DLD: "Schmeißt die Venture-Kapitalisten raus!"

Evgeny Morozov sparte auf der Konferenz DLD in München nicht an Kritik: am Venture-Kapitalismus, an der Einstellung, dass neue Technik oder Apps die Probleme dieser Zeit lösen könnten und an den Reaktionen auf den NSA-Überwachungsskandal.

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Von
  • Detlef Borchers

Ein Internet-Skeptiker, der die versammelten Venture-Kapitalisten kurz vor der großen Party-Nacht mit der Empfehlung schreckt, den Venture-Kapitalismus abzuschaffen, das erlebt selbst eine sehr bunt gemischte Konferenz wie Digital Life Design nicht alle Tage. Evgeny Morozovs temporeich vorgetragene Rede begann mit einer Kritik des Wahns, alle Probleme der Welt mit einer App lösen zu wollen. Sie endete mit der Aufforderung, die Wut über die Enthüllungen von Edward Snowden positiv umzusetzen und die Dinge strategisch anzugehen: "Schmeißt nicht eure Smartphones weg, schmeißt die Venture-Kapitalisten raus. Die Probleme liegen nicht in den Geräten, die Probleme sind eine Frage dessen, wer das Geld und die ökonomische Macht hat."

Der Publizist Morozov, Gastdozent an der Stanford University, zielte mit seiner Fundamentalkritik auf die Einstellung, dass neue Technik oder Apps die Probleme dieser Zeit lösen könnten. Dies könne allein durch engagiert handelnde Bürger geschehen und nicht durch Finanziers, die neue Apps verkaufen wollen. Beispielhaft für die verquere Orientierung sei die Art und Weise, wie die USA ihren Kampf gegen den Terrorismus führten: es werden alle Signale, alle Blogs, alle Telefonanrufe und mehr gespeichert, aber die eigentliche Frage, wie sich junge Menschen in den USA zu Islamisten radikalisierten, werde nicht gestellt.

Auch für die Reaktionen auf Prism & Co nach den Enthüllungen durch Edward Snowden hatte Morozov kein Verständnis. Die etwa von Jeff Jarvis auf dem DLD vorgetragene Forderung nach einfachen Tools, die die Privatsphäre schützen, sei typischer "Solutionismus". "All diese Lösungen sind nicht phantasievoll genug." Besonders irreführend sei die Annahme, es werde alles besser werden, wenn es eine euopäische Cloud gäbe. Die Überwachung ändere sich dadurch nicht.

Insgesamt glaubt Morozov, dass der Trend, persönliche Daten als neue Form der Bezahlung "kostenloser" Angebote über die nächsten fünf bis zehn Jahre anhalten wird. In diesem Zeitraum drängten Konzerne wie Google oder Facebook in das Geschäft der Banken und Versicherungen und würden es deswegen schnell dominieren, weil sie die besseren Daten hätten. Insbesondere sei Google auf dem besten Wege, ein Super-Versicherer zu werden, weil der Konzern von der Haushaltstechnik bis zum Autofahren das gesunde Leben seiner Versicherten überwachen könne. "Dieses Internet der Dinge ist nichts anderes als eine Erweiterung der Kontrolle über das Privatleben, wie wir es seit Jahren kennen."

Doch die Wut über die Enthüllungen von Edward Snowden habe auch ihre positive Seiten, wenn erkannt würde, dass keine Super-App die Welt retten kann. Morozov warnte die Zuhörer vor idealistischen Gleichsetzungen: "Internet-Freiheit meint für europäische Telekommunikationskonzerne etwas ganz anderes als für Berliner Hacker."

In der anschließenden Diskussion wurde Morozov von irritierten Zuhörern gleich mehrfach gefragt, für wen er spreche, ob er eine Partei gründen wolle oder wo er die politische Aktion suche. Er wolle allgemein die "intellektuelle Agenda" auf ein Niveau heben, auf dem eine politische Debatte geführt werden kann, antwortete Morozov. Wenn man sich dann einig sei, was zu ändern ist, könnten auch Aktionen wie die von Anonymous gestartet werden und sinnvoll sein. Besonders beruhigend klang das nicht für die versammelte Investment und Start-Up-Szene, so kurz vor der großen DLD-Showparty mit Terry Poison und Elliphant. (anw)