Medien ohne Verstand

Entgegnung zum heutigen TELEPOLIS-Beitrag "Medien ohne Funktion" von Jörg Friedrich

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Vorab: Ich äußere mich nachfolgend nicht in meiner Funktion als Journalist, sondern kommentiere parteiisch: Ich bin mit Frau Weisband eng befreundet und hatte durch ein von vielen Medien aufgegriffenes privates Blogposting in die Diskussion eingegriffen. Den heutigen TELEPOLIS-Beitrag "Medien ohne Funktion" von Jörg Friedrich, der sich mit einer mäßig professionellen Journalistin solidarisiert, möchte ich so nicht stehen lassen.

Frau Weisband wird seit Monaten nahezu stündlich von irgendwem nach ihren Plänen gefragt. Sie hat in den letzten Wochen meines Wissens zu niemandem etwas anderes gesagt, als in ihrem aktuellen Blogpost steht: Sie hat derzeit andere Prioritäten, als ein Comeback zu planen. Es ist vollkommen unerfindlich, warum Frau Weisband der SPIEGEL-Journalistin Merlind Theile etwas anderes gesagt haben sollte. Sie hätte auch keinen Vorteil davon. An einem Mangel an Medienaufmerksamkeit - "Sprachrohren", wie es der Kollege Friedrich nennt - leidet sie nun wirklich nicht. Selbst aus ihren Tweets stricken Journalisten Titelstorys.

Auch tragen Frau Theiles selektiv notierte "Zitate" nicht wirklich die Behauptung "Die junge Politikerin erwägt tatsächlich ein Comeback", nur weil sie es nicht explizit ausschließt (warum sollte sie auch?). Stattdessen ist vielmehr anzunehmen, dass Frau Theile eine solch großzügige "Interpretation" eingesetzt hat, um überhaupt einen derzeit gar nicht journalistisch veranlassten Beitrag über eine attraktive Politikerin unterzubringen. Da das Interview ansonsten kaum Nachrichtenwert förderte und Frau Theile daher umsonst den Weg nach Münster gemacht hätte, hat sie ihre Ausbeute offensichtlich aufgebauscht. Frau Theile hat nun einmal für Suggestivfragen, unsaubere Zitate und reißerische Überschriften einen schlechten Ruf. Ihre Künste, aus irgendwelchen provozierten Statements reißerische Artikel zu fabrizieren, erinnern mich persönlich eher an "Skripted Reality".

Herr Friedrich schreibt nun, Marina Weisband und ihre Anhänger glauben offenbar, die Medien seien im besten Fall so etwas wie ihr Sprachrohr, sie hätten zu berichten, wahrheitsgetreu und unverfälscht, was die politischen Akteure sagen wollten. Viel weiter könnte Herr Friedrich von der Wahrheit nicht entfernt sein. Im Gegenteil billigt Frau Weisband den Medien ihre Pressefreiheit in sogar extremer Weise zu. Selbst dem BILD-Chef Kai Diekmann sagte sie in einem bemerkenswerten TV-Auftritt, BILD solle schreiben, was sie will, auch wenn es ihr nicht gefalle, denn wir hätten Pressefreiheit. Und die ist Frau Weisband heilig.

Wenn eine Politikerin von einer Journalistin in Misskredit gebracht wird, ist es ihr gutes Recht, in ihrem privaten Blog eine eigene Darstellung zu liefern. Entgegen der von Frau Theile suggerierten Unterstellung hat sie den Kontakt nach dem Interview in ihrem Blogpost erwähnt. Eine konventionelle Autorisierung der Zitate in den von der Journalistin konstruierten Zusammenhängen war das aber offensichtlich nicht. Stattdessen kritisiert sie:

Viele vernünftige Leute haben mich gefragt: “Hast du die Zitate echt so gebracht? Sind die autorisiert?“ Ich danke für die Nachfrage. Die Antwort auf Beides ist: „Nein“. (...) Oder sie fragt: „Aber wäre es nicht das Beste für die Piraten, wenn Sie kandidieren?“ Und ich antworte kopfschüttelnd: „Für die Piraten mag es vielleicht das Beste sein, aber für mich? Ich weiß nicht, ob ich für den Politikbetrieb gemacht bin.“ (Daraus wurde das Zitat: „Für die Piraten ist es wohl das Beste, wenn ich kandidiere.“) Auf diesen Kern des Vorwurfs, nämlich den "so" nicht gebrachten und "so" nicht autorisierten Zitaten ist Frau Theile nicht wirklich eingegangen.

Herr Friedrich wiederum interpretiert, Frau Weisband werfe den Medien vor, diese hätten nicht geschrieben, was der Politikerin recht und wichtig gewesen sei. Das Gegenteil ist der Fall. Die Journalistin soll schreiben, was sie will - nur soll sie Frau Weisband nicht mit deren angeblich eigenen Worten in Misskredit bringen. Was Frau Weisband den Medien tatsächlich vorwirft, sagte sie Anfang des Jahres in diesem aufschlussreichen Video von ZAPP.

Der Fall bietet interessantere Beobachtungen:

Autoren wie Herr Friedrich verlangen, Politiker müssten sich den Medien geschmeidig machen, ihre Kritik sei ungehörig. Doch im Gegenteil beweist Frau Weisband die Courage, ggf. wichtige Kontakte und Sympathien zu riskieren. Politiker anderer Parteien hätten die Chefredaktion angerufen. Bei Piratens ist nun mal Shitstorm angesagt.

DER SPIEGEL räumt seit Monaten bekannten Piraten ohne Mandat einen exorbitanten Raum für Gezänk ein, schreibt aber selten über deren Themen. Zu INDECT etwa hat DER SPIEGEL dieses Jahr nur einen spezifischen Beitrag gebracht. Was Herr Friedrich für politischen Journalismus hält, halte ich für Boulevard.

Noch vor ca. sechs Jahren hatte es geheißen, Blogs seien die Klowände des Internets. Vor wenigen Wochen hat sogar das Alpha-Medium DER SPIEGEL ein eigenes Redaktionsblog installiert und damit die Lufthoheit über die Kritik am Blatt ein Stück weit unter Kontrolle gebracht. Dieses Redaktionsblog hat nun erstmals eine wesentliche Funktion erfüllt, nämlich die Abwehr gegen plausible Kritik der Bloggerin Frau Weisband. Damit nicht genug, wurde die SPIEGEL-Klowand sogar bei SPIEGEL-ONLINE prominent verlinkt, um offenbar vermisste Reichweite zu erzielen. Das Monopol der Gutenberg-Galaxis ist damit endgültig gefallen. Die Gatekeepter werden lernen müssen, mit ihrem Kontrollverlust souverän umzugehen.

Marina Weisband: Lauschangriff
(Bild: marinaslied.de)