US-Regierung nimmt Stellung in Filesharing-Verfahren

In dem P2P-Prozess gegen Joel Tenenbaum gibt es nichts Neues in Sachen Live-Übertragung, doch weist die US-Regierung in einer Stellungnahme die Argumente der Verteidigung zurück.

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Die US-Regierung hat im Filesharing-Verfahren gegen Joel Tenenbaum den Argumenten der Verteidigung widersprochen. In einer umfangreichen schriftlichen Stellungnahme (PDF-Datei) verteidigt das US-Justizministerium die Verfassungsmäßigkeit des in Copyright-Fällen gesetzlich festgelegten Schadensersatzes. In dem Verfahren gegen Tenenbaum, dem Urheberrechtsverletzung durch die unberechtigte Verteilung geschützter Musikwerke über ein Filesharing-Netzwerk vorgeworfen wird, hatte die Verteidigung angesichts des drohenden, im Vergleich zum Straßenpreis von 99 US-Cent pro Musikstück hohen Schadensersatzes die Frage der Verfassungsmäßigkeit aufgeworfen.

Bei Urheberrechtsverstößen hat ein Rechteinhaber laut US-Copyright Anspruch auf Schadensersatz entweder in Höhe des tatsächlich entstandenen Schadens zuzüglich der eventuell aus dem Verstoß geschöpften Profite. Da sich das nicht immer berechnen lässt, ist als Alternative ein gesetzlicher Rahmen vorgegeben, der zwischen 750 und 30.000 US-Dollar pro Verstoß vorsieht; im Falle einer vorsätzlichen Verletzung bis zu 150.000 US-Dollar. In Tenenbaums Fall geht es um sieben Songs – im schlimmsten Fall könnten also Forderungen in Höhe von über 1 Million Dollar auf ihn zukommen.

An diesem Punkt argumentiert Tenenbaum, der inzwischen von Harvard-Professor Charles Nesson und einem Team seiner Studenten verteidigt wird, dass die Höhe des möglichen Schadensersatzes unverhältnismäßig sei und wirft die Frage auf, ob das mit der Verfassung und der Prozessordnung zu vereinbaren sei. Das Missverhältnis zwischen dem tatsächlich entstandenen Schaden und dem gesetzlich möglichen Schadensersatz sei in diesem Fall so groß, dass der zivilrechtliche Rahmen verlassen werde und der Schadenersatz einer strafrechtlichen Ahndung gleichkäme. Das Urheberrecht verlagere also eine im Grunde strafrechtliche Angelegenheit in ein Zivilverfahren und verstoße damit gegen die in der Verfassung verankerte Gewaltenteilung.

Diesen Argumenten widerspricht die US-Regierung in ihrer Eingabe, ohne die Frage nach der Verhältnismäßigkeit ganz zurückzuweisen. Das Justizministerium hält verfassungsrechtliche Aspekte aber für die Entscheidung des Falles selbst nicht für relevant. Die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit von Schadensersatz könne erst nach einem Schuldspruch gestellt werden, wenn eine Summe fest stehe. Zudem widerspricht die Regierung der Annahme, der gesetzliche Rahmen zur Bestimmung des Schadensersatzes gelte nur für kommerzielle Urheberrechtsverletzungen.

Auch könne bei dem Rahmen nicht von exzessiven Summen gesprochen werden, da die Rechtsprechung in dieser Hinsicht eindeutig sei: Es gehe dem Gesetz nicht um das Verhältnis von tatsächlichem Schaden und Schadenersatz, vielmehr werde die Summe durch die klar vorgegebenen und vom Gesetzgeber in der Vergangenheit wiederholt angepassten Grenzen determiniert. Als Präzedenzfall führt die Regierung dazu ein Verfahren aus dem Jahre 1911 an, in dem einer Eisenbahngesellschaft für einen Schaden von 66 US-Cent eine Wiedergutmachung von 75 US-Dollar zugesprochen worden war, was innerhalb des damals gültigen Rahmens von 50 bis 300 US-Dollar lag und damit nach Meinung des Gerichts nicht gegen den Fairness-Grundsatz der Verfassung verstieß.

Dabei geht die US-Regierung nicht auf Argumente ein, die zuvor von der Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) vorgebracht worden waren. Für die EFF wies Rechtsanwalt Ray Beckerman auf relevante Rechtsprechung und Argumente hin. Laut Eingabe der FSF (PDF-Datei) sind den Gerichten in mindestens zwei Fällen Zweifel gekommen, dass überhöhter Schadensersatz verfahrensrechtliche Konsequenzen haben könne.

Die US-Regierung spricht Fragen geltenden Rechts an und verteidigt die Verfassungskonformität des Urheberrechts, vermeidet aber eine direkte Stellungnahme in der Sache Tenenbaum. Dennoch tritt die Regierung Barack Obamas mit dieser Stellungnahme in die Fußstapfen der Vorgänger-Administration. Unter George Bush hatte das Justizministerium im inzwischen geplatzten und zur Neuauflage anstehenden Filesharing-Verfahren gegen Jammie Thomas für den US-Verband RIAA Partei ergriffen. Zuletzt hatte Obama hohe Posten im Justizministerium mit ehemaligen RIAA-Anwälten besetzt.

Im Fall Tenenbaum sorgt auch die Verteidigung immer wieder für bunte Schlagzeilen. Unter anderem musste sich Nessons Team wegen prozeduraler Fehlleistungen einen Rüffel von der Vorsitzenden Richterin gefallen lassen. Der Wunsch der Verteidigung, eine Anhörung live ins Internet zu übertragen, hat die Anwälte in den vergangenen Wochen beschäftigt und eine Vertagung bewirkt. Der Professor selbst hatte sich in einer ungewöhnlichen Eingabe bei Richterin Gertner entschuldigt, einen Antrag nicht rechtzeitig zurückgezogen zu haben. Auch freundlich gesinnte Beobachter vom Fach sind sich inzwischen nicht mehr sicher, ob Nesson hier eine ausgefeilte Strategie fährt oder einfach heilloses Durcheinander herrscht. Inzwischen wird die Verteidigung auch von einem erfahrenen Bostoner Prozessanwalt unterstützt.

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(vbr)