Versammlungsrecht ist ja sowas von 80ies

Außer Kontrolle

Der Streit über das KFZ-Kennzeichen-Scanning in Bayern führt zu entlarvenden Äußerungen in Bezug auf Überwachungsmaßnahmen und deren Anwendung

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Die Versammlungsfreiheit ist in Deutschland bereits im Grundgesetz geregelt:

Artikel 8
(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Und selbstverständlich gibt es in einem relativ durchregulierten Staat wie Deutschland entsprechende Gesetze, die eben dieses Recht beschränken. Gerade bei Demonstrationen, die als Versammlungen unter freiem Himmel gelten, gelten eine Vielzahl von Beschränkungen, die eine solche Versammlung sogar ganz verhindern können. Wer eine Demonstration anmeldet, weiß um diese Probleme und sieht sich oft mit einem Wust an Fragen konfrontiert: Wer hat zu der Demonstration aufgerufen bzw. wird dies noch? Wie viele Teilnehmer werden erwartet? Welche Strecke ist geplant? Wie viele Ordner wird es geben und wer sind diese? ... Nichtsdestotrotz ist das Versammlungsrecht ein (wenn auch eingeschränktes) offiziell bestätigtes bzw. festgelegtes Recht.

Überwachungsmethoden werden oft genutzt, um unerwünschtes Verhalten zu verhindern bzw. einzudämmen - und in der Vergangenheit wurde dieses Verhalten dann als strafbar, antisozial oder gefährlich bezeichnet, um klarzumachen, dass es nicht um legitime Verhaltensweisen ginge, die durch die Überwachung geregelt werden sollen.

Eine Äußerung, die während des Verfahrens um das KFZ-Kennzeichen-Scanning in Bayern fiel, zeigt nun, dass dies keineswegs immer der Fall sein muss, sondern dass auch legitime Verhaltensweisen im Fadenkreuz stehen. So stimmte der Landesvertreter Bayern der Tatsache zu, dass es durch das KFZ-Scannen auch dazu kommen könnte, dass Menschen, die sich beispielsweise auf dem Weg zu einer Demonstration befinden, diese doch nicht aufsuchen bzw. sich schon im Vorfeld gegen eine Teilnahme an der Demonstration entscheiden würden. Anders als der Kläger sah der Landesvertreter diesen Effekt aber nicht als schädlich an, sondern vielmehr als eine durchaus eingeplante und auch erwünschte Nebenwirkung des Scannings.

Damit bestätigte er zum einen die abschreckende und verhaltensändernde Wirkung von Überwachungsmaßnahmen auch indirekt noch einmal. Zum anderen machte er aber deutlich, dass die Überwachung auch dazu dienen soll, Menschen bei der Wahrnehmung ihrer grundrechtlich verbrieften Rechte zu beschränken bzw. die Menschen sozusagen zu "dressieren". Dies dürfte den Kritikern der Maßnahme erneut bestätigen, dass es hier nicht nur um die Aufklärung von Straftaten bzw. deren Verhinderung geht, sondern dass letztendlich auch (ähnlich wie beim bekannten "Panoptikum") eine möglichst zunehmende Überwachung dazu dienen soll, erwünschtes Verhalten zu fördern. Und dieses erwünschte Verhalten kann auch darin bestehen, dass Menschen von ihren Grundrechten keinen Gebrauch mehr machen - aus Furcht davor, dass sie durch die allgegenwärtige Datenerfassung,- speicherung und -auswertung in ungünstige Situationen geraten, ohne dass sie letztendlich in irgendeiner Form straffällig geworden sind.

Der Landesvertreter zeigt insofern eine verächtliche Haltung gegenüber den Grundrechten. Ähnlich jenen Politikern und Funktionären, die Privatsphäre und Datenschutz per se als "sowas von 80ies" bezeichnen - also letztendlich als Relikt der Vergangenheit.