen. LWN.net, das sich in einem derzeit nur für Abonnenten verfügbaren Artikel mit der Keynote beschäftigt, hatte diese Kritik gelegentlich auch schon wiedergegeben, Ubuntu aber auch schon verteidigt. Mit seiner Keynote auf der Linux Plumbers Conference hat Kroah-Hartman die Kritik nun aber weiter in das Licht der Öffentlichkeit gerückt.
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  • AMD hat die Version 8.9 der als "Catalyst" oder "Fglrx" bekannten Grafiktreiber für x86-32- und x86-64-Linux freigegeben. Sie bringen einige Korrekturen und erweitern die Zahl der unterstützen Linux-Distributionen.
Weitere Hintergründe und Informationen rund um Entwicklungen im Linux-Kernel und dessen Umfeld finden sich auch in den vorangegangen Ausgaben des Kernel-Logs auf heise open:
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