"Das ist kein NSU-Netz, sondern ein Verfassungsschutz-Netz"

Kritischer Auftritt von Vater Siegfried Mundlos im NSU-Prozess. Medien kommentieren fragwürdig

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"Sie können den Verfassungsschutz nicht aus diesem Verfahren ausgliedern", sagte der Vater des dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) zugeordneten Uwe Mundlos bei seiner Zeugenaussage am Mittwoch vor dem Gericht in München. Siegfried Mundlos, das wurde deutlich, traut der offiziellen Erklärung um die sogenannte Zwickauer-Terrorzelle nicht. Teile der Medien kommentieren in ihrer Berichterstattung die Zeugenaussage von Mundlos einseitig.

Wie glaubwürdig kann ein Vater sein, wenn er wegen seinem Sohn, der im Verdacht steht, brutale Morde begangen zu haben, vor Gericht als Zeuge aussagt? Darf man ihm, wenn er die Vorwürfe, die gegen seinen Sohn erhoben werden, hinterfragt und die fragwürdige Rolle des Verfassungsschutzes im Kontext des NSU anspricht, folgen? Oder beruhen die Einlassungen zur Sache, wie sie Vater Mundlos heute vor Gericht getätigt hat, einfach auf Verdrängungsmechnismen eines Elternteils, das nicht wahrhaben möchte, welche Verbrechen der eigene Sohn möglicherweise verübt hat? Wer die Berichterstattung der Medien zum Auftritt von Siegfried Mundlos vor dem Münchner Oberlandesgericht verfolgt, stellt fest: Küchenpsychologie und abwertenden Kommentierungen bestimmen die mediale Auseinandersetzung. Der Tagesspiegel beschreibt den Auftritt von Mundlos etwa als bizarr und meint, der Vater habe sich in "verquere Aussagen" verstrickt. Auf Stern Online wird psychologisiert: "Der Vater scheint den Blick für die eigene Verantwortung verloren zu haben." Und Welt Online lässt Mundlos "salbungsvoll" reden, wenn er eine gar nicht mal so unwichtigen Aspekt anspricht: Auch für seinen Sohn gelte die Unschuldsvermutung. Diese Aussage richtete Mundlos direkt zum Beginn seiner Zeugenaussage explizit an die Vertreter der Presse und den Bundesanwalt.

Welt Online kommentiert weiter, dass Mundlos mit der Aussage so tue, als würde seinem Sohn "hier gerade ziemlich viel Unrecht" geschehen. Und auch der Tagesspiegel echauffiert sich scheinbar über die wohl von einigen Medienvertretern als ungeheurlich empfundene Bitte von Mundlos mit den Worten: "Das ist eine Provokation. Richter wissen selbst, was die Unschuldsvermutung bedeutet."

Diese kleine Presseschau verdeutlicht eines der großen Probleme, das den Fall NSU umgibt: Eine distanzierte, kritische Berichterstattung, die grundsätzlich das staatsoffizielle Narrativ hinterfragt, gibt es kaum. Kritische Auseinandersetzungen gibt es zwar durchaus, aber sie finden sich nahezu ausnahmslos http://wolfwetzel.wordpress.com/2013/11/30/erst-verbrennen-akten-dann-zeugen/ außerhalb des medialen Mainstreams. Bei Stern Online, wo heute ein umfangreicher Artikel zum Auftritt von Siegfried Mundlos erschienen ist, ist auch folgendes zu lesen:

"Ich werde alles daran setzen, um die Schweinerei dieser Schreibtischtäter aufzudecken", hat er vor dem NSU-Untersuchungsausschuss in Thüringen angekündigt, als er dort im November als Zeuge geladen war. Wie schon Brigitte Böhnhardt, die Mutter von Uwe Böhnhardt, sucht auch Siegfried Mundlos die Verantwortlichen vor allem beim Staat. Für ihn ist klar: "Das ist kein NSU-Netz, sondern ein Verfassungsschutz-Netz." Sein eigener Sohn sei zu den Taten, zehn Morden und zwei Sprengstoffanschlägen, zu denen sich der NSU immerhin bekannte, nicht fähig gewesen.

Doch die journalistische Auseinandersetzung mit den Behauptungen von Vater Mundlos beschränken sich zu oft auf emotionale Charakterisierungen. Stattdessen werden Randerscheinungen ein prominenter Stellenwert in der Berichterstattung eingeräumt. Kaum ein Medium das nicht darüber berichtet, dass Mundlos einen Apfel vor sich auf den Tisch gelegt hat. Der Tagesspiegel geht gar ins Detail und berichtet, dass Mundlos mit "penibler Sorgfalt sein Tischchen vor sich ausgestattet hat, links eine Flasche Mineralwasser, davor ein weißer Plastikbecher, daneben auf einer Serviette ein roter, glänzender Apfel...".

Es spricht sicherlich nichts dagegen, wenn in der journalistischen Berichterstattung im Hinblick auf eine Zeugenaussage vor Gericht auch der Zeuge und sein Verhalten beschrieben wird, aber das Missverhältnis zwischen der großen Sorgfalt, die von manchem Medienvertreter aufgebracht wird, um kleinste Verhaltensauffälligkeiten von Mundlos zu beschreiben und der mangelhaften Auseinandersetzung mit den von Mundlos vorgetragenen Inhalten ist auffällig.

Zentrale Sachverhalte, die im Hinblick auf den NSU immer mal wieder auch im medialen Mainstream beachten werden, wie etwa die Aussagen eines Polizisten, der dem Thüringer LKA-Präsidenten vorwirft, die Ermittlungen gebremst zu haben oder etwa die Aussagen, die im November in einer TV-Doku veröffentlicht wurden, wonach Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bei genauer Betrachtung der Sachlage gar keinen Selbstmord haben begehen können, verflüchtigen sich so schnell wieder in der Berichterstattung wie sie aufgetaucht sind.

Die Berichterstattung um den Prozess in München und den NSU erinnert bisweilen stark an die mediale "Aufarbeitung" im Fall Buback. In weiten Teilen zu oberflächlich, zu eindimensional und zu sehr dem staatsoffiziellen Narrativ folgend.