Hirnscans für den Lügendetektor

Wissenschaftler entschlüsseln anhand von fMRI- und EEG-Daten das Denken und Fühlen von Menschen. Die Arbeiten legen den Grundstein für eine neue Generation von Lügendetektoren, berichtet Technology Review in seiner neusten Ausgabe.

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Wissenschaftler entschlüsseln anhand von fMRI- und EEG-Daten das Denken und Fühlen von Menschen. Die Arbeiten legen den Grundstein für eine neue Generation von Lügendetektoren, berichtet Technology Review in seiner neusten Ausgabe 11/2008 (seit heute am Kiosk oder hier portofrei online zu bestellen).

Sehr interessant für die Geheimdienste dieser Welt dürfte beispielsweise die Arbeit von Giorgio Ganis und seinem Team von der Harvard University sein: Der Psychologe will anhand der Hirnaktivitäten fehlerhafte von wahren Erinnerungen unterscheiden – und beide wiederum von der bewussten Lüge. Irrtümlich für wahr gehaltene Erinnerungen aktivieren Bereiche im Gyrus cinguli, der zum limbischen System gehört, also der Gefühls- und Triebstelle des Gehirns; bewusstes Lügen dagegen erregt Bereiche im rechten vorderen Stirnhirn, wo die Vernunft und die Entscheidungsinstanz sitzen.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch Hans Markowitsch von der Universität Bielefeld. Der weltweit angesehene Gedächtnisforscher ließ eine Gruppe von Studenten Filme anschauen und fragte sie anschließend nach ihren Erinnerungen. Dabei zeigte sich wieder einmal, wie wenig zuverlässig Augenzeugen sind – "erstaunliche 45 Prozent der abgefragten Fakten hatten die Probanden falsch memoriert", schreibt Markowitsch in seinem Buch "Tatort Gehirn". Spannender aber war eine andere Erkenntnis: "Das Erregungsbild des Gehirns unterschied sich tatsächlich, wenn sich ein Proband richtig oder falsch erinnerte."

Markowitsch prophezeit, dass sich Hirnscanner vor Gericht einen ähnlich festen Platz erobern werden wie zuvor DNA-Analysen. Tatsächlich offerieren US-Unternehmen wie "No Lie MRI" oder Cephos als Dienstleistung, Betrüger und Lügner mit fMRI (funktionelle Magnetresonanztomographie) zu entlarven. Vor Gericht ist diese Methode bislang nicht zugelassen. Unverdrossen aber bietet No Lie MRI Arbeitgebern, Bankern und Versicherungen an, Kunden und Angestellte mithilfe von Hirnscans auf ihre Aufrichtigkeit zu überprüfen.

Andere Länder sind sogar schon weiter: Im Juni verurteilte ein Gericht im indischen Bundesstaat Maharashtra der New York Times zufolge eine Verdächtige aufgrund eines EEG-Befunds als Mörderin. Die Hirnwellen sollen auffällige Aktivität gezeigt haben, als die Angeklagte mit Details des Verbrechens konfrontiert wurde. Das soll dem Gericht als Beweis gereicht haben.

Damit hat Indien einen weltweiten Präzedenzfall geschaffen. Zwar wurden in den USA in der Vergangenheit sogenannte Polygrafen als Lügendetektoren verwendet, die allerdings nicht mehr tun, als über Messgrößen wie Atemfrequenz, Puls oder elektrischer Hautwiderstand den Erregungszustand eines Verdächtigen zu erfassen. Im Jahr 1998 wurden sie vom Supreme Court, dem Obersten Gerichtshof der USA, wegen offensichtlicher Schwächen zunächst für Militärgerichte für unzulässig erklärt. Heute dürfen sie nur noch vor einigen Zivilgerichten und hier nur von der Verteidigung als Versuch zur Entlastung verwendet werden.

Entwickelt wurde der indische Lügendetektor ("Brain Electrical Oscillations Signature Test") von Champadi Raman Mukundan, Leiter der Abteilung für Psychologie am National Institute of Mental Health and Neuro Sciences in Bangalore. Seine Software soll sogar zwischen Zeugenerinnerungen und Tatbeteiligung unterscheiden können. Überprüfen lässt sich das nicht, denn die Methode wurde in keinem Fachjournal veröffentlicht, und keine unabhängige Arbeitsgruppe hat sie bislang reproduzieren können.

Einer der Pioniere der EEG-basierten Lügendetektoren, der Neurowissenschaftler Peter Rosenfeld von der Northwestern University, zeigt sich darüber entrüstet: "Technologien, die weder begutachtet noch unabhängig überprüft wurden, sind meiner Auffassung nach nicht vertrauenswürdig. Und die Tatsache, dass eine fortschrittliche und demokratische Gesellschaft wie Indien einen Menschen aufgrund einer unbewiesenen Technologie verurteilt, ist noch unglaublicher." Rosenfeld selbst führte vor einigen Jahren vor, wie sich EEG-Lügendetektoren überlisten lassen: Er forderte seine Probanden auf, sich bei jeder Frage vorzustellen, wie sie von ihrem Professor ins Gesicht geschlagen werden. Das Resultat: Bei den meisten zeigte das Gerät dieselben Messkurven wie beim Lügen.

Die November-Ausgabe der Technology Review ist ab sofort im Zeitschriften- sowie Bahnhofsbuchhandel erhältlich oder kann hier portofrei bestellt werden. (Edda Grabar) / (wst)