CES

Verbraucher in der Werbeflut, Werber in der Datenflut

Junge US-Konsumenten sehen tausend Werbungen pro Tag. Derweil stehen Marketingleute ratlos vor riesigen Datenmengen. Damit könnte man werbetechnisch viel machen, aber den Firmen wird das Werbebudget knapp.

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Inhaltsverzeichnis

Die Reklameflut ist zur Kakophonie verkommen. Um Marketingbotschaften Gehör zu verschaffen, muss das Geschäft von Unterhaltung, Marken und Werbung neu erfunden werden. Unter dieser Prämisse wurde auf der International CES in Las Vegas zu einer Diskussion unter Fachleuten geladen. Gleich vorweg: Wie es weitergeht, wissen auch sie nicht. Soziale Netze, neue Medien, neue Geräte und immer kleiner werdende Zielgruppen überfordern die Branche.

David Chinnici

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Zu den Ratsuchenden der Diskussion gehört zum Beispiel David Chinnici von JWT/Mindshare. Seine Aufgabe ist es, Werbemöglichkeiten für das US Marine Corps auszuloten, um Burschen und junge Männer (17-24 Jahre) zu rekrutieren. Von der CES erhofft er sich neue Ideen: "Wie verbringen viel Zeit hier, um den Jugendlichen zumindest einen halben Schritt voraus zu sein, um zu sehen, was aus der Produktentwicklung kommt."

Von Twitter-Vertretern hat er gelernt, dass es sehr auf den Zeitpunkt von Werbung ankommt. "Wir bewegen uns von Zielmärkten zu Zielmomenten." Wenn der beliebte Footballtrainer im Auftrag der Marines im Fernsehen einen Marine-Soldaten befragt, die Zielgruppe aber gerade auf anderen medialen Kanälen unterwegs ist, verpufft das Geld.

"Das Marine Corps ist sehr gut dabei, weiße Südstaatenburschen zu rekrutieren. Dafür brauchen sie meine Hilfe nicht", sagte Chinnici, "Es geht darum, jene einzubeziehen, die derzeit passiv zuschauen." Viele Jugendliche engagierten sich gerne bei Hilfsorganisationen. Also will er in Zukunft Kampagnen fahren, die das Marine Corps als Hilfseinrichtung für Notleidende darstellt.

Chinnici lernt wie alle Diskussionsteilnehmer: Die klassischen Werbeformen ändern sich und es kommen laufend neue hinzu. Soziale Netze, Spielkonsolen, Handys, Smart-TVs, Tablets, Smart Watches, Datenbrillen, Kopfhörer mit eigenen Apps und andere Gadgets lassen neuen Werberaum entstehen. Und er wird zum Teil schon genutzt. Steht im Wohnzimmer ein Smart TV, das erkennt, welcher Inhalt konsumiert wird, ergibt sich gleich eine Fülle neuer Möglichkeiten für interaktive Werbung. Diese Räume zu nutzen, ist auch notwendig, wenn Zuschauer mit digitalen Videorekordern Übertragungen pausieren und so Werbung ausblenden.

Soziale Medien erlauben zudem eine sehr gezielte Kundenansprache. Zum Beispiel durch öffentliche Kundenbetreuung. Schon bisher war es gut fürs Geschäft, Kunden gut zu betreuen. Geschieht dies aber beispielsweise über Twitter, bekommen das viel mehr Leute mit und der Effekt verstärkt sich.

Andererseits können Prominente ihre Follower auf Facebook zu Geld machen, indem sie bestimmte Produkte anpreisen. Denn der in den USA sehr ausgeprägte Prominenten-Kult führt zu erstaunlichen Nachahmeffekten. "Es muss für die Zielgruppe ein Promi sein", erläutert Christina Martin. Und sie stellt klar "auch B-Promis haben Millionen Fans, die alles kopieren und nachmachen wollen. " Martin ist Chefin der Backstage Artist Lounge. Sie organisiert laufend Treffen zwischen Fans und ihren Idolen hinter der Bühne bei Auftritten.

Diese Treffen werden verlost, die Prominenten werden bezahlt. Im Gegenzug werden Produkte auf der Bühne platziert. Aber nicht ein bis zwei Produkte, sondern 30 bis 40 verschiedene Marken. Dabei ist jedes Element für sich eine Werbebotschaft: "Was auf dem Tisch liegt, der Tisch selbst... Diese Marken werden Teil der Geschichte, die wir erzählen." Nicht zuletzt erscheinen sie auf den Erinnerungsfotos. Die Besucher würden das durchaus als Werbung erkennen, hätten aber Spaß dabei.

Ken Hertz

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Doch Marke, Promi und Geschichte müssen zusammenpassen, warnt Ken Hertz. Er ist Anwalt in Hollywood und Mitgründer der Lizenzierungsfirma memBrain. Er erwähnt die kurzzeitige Kooperation von Alicia Keys und Blackberry. Diese Geschichte habe keinen Widerhall gefunden "weil sie Mist ist. Wenn man als Markenbotschafter nicht an Sitzungen der Produktentwickler und der Marketingabteilung teilnimmt, ist es schwer, vorzutäuschen, dass man bei Blackberry arbeitet."

Auch Chrysler sei mit einem Werbespot mit Celine Dion auf die Nase gefallen: "Nicht weil die Leute nicht glauben, dass Celine Dion bei Chrysler arbeitet. Sondern weil die Leute nicht glauben, dass Celine Dion selbst Auto fährt, geschweige denn einen Chrysler."

Hertz propagiert Kooperationen verschiedener Marken. Beispielgebend war für ihn ein Werbefilmprojekt Toshibas. Er lud andere Firmen ein, ihre Produkte ebenfalls in dem Toshiba-Film zu platzieren. Die eingeladenen Unternehmen waren überrascht, dass das gratis war. "Dafür haben sie unseren Werbefilm über ihre eigenen Social-Media-Kanäle verbreitet." In weiterer Folge entstand daraus eine Kooperation zwischen Toshiba, einer Kopfhörermarke und einer großen Handelskette. Ein Kombipaket aus Laptop und Kopfhörern wurde aufgelegt. "Das Angebot war ein Renner", schwärmt Hertz, "eine phantastische Erfahrung."

Als Hasbro eine Monopoly-App auflegte, ersetzte es die klassischen Örtlichkeiten wie Städte, öffentliche Einrichtungen oder Straßen durch Marken. Die Markeninhaber bekamen sich sofort in die Haare, weil sie alle dabei sein wollten, erzählt Hertz.

Laut Hertz sehen die "Millennials" in den USA, also die zwischen den frühen 1980ern und den frühen 2000ern geborenen, im Schnitt jede wache Minute eine Werbung. "Das sind über Tausend pro Tag", verdeutlicht Hertz. Der Medienpsychologe Dr. Uli Gleich von der Universität Koblenz-Landau schätzt (PDF) sogar, dass deutsche Kinder täglich 3.000 bis 5.000 Werbebotschaften ausgesetzt sind.

Der neue Werberaum erfordert aber neue Werbeformen, die zum Medium und zur Zielgruppe passen. Der klassische TV-Spot wird kaum einen xBox-Spieler vom Hocker reißen. Außerdem muss die technische Umsetzung zum jeweiligen Betriebssystem und zur Hardware passen. Zwar können so sehr gezielt ausgesuchte Verbrauchergruppen angesprochen werden, aber die Herstellung und Anpassung der Reklame ist viel Aufwand. Und damit teuer.

John Piontkowski

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

"Die Welt der vielen Bildschirme ist eine wirtschaftliche Herausforderung für die Werbetreibenden", bestätigt John Piontkowski. Er verkauft Werberaum in Microsoft-Medien in der Osthälfte der USA. Wie er in Las Vegas berichtet, sagen ihm die Werbekunden: "Ich würde das liebend gerne alles machen, aber die Millionen dafür kann ich mir nicht leisten."

Daher suche er nun nach Möglichkeiten, die kreativen Prozesse zu standardisieren und damit günstiger zu machen. Auf der technischen Eben helfe HTML5 dabei. Aber: "Als Branche sind wir dabei, gegen die Wand zu fahren. Unsere Werbekunden können sich die vielen Bildschirme nicht mehr leisten."

Wüsste eine Werbeagentur, welche Werbeform sich tatsächlich rechnet, könnte sie mehr davon verkaufen. Und die digitalen Werbeformen liefern auch viele Daten. Etwa: Wer hat wann wo welche Reklame gesehen und was wie lange damit gemacht. Doch die Aussagekraft dieser Zahlen ist oft unklar. "Es gibt eine Lücke zwischen so vielen Messungen und dem Ergebnis", verdeutlicht Chinnici, "Oft gibt es Offline-Verhalten, das für den Erfolg entscheidend ist." Hat der Kunde ein Produkt wegen der Werbung gekauft? Oder ist der Umsatz vielleicht nur daran gescheitert, dass der gewünschte Rückruf des Kundendienstes nie gekommen ist?

Microsoft-Mitarbeiter Piontkowski berichtet von Interpretationsproblemen: "Viele Werbekunden lassen sich auf digitale Werbung ein, ohne zu wissen, was die Messwerte bedeuten." Sein Tipp an seine potenziellen Kunden: "Vielleicht sind Sie besser dran, deutlich weniger zu schalten, aber deutlich gezielter".

Ken Hertz: "Wir sind überschwemmt mit Daten. Niemand weiß, sie zu interpretieren, niemand weiß, welche Daten gesammelt werden sollten. Wir ertrinken darin."

Den Schlusspunkt unter die Diskussion in Las Vegas setzt Hollywood-Lizenzierer Hertz: "Es winkt demjenigen eine Google-artige Erfolgsgeschichte, der den Big-Data-Algorithmus knackt. Wir sind überschwemmt mit Daten. Niemand weiß, sie zu interpretieren, niemand weiß, welche Daten gesammelt werden sollten. Wir ertrinken darin."

Auch die Auswirkungen der soziale Medien seien neu; früher privat gesagte Dinge würden nun sofort weite Verbreitung erfahren. Damit könne die Gesellschaft noch nicht umgehen. "Es ist neu, fremd. Das iPhone ist erst fünf, sechs Jahre hier! Das ist alles neu, und wir können damit nicht umgehen. Es ist verrückt!" (kbe)