Weitere Insiderspur im Luxemburger Bombenleger-Prozess

Geheimnisvoller weißer Audi

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Zu den Höhepunkten der ominösen Anschlagsserie in Luxemburg während der 1980er Jahre gehört die Bombe beim EU-Gipfeltreffen am Kirchberg am 02.12.1985. Das Gelände war durch ein zünftiges Polizeiaufgebot gesichert worden, insbesondere die Autobahn oberhalb des Konferenzzentrums war gesperrt. Gegen 18.00 Uhr beobachteten Beamte, wie dennoch von der Autobahn jemand aus einem langsam fahrenden weißen Audi 100 einen Gegenstand warf. Ein Zeuge will einen Wurf durch das geöffnete Fenster gesehen haben, ein anderer erinnert sich an eine geöffnete und dann zugeschlagene Autotür. 20 Sekunden später explodierte ein Sprengsatz. Danach habe ein Motor aufgeheult.

Wie eine Untersuchung später ergab, handelte es sich bei dem Sprengsatz um eine einzelne Stange Luxite, jenem Sprengstoff, der unter seltsamen Umständen aus einer Luxemburger Gipsmine gestohlen worden war. Die geringe Menge an Sprengmaterial richtete kaum Schaden an, das Bömbchen und dessen dilettantische Platzierung waren für ein echtes Attentat offensichtlich untauglich.

Weiße Autos waren damals in Luxemburg praktisch nur von Polizeieinheiten verwendet worden. Die Beamten nahmen mit mehreren Wagen die Verfolgung auf und stellten das Auto noch auf der Autobahn. Per Funk wurde durchgegeben, man habe sie gekriegt. Dann: „Es ist einer von uns!“ Dass es sich bei dem PKW um ein Polizeifahrzeug handelte, war schon deshalb naheliegend, weil damals in Luxemburg praktisch nur Gendarmerie- und Polizeioffiziere weiße Autos fuhren. Aber weil es „einer von uns“ war, der im verdächtigen Audi 100 mit dem Kennzeichen CS430 gestellt worden war, schloss man auf einen Irrtum und ließ den Wagen, der zur Eliteeinheit "Brigade mobile de la Gendarmerie" gehörte, wieder ziehen. Diese Begebenheit hatten auch etliche Fahrer der EU-Gipfelteilnehmer mitbekommen.

Den Vorfall mit dem eigene Fahrzeug stuften die Beteiligten offenbar als so unwesentlich ein, dass sie erst am Montag, dem immerhin 116.Verhandlungstag im Luxemburger Jahrhundertprozess zur Sprache kam. Und leider, leider konnte sich keiner der Polizisten erinnern, welcher „von uns“ denn am Steuer saß. Nicht im Wagen gesessen hatte jedenfalls der Angeklagte Marc Scheer, der allerdings aus der Richtung der Explosion kommend beobachtet wurde. Hierdurch geriet er in Verdacht, den Sprengsatz am Boden gelegt zu haben. Dass Entfernen vom Ort einer Explosion, bei der man mit weiteren rechnen muss, ist allerdings eine nachvollziehbare Reaktion.

Den beiden Angeklagten wird zur Last gelegt, die Attentate inszeniert zu haben, um die Bedeutung und Ausstattung ihrer gelangweilten, jedoch zeitlich mit Personenschutz überbeanspruchten Eliteeinheit zu heben. Ein weiterer Zeuge sagte aus, er könne sich nicht vorstellen, dass eine solche Geschichte sich nicht innerhalb der Sicherheitskreise herumgesprochen hätte, er hätte von etlichen geheimen Aktionen in Luxemburg damals stets Wind bekommen. Nachdem die energische Richterin Sylvie Conter nachdrücklich sämtliche Zeugen dazu aufforderte, entsprechende Gerüchte mitzuteilen, tat genau dies nun ein anderer Zeuge. Ende der 1990er Jahre habe es geheißen, dass etwas unternommen werden sollte, um besseres Material anzuschaffen. Die Rede sei vom Gründer der Eliteeinheit Geiben und dessen Nachfolger Reuland gewesen. Allerdings scheint der damals unter rätselhaften Umständen ausgeschiedene Geiben stets ein beliebter Sündenbock gewesen zu sein.