Kommentar zum Snowden-Interview: Der vermasselte Scoop der ARD

Am Freitag hatte die ARD überraschend angekündigt, der NDR habe Edward Snowden für ein erstes Fernsehinterview vor die Kamera bekommen. Doch anstatt Geschichte zu schreiben, hat es der Sender in den Sand gesetzt.

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In die Hauptsendezeit hat es Edward Snowden bei der ARD trotz des "weltweit ersten Fernseh-Interviews" am gestrigen Sonntag nicht geschafft. Wahrscheinlich befürchtet der Sender, dass Sendeanstalten besetzt werden, wenn der Tatort nicht pünktlich beginnt. Aber selbst nach diesem heiligen Gral der deutschen Fernsehlandschaft durfte Snowden nicht wirklich zu Wort kommen. Stattdessen bekamen die üblichen Verdächtigen bei Günther Jauch kleine Schnipsel des Interviews zu sehen, um dann zu wiederholen, was schon so oft gesagt wurde. "Snowden exklusiv" wurde erst nach 23 Uhr ausgestrahlt und erreichte als Stream nicht etwa das ganze Internet, sondern nur das Schlandnet.

Ein Kommentar von Martin Holland

Martin Holland schreibt seit 2012 für heise online und c't. Lange Zeit beschäftigte er sich vor allem mit den NSA-Enthüllungen des Edward Snowden und deren Folgen. Nachdem die längst Geschichte sind, haben sich neben weiteren IT-Themen, vor allem auch zu gesellschaftlichen Folgen von Internet, Social Media, Künstlicher Intelligenz & Co. schließlich Astronomie und Raumfahrt als wichtige Schwerpunkte etabliert.

Natürlich ist das Erste damit der Relevanz von Snowdens Enthüllungen nicht gerecht geworden. Auch wenn der Whistleblower dem Interviewer nun nichts Neues sagen wollte. Aber er machte noch einmal deutlich, dass es nicht zu akzeptieren ist, wenn ein Verantwortlicher für Geheimdienste das Parlament belügt und so das bisschen Kontrolle untergräbt, das es gibt. Um 20:15 Uhr – zwischen Tagesschau und Tatort – hätten das drei oder vier mal so viele Menschen gesehen wie nach 23 Uhr.

Doch dies ist nicht die einzige falsche Entscheidung der ARD-Verantwortlichen: Die Diskussion über das Interview wurde davor ausgestrahlt und konnte sich natürlich nicht wirklich darum drehen. Stattdessen durfte John Kornblum unwidersprochen die anonymen Todesdrohungen gegen Snowden abtun: Das glaube er nicht. Dabei hat schon ein ehemaliger CIA-Chef öffentlich erklärt, Snowden solle bitteschön gehängt werden. Bild-Chefreporter Julian Reichelt konnte sagen, dass er noch keinen Hinweis darauf gesehen habe, dass Unschuldige überwacht wurden. Seine Kontrahenten erinnerten an die Kanzlerin, vergaßen aber beispielsweise die 200 Millionen SMS, die schon vor Jahren täglich gesammelt wurden. Und das ist bereits Überwachung. Gerade weil ihnen von Marina Weisband, Hans-Christian Ströbele und Hubert Seipel nur ungenügend oder gar nicht widersprochen wurde, gelang es Kornblum und Reichelt merklich, das Publikum auf ihre Seite zu ziehen.

Und selbst die so groß angekündigte Ausstrahlung des Exklusivinterviews vermasselte die ARD. Das weltweit erwartete Gespräch landete zwar pünktlich im Netz, aber eben nur im deutschen. Interessierte in aller Welt wurden durch Geoblocking ausgesperrt, und wenn sie doch irgendwie an das Video herankamen, verstanden sie nur Bahnhof. Der NDR hatte von der eigenen Tochterfirma nicht die Rechte an der englischen Originalfassung erworben. Richtig gelesen: Nur ein paar deutsche Nachteulen konnten das Interview angucken und verstehen. Englischsprachige Medien müssen jetzt die deutsche Übersetzung zurück ins Englische übertragen, um Snowdens Äußerungen in die Welt zu tragen.

Alles in allem ist es ein Armutszeugnis, was die ARD und der NDR abgeliefert haben. Eine Chance wurde verpasst, die enthüllte Totalüberwachung wieder dahin zu hieven, wo sie hingehört – auf die Titelseiten. Dabei haben doch schon englische, brasilianische, schwedische, französische und niederländische Medien vorgemacht, wie es geht. Die nächste Chance dazu wird in Deutschland hoffentlich ein Untersuchungsausschuss im Bundestag bieten. Und bei dem müssen wir uns zum Glück nicht auf die ARD verlassen.

[Update 27.01.2014 - 14:45 Uhr] Inzwischen hat die ARD doch noch die englische Originalfassung des Interviews veröffentlicht, auch auf Youtube – offenbar aber fast ausnahmslos beschränkt auf Zuschauer aus Deutschland. (mho)