re:health: Ärzte auf der re:publica

Auf der als "Subkonferenz" des Berliner Bloggertreffens annoncierten Veranstaltung trafen sich Gesundheitsexperten, um die Rolle des sozialen Netzes für den Gesundheitssektor zu diskutieren.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Detlef Borchers

Wenn die selbsternannte digitale Avantgarde tagt, ist es Zeit für markige Sprüche. "Wir werden die ersten vernetzten Rentner sein", verkündete Mit-Veranstalter Johnny Häusler stolz zur Eröffnung der re:publica 2009. Dementsprechend hatte der Kongress der Netz-Boheme in Berlin eine interessante "Subkonferenz" zum Rentnerthema Nummer Eins organisiert: Gesundheit, schick benamst als re:health. Diese Veranstaltung stand im starken Kontrast zum frühlingshaften Getwittere und Gebalze der übrigen Konferenz-Tracks. Informationen über die eigene Gesundheit sollen nicht mit dem Müll vermischt werden, der sonst ins Internet gekippt wird, lautete das Fazit am Ende der re:health.

Stolz tagen die Blogger, zwitschern die Twitterer auf der re:publica im Berliner Friedrichstadtpalast. Gegenüber des Revuepalasts steht ein großer Glasklotz, in dem die Gematik ihren Sitz hat. Hunderte von Informatikern arbeiten hier an dem Projekt, eine sichere elektronische Gesundheitskarte für das deutsche Gesundheitssystem zu entwickeln. Um die Ecke liegt das Gesundheitsministerium, das dieses riesige IT-Projekt verantwortet. Unter diesen "Vorzeichen" stellte sich die re:health die Frage, was ein mündiger Patient vom Web 2.0 erwarten kann.

Eröffnet wurde die Subkonferenz von einem Referat des Medienökonomen Alexander Schachinger. Er richtete den Blick in die USA, wo das Internet längst die Informationsquelle Nummer Eins bei der Suche nach Krankheitsinformationen ist und das Vertrauen in Angebote wie Patients like me sehr groß sein soll. Allerdings musste der Referent einräumen, dass dadurch nicht automatisch eine gesundheitsbewusste Gesellschaft entsteht. Vielmehr produziere die USA eine "Digital Healthcare Divide": die Patienten, die dringend Aufklärung bräuchten, sind gar nicht online.

Die amerikanischen Erfahrung fasste Schachinger in zwei Empfehlungen zusammen: Niemals sollte man die Fähigkeiten eines Patienten unterschätzen, sich Informationen zu besorgen, dabei aber auch die Vollständigkeit medizinischer Informationen nicht überschätzen. Als Wachstumsmarkt auf beiden Seiten des Atlantiks machte Schachinger die medizinische Betreuung über mobile Kommunikationsgeräte aus, ganz im Sinne der re:publica: Die erste Generation, die souverän mit dem Internet und dem Mobiltelefon umgehen kann, werde alt und gebrechlich, sei aber daran gewöhnt, fortlaufend Daten über ihren Zustand zu liefern.

Unter dem etwas irreführenden Titel "Krankenhauskommunikation 2.0" berichtete Kai Sostmann, Facharzt für Kinderheilkunde an der Charité, wie sein Fach durch die Einführung eines (nichtöffentlichen) Patienten-Wiki oder die Programmierung von Ego-Shootern für die kleinen Patienten profitiert. Darüber hinaus wird von den Ärzten der Charité in Gemeinschaftsarbeit eine hausinterne Medpedia als "Kitteltaschenglossarersatz" entwickelt, die die Stationsarbeit erleichtern soll.

Im Anschluss an das Referat, dass auch die Bedeutung bloggender Eltern von Kindern mit einer Knochenmarkstransplantation hervorhob, entspann sich eine Diskussion unter den anwesenden Ärzten im Publikum. Diese berichteten von der Kehrseite des sozialen Webs. Erzählt wurde etwa die Geschichte eines Patienten, der auf Empfehlung aus einem Forum seine Medikation absetzte und dadurch schwerstkrank wurde. Andere Ärzte betonten, dass Ärzte weitaus offensiver mit dem Internet und Chat-Tools (etwa um eine Zweitmeinung einzuholen) arbeiteten, als dies in der Öffentlichkeit wahrgenommen werde.

Gleich zwei Referate von Juristen befassten sich mit den Rechtsproblemen ärztlicher Internet-Präsenz. So dürfen Ärzte nach dem Heilmittelwerbegesetz nicht mit Vorher-Nachher-Bildern oder Dankesschreiben werben und müssten penibel das Fernbehandlungsverbot beachten, das den Ärzten zwingend vorschreibt, den zu behandelnden Menschen in "eigener Wahrnehmung" zu sehen. Untereinander dürften Ärzte im Internet keine Schmähkritik betreiben, müßten aber den Patienten als "informierten Verbraucher" ernst nehmen.

Die Abschlussdiskusion zur "zukunftsfähigen Gesundheitsversorgung" brachte die einhellige Erkenntnis unter den Medizinern, das fortschrittliche Ärzte ihre Patienten auf "gute Webseiten" und "vernünftige Foren" hinweisen müssen. Der Sozialmediziner Peter Timmermann beklagte den gesammelten "Müll im Internet": "Der Staat muss eingreifen und aufklären, wenn gesundheitsgefährliche Informationen im Internet stehen." So endete die re:health mit dem Wunsch aller Beteiligten, das fürderhin nur geprüfte Informationen im Internet zu finden sein sollen, ganz anders als die re:publica mit ihren rosigen Vision vom Mitmach-Web-Getwitter-Blog-Netz. (Detlef Borchers) / (vbr)