Abmahnlawine von "Unterlassung + Cash" beschäftigt Juristen

Wunschzettel von Urmann + Collegen wegen Pornos erregen die Republik nachhaltig

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Die Gravitationswellen, welche die Regensburger Kanzlei Urmann + Collegen in den letzten Wochen mit ihren Abmahnungen wegen angeblichem Genuss von Werken auf dem Gebiet der Fortpflanzungskunst ausgelöst hatte, provozierte nicht nur die Abgabe der gewünschten Erklärungen und Moneten. Gegen die "Collegen" wurden etliche Strafanzeigen wegen des Verdachts auf Betrug erstattet. Die Staatsanwaltschaft Regensburg betrachtet solche jedoch bislang als unschlüssig.

Betrug im strafrechtlichen Sinne würde eine Täuschungshandlung und zumindest den Versuch voraussetzen, eine hierauf beruhende Vermögensverfügung (deutsch: Zahlung) zu provozieren. Die Abgemahnten werden allerdings in aller Regel wissen, ob sie den Film betrachtet haben oder nicht, so dass bei diesen kein Täuschungserfolg hierüber eintreten kann. Ein Täuschungsversuch würde einen entsprechenden Vorsatz vorraussetzen, wobei man sich darüber streiten kann, inwiefern die offenbar häufig unzutreffenden Vorwürfe der umstrittenen Firma billigend in Kauf genommen wurden. Eine mögliche Täuschung läge in der Suggestion, ob eine abmahnfähige Urheberrechtsverletzung vorliegt. Letzteres wird zwar von nahezu allen Experten als unwahrscheinlich beurteilt, die sehr theoretische Möglichkeit könnte aber ausreichen, um mit der Nummer davon zu kommen. Nicht jede bestrittene Geldforderung ist automatisch ein Betrug, über das Bestehen können Juristen vielmehr lebhaft streiten. Angesichts der Datenerhebung angeblicher Urheberrechtsverbrechen gab es jedoch auch bei den konventionellen Filesharingabmahnungen erstaunliche Ungereimtheiten, denen die Staatsanwaltschaft Regensburg nicht nachgehen wollte.

Ein Betrugsvorwurf wäre allerdings dann zu prüfen, falls die verlangten Anwaltskosten den Abmahnern selbst nicht wirklich entstanden sind. Wenn ein Anwalt für fruchtlose Abmahnungen seiner Mandantschaft keine ernsthafte Rechnung schreibt, sondern die Abmahnungen auf eigenes Risiko versendet, entsteht kein ersatzfähiger Schaden. Diesen Verdacht legt ein Leak der Piratenpartei zu früheren Filesharingabmahnungen nahe, der inzwischen auch mit Dokumenten angeblicher Zahlungsflüsse substantiiert wurde. Rechtsanwalt Urmann bestreitet, dass der geleakte Vertragsentwurf unterzeichnet wurde und will weitermachen.

Das Netz wurde auch auf andere Weise aktiv. Nunmehr tauchte ein Streamingabmahnung-Wiki auf, das sich der Urmänner und ihrer Collegen annimmt. Das bislang noch rudimentäre Projekt lieferte immerhin ein Organigramm über das angebliche Firmengeflecht. Außerdem scheinen die Macher die Beteligten anprangern zu wollen, was deshalb einen gewissen Charme hat, weil Urmann + Collegen ihrerseits letztes Jahr ihre zahlungsresistenten Abmahnopfer an einen Pornopranger stellen wollten, was ihnen einer untersagen ließ. Um lästige Abmahnungen zu ersparen, verzichtet das Wiki auf ein Impressum.

Das Landgericht Köln, dessen Freigibigkeit mit den Adressdaten der Abgemahnten in verdienter Kritik steht, ist inzwischen von den zahlreichen Anrufen so angenervt, dass es sogar auf der Homepage zur Unterlassung abmahnt. Die Verantwortlichen dürfen sich auf eine Beschwerdelawine einstellen. Die Kanzlei U + C muss ebenfalls viele Telefonate beantworten. Auch auf Medienrecht spezialisierte Anwälte "freuen" sich über etliche Anrufer, die ihnen von ihrem Pornokonsum berichten und Abmahnungen beklagen oder fürchten.

Wie auch immer die Zivil-, Straf- und Selbstjustiz dem Abmahnwahn begegnen werden, so geht der eigentliche Vorwurf an die Politik. Das Anti-Abzock-Gesetz der vorigen Bundesregierung, welches durchsichtig erst in den letzten Wahlkampfwochen verbaschiedet wurde, bietet allenfalls einige Ansätze wie die noch immer zu hoch bemessene Kostendeckelung in § 97a Abs. 3 UrhG, dürfte jedoch an der Praxis des Abmahnbusiness wenig ändern. Politisch betrachtet kamen die Pornostreaming-Abmahnungen vier Monate zu spät. Aus pädagogischer Sicht kann man den Politikern nur wünschen, dass sie viele Pornoabmahnungen erhalten, die vorzugsweise von Familienmitgliedern geöffnet werden.