Arktis: Mehr Energieaufnahme als gedacht

Wissenschaftler haben erstmals die Abnahme des Reflektionsvermögens der Arktis aus Satellitenmessungen berechnet

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Wenn im Sommer die Sonne über dem arktischen Ozean für Monate über dem Horizont verharrt und ununterbrochen scheint, dann wird ein Teil ihrer Strahlen vom weißen Eis direkt in den Weltraum geschickt. Albedo nennen Meteorologen und Klimawissenschaftler diese Eigenschaft. Ist deren Wert 1, so heißt das, dass die Rückstrahlung vollständig ist; entsprechend bedeutet eine Albedo von 0 eine vollständige Absorption der einfallenden Strahlung (manchmal wird die Albedo auch in Prozent angegeben, dann reicht ihr Wert von 0 bis 100).

Es lässt sich leicht vorstellen, dass diese Eigenschaft der Polregionen, also die durchschnittliche Albedo von Arktis und Antarktis, eine entscheidende Rolle im globalen Klimasystem spielen. Immerhin ist die über den Tag aufsummierte Sonneneinstrahlung auf dem Höhepunkt des jeweiligen Sommers in den Regionen jenseits der Polarkreise höher als in den Tropen.

Nun hat eine gerade erschienene Studie erstmals die arktische Albedo direkt aus Satellitenmessungen berechnet. Bisher war sie nur indirekt aus der Eisbedeckung und anderen Daten abgeleitet worden. Das Ergebnis: Im Zeitraum 1979 bis 2011 wurde rund 50 Prozent weniger Sonnenlicht zurückgeworfen, als bisher gedacht. Die durchschnittliche Albedo ist in dieser Zeit von 0,52 auf 0,48 zurückgegangen.

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Die Grafik wurde aus Satellitendaten erstellt und zeigt mit Blick auf den Nordpol die Eisbedeckung am 12. September 2013, also in etwa zur Zeit des jährlichen Minimums. Die gelbe Linie markiert die mittlere Minimal-Ausdehnung der Jahre 1979 bis 2008. (Bild: NASA Goddard's Scientific Visualization Studio/Cindy Starr)

Das hört sich nicht nach viel an, aber wenn die dadurch zusätzlich aufgenommene Leistung berechnet wird, kommt man auf beachtliche 6,4 ± 0,9 Watt pro Quadratmeter. Umgerechnet auf die ganze Erdoberfläche, so die Autoren, entspricht das immerhin einem Viertel des Effekts der in der gleichen Zeit emittierten Treibhausgase.

Ursache und sogleich Folge dieser zusätzlichen absorbierten Strahlung – denn natürlich wird die eingefangene Sonnenenergie nicht nur zum Auftauen des Eises verwendet, sondern erwärmt auch die nun freien arktischen Gewässer – ist die überdurchschnittliche Erwärmung des hohen Nordens um rund zwei Grad Celsius seit den 1970ern. Seit dieser Zeit ist die durchschnittliche sommerliche Minimal-Bedeckung um etwa 40 Prozent zurückgegangen, heißt es in einer Pressemitteilung der NASA.

Eine Bemerkung am Rande: Erwartungsgemäß zeigen Detailbetrachtungen für die einzelnen Monate, dass die Albedo nicht nur durch den Rückgang des Eises abnimmt. Auch die verbleibende Eisfläche hat in den Sommermonaten deutlich an Reflektivitätsvermögen verloren. Das dürfte daran liegen, dass aufgrund der Erwärmung der Arktis auch Zahl und Ausdehnung der sich auf dem Eis bildenden Schmelzwasserpfützen und -Tümpel vergrößert.

Ein Vergleich der Messergebnisse mit den Berechnungen eines globalen Klimamodells haben in einzelnen Regionen deutliche systematische Abweichungen zwischen den Messungen und den errechneten Albedo-Werten ergeben. Gemittelt über die ganze Arktis liegen die Differenzen aber innerhalb der Fehlergrenzen der Messungen. Mit anderen Worten, das Modell simuliert die Albedo offensichtlich weitgehend richtig. Wissenschaftler rätseln seit ein paar Jahren, weshalb ihre Modelle den beobachteten raschen Rückgang des Meereises nicht simulieren können. Die Albedo fällt, so ein Ergebnis der Studie, als Fehlerquelle aus.

Das wichtigste Resultat dürfte allerdings sein, dass das Klimasystem mehr zusätzliche Energie aufnimmt, als bisher gedacht. Diese geht ins Meer, und zwar vor allem vor den Küsten Sibiriens und Alaskas, wie der New Scientist schreibt. "Ich weiß nicht, wo sie von dort aus hingeht", zitiert das Magazin den Hauptautor Ian Eisenman. "Ich denke, wir haben einen wichtigen Baustein zur Erzählung über den Klimawandel beigetragen, aber wir brauchen noch jede Menge mehr."