Klarer Sieg im Madrider Müllstreik

13 Tage versank die spanische Hauptstadt im Müll, dort landeten schließlich die Entlassungs- und Lohnkürzungspläne

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Die Beschäftigten der Madrider Müllabfuhr, Straßenreinigung und Gartenpflege haben am Montag die Arbeit wieder aufgenommen. In der Nacht wurde in der spanischen Hauptstadt damit begonnen, die Müllberge zu beseitigen, die sich überall in Madrid aufgetürmt hatten. In drei Tagen soll die Lage sich wieder normalisiert haben. Dass die Temperaturen auf der Hochebene auf normale Novemberwerte unter 10 Grad sanken, es regnet und Wind weht, hilft dabei, die Spuren und den Gestank zu beseitigen, der zwei Wochen Madrid den Charme einer Müllhalde verliehen hat.

Die etwa 6000 Beschäftigten stimmten begeistert am Sonntag dem Verhandlungsergebnis zu, das die Gewerkschaften mit den Firmen ausgehandelt hatten, die nun die privatisierten Dienstleistungen erbringen. Die Pläne, 1134 Beschäftigte zu entlassen, flogen selbst auf den Müll. Freiwillig können Beschäftigte ihren Job aufgeben, erhalten dann aber Abfindungen, die deutlich über den gesetzlichen Vorgaben liegen. Vereinbart wurde nur Kurzarbeit an 45 Tagen.

Die geplanten Lohnkürzungen von bis zu 43 Prozent wird es nicht geben, aber die Löhne werden bis 2017 eingefroren. Da in Spanien die Preise derzeit sinken, bedeutet das (noch) keinen Kaufkraftverlust. Dass nicht mehr der gesamte Urlaub im August genommen werden muss und zehn Urlaubstage übrigbleiben, war leicht zu verschmerzen. Das passt sogar besser in die veränderten Lebensgewohnheiten.

"Der Tarifvertrag wurde praktisch nicht verändert", sagte Félix Carrión von der großen Gewerkschaft CCOO. Sein Kollege von der UGT bedankte sich bei Beschäftigten und Bevölkerung für die Unterstützung. Applaus brauste unter den Beschäftigten auf, als Juan Carlos del Río die Ergebnisse verkündete. Für die Gewerkschaften hat dieser Arbeitskampf Signalwirkung für ähnlich gelagerte Konflikte. Es hat sich gezeigt, dass die Kürzungspolitik nicht "alternativlos" ist und sie auch zurückgedrängt werden kann.

Schwer auf die Nase gefallen ist nun die konservative Oberbürgermeisterin Ana Botella. Am Sonntag landete sie fast ganz real im Müll. Umringt von Kameras begutachtete sie die Arbeit von Tragsa. Beschäftigte der Staatsfirma wurden eingesetzt, um den Streik zu unterlaufen. Auf den glitschigen, stinkenden und regennassen Bodenplatten rutschte die mit Pelzjacke bekleidete Bürgermeisterin in ihren hochhackigen Stiefeln aus, konnte aber von einem Begleiter aufgefangen werden.

Sie hat hoch gepokert und ist in kurzer Zeit, wie mit der gescheiterten Olympia-Bewerbung, tief gestürzt. Dass sie es zugelassen hat, dass sich Madrid vor erstaunten Touristen zwei Wochen als Müllhalde präsentierte, hat viele zur Abreise bewegt und Bewohner geschockt. Der Müll auf den Straßen und die geplante Massenentlassung haben auch Anhängern von Botellas Volkspartei (PP) gezeigt, "wie tief wir real im Dreck stecken". Das sagt Raúl Ramíréz dazu, dass Ministerpräsident Mariano Rajoy seit Wochen predigt, ein Ende der Krise sei in Sicht. Auch Ramíréz wählte die PP vor zwei Jahren. "Das werde ich nicht wieder tun", sagte er und gehört zu dem Drittel der Wähler, die der Partei den Rücken gekehrt haben.

Er wohnt in der Nähe der PP-Parteizentrale. Während die Genova-Straße in den Streiktagen sauber war, stapelte sich in den Straßen in seinem Viertel stinkender Unrat. Ramíréz sieht in den Privatisierungen nun ein Problem. Der elegant gekleidete 40-Jährige hielt es einst für richtig, darüber Geld in leere Kassen zu spülen. Doch nun zweifelt er. "Ich glaube, zentrale Dienste sollten in öffentlicher Hand bleiben." Denn ein Teil der Steuergelder fließt nicht mehr in die Stadtreinigung. Schließlich wollten die drei großen Baufirmen OHL, Sacyr und FCC, die sich fast den gesamten Kuchen untereinander aufgeteilt haben, ihre legitimen Gewinne machen. Erst kürzlich hat sich Microsoft-Gründer Bill Gates überraschend in FCC eingekauft, der auch Anteil an den Gewinnen haben will.

Dazu wird aber auch Botellas "Chaos-Politik" kritisiert. Denn sie hatte im Haushalt 2014 das Budget für die Stadtreinigung sogar um ein Fünftel drastisch gekürzt. Das sollte nun über Entlassungen und Lohnkürzungen auf die Beschäftigten abgewälzt werden. Sie sollten durchschnittlich noch 700 Euro im Monat verdienen und Privatfirmen die für die unpopuläre Maßnahme die Verantwortung tragen. Doch die Rechnung ging nicht auf, denn ein Großteil der Bevölkerung macht wie Ramíréz die wankende Botella für das Müll-Chaos verantwortlich.

Madrid sitzt nun zudem auf Zusatzausgaben, denn die 200 extra von Tragsa eingestellten Beschäftigten müssen genauso bezahlt werden, wie fast 9000 Überstunden bei der städtischen Polizei, die zu ihrem Schutz eingesetzt wurden. Botella will diese Kosten den Firmen in Rechnung stellen, da sie den Minimaldienst nicht gewährleistet hätten. Die bestreiten das.

Statt Selbstkritik daran zu üben, dass sie Madrid einen massiven Imageschaden bescherte, fordert die autoritäre Bürgermeisterin nun sogar eine Änderung des Streikrechts. "Es geht nicht, dass das von der Verfassung garantierte Recht das Leben bis zu unerträglichen Grenzen beeinträchtigt", sagte sie. Die Frau des ehemaligen Falangisten und Ministerpräsidenten José María Aznar sieht in dem Streik auch einen direkten "Angriff" auf ihre Person.