Längere Streiks bei Amazon - Streit um verspätete Lieferungen

Der Amazon-Tarifstreit gewinnt in Deutschland an Schärfe. Während des seit fünf Tagen laufenden Streiks tauchen Kunden-Mails wegen verspäteter Warenlieferungen auf. Amazon wehrt sich: Lieferanten hätten Probleme mit der Warenbeschaffung.

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  • dpa
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Der Online-Versandhändler Amazon muss sich auf längere Streiks in Deutschland einstellen. Die Gewerkschaft Verdi wolle den Ausstand bei dem Branchenriesen auch im kommenden Jahr fortsetzen, sagte eine Sprecherin am Freitag in Bad Hersfeld.

Dort und in Leipzig legten Amazon-Beschäftigte am Freitag am fünften Tag in Folge die Arbeit nieder. Es ist der bislang längste Dauerstreik seit Beginn des Kräftemessens im Sommer. Im laufenden Weihnachtsgeschäft hat der Tarifkonflikt seinen Höhepunkt erreicht.

Der aktuelle Ausstand ist vorerst noch bis einschließlich Samstag geplant. Ein Verdi-Sprecher wollte aber nicht ausschließen, dass nach Weihnachten auch das arbeitsaufwendige Umtauschgeschäft bestreikt werde. In Leipzig beteiligten sich am Freitag laut Verdi 500 Mitarbeiter, in Bad Hersfeld 600. Laut Amazon waren es viel weniger.

Nach Angaben der Gewerkschaft Verdi mehren sich die Anzeichen, dass etliche Amazon-Kunden Mails bekommen mit Hinweisen auf eine verzögerte Lieferung. "Betroffen sind nach unseren Kenntnissen mehrere Tausend Lieferungen pro Tag", sagte Heiner Reimann von Verdi Hessen. "Wir können und wollen nicht ausschließen, dass dies auch mit den Streiks an Amazon-Standorten in Deutschland zusammenhängt."

Eine Amazon-Sprecherin in München dagegen erklärte: "Die Ankündigungen sind nicht auf die Streiks zurückzuführen. Das hat etwas mit der Warenbeschaffung im allgemeinen zu tun, nicht mit der Logistik." Gründe dafür könnten sein, dass Artikel aufgrund hoher Nachfrage ausverkauft sind oder Lieferanten nicht so schnell wie erwartet Ware beziehen können. Generell wolle Amazon aber sein Lieferversprechen einhalten und Artikel pünktlich zum Fest liefern, die bis Freitagabend kurz vor Mitternacht bestellt worden sind.

Handelsfachmann Gerrit Heinemann, Professor an der Hochschule Niederrhein, sagte: "Es ist glaubhaft, wenn Amazon mitteilt, dass die Streiks keine Auswirkungen auf den Versand an Kunden haben. Dass in Einzelfällen dennoch Warensendungen nicht rechtzeitig ankommen, ist auch normal. Eine Quote für eine rechtzeitige Lieferung von mehr als 98 Prozent ist erfahrungsgemäß gar nicht möglich." Für Amazon sei es ohnehin leicht gewesen, sich auf die Streiks einzustellen. Gebraucht würden nur mäßig qualifizierte Leiharbeiter. In dieser Saison hat Amazon zu seinen 9000 Mitarbeitern in den acht Lagern bundesweit noch 14 000 Aushilfen engagiert.

Auch Onlinehandelsexperte Patrick Palombo ist überzeugt, dass Amazon den Streik und die Belastung des Weihnachtsgeschäfts, "abgesehen von einer kleinen Profit-Delle vielleicht", gut überstehen werde. "Amazon hat ausreichend Möglichkeiten, Aufträge an andere Versandlager umzudisponieren." Aber der Branchenriese müsse aufpassen, dass er seine Versprechen einhalte: "Die Kunden sind bereits jetzt verunsichert. Wenn etwas schief geht, bestellen sie beim nächsten Mal woanders."

Handelsfachmann Heinemann kritisierte, die Streiks seien kontraproduktiv: "Langfristig sehe ich durch den Streik zwei Folgen. Erstens: Amazon wird verstärkt auf die drei Lager setzen, die gerade in Polen an der Grenze zu Deutschland gebaut werden. Zweitens: Amazon wird künftig weitgehend automatisierte Lager aufbauen", sagte der Experte. "Dafür wurde vor kurzem mit Kiva Systems eine Firma gekauft, die auf Lager-Roboter spezialisiert ist. In drei Jahren könnten sie wahrscheinlich schon zum Einsatz kommen. Dann braucht Amazon ohnehin nur noch einen Teil seiner Lagerarbeiter. Die Streiks werden diese Entwicklung beschleunigen."

Ziel des Ausstands ist ein Tarifvertrag nach den Bedingungen des Einzel- und Versandhandels. Amazon lehnt dies kategorisch ab. Amazon-Deutschland Chef Ralf Kleber wies gegenüber dpa darauf hin, dass der Basislohn mit mindestens 9,55 Euro über dem Durchschnitt der Logistikbranche und über dem Logistiktarif liege.

Unterdessen richtet sich auch Protest von Amazon-Mitarbeitern gegen die Gewerkschaft Verdi. Sie haben nach Angaben des Unternehmens etwa 700 Unterschriften gesammelt und erklären sich damit nicht einverstanden mit den Zielen, Argumenten und Äußerungen von Verdi.

Nach dem Weihnachtsgeschäft erwartet Amazon eine ähnlich intensive Phase im Umtauschgeschäft, wenn etwa Fehlkäufe zurückgeschickt werden. "Amazon wird bis Mitte Januar noch genug zu tun haben", bewertete Verdi-Vertreter Reimann. Laut Experten liegt die Retourenquote zwischen 5 und 15 Prozent im Versandhandel, bei Textilien und Schuhen sogar bis zu 70 Prozent. (kbe)