Sprengstoff für die Energiewende

Dieses Hindernis hatte kaum einer auf dem Plan: Über eine Million Tonnen Munition in der Ost- und Nordsee behindern den Ausbau der Windparks. Unsere Autorin war bei der Räumung dabei.

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Von
  • Susanne Donner

Dieses Hindernis hatte kaum einer auf dem Plan: Über eine Million Tonnen Munition in der Ost- und Nordsee behindern den Ausbau der Windparks. Unsere Autorin war bei der Räumung dabei.

Wenn der Tauchroboter Pinguin der deutschen Marine in den kommenden Wochen die Kieler Förde durchstreift, ist der Gedanke an Krieg ziemlich weit weg. Doch Pinguin, drei Meter lang, oval und quietschorange, sucht am Grund nach Minen und Munition. Denn nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben die Nationen die See als billige Müllkippe missbraucht. Sie verklappten kistenweise daumengroße Patronen, kastaniengroße Granaten, aber auch tonnenschwere Minen. Geschätzte 1,6 Millionen Tonnen konventionelle und bis zu 70000 Tonnen chemische Kampfmittel liegen in der Ost- und Nordsee.

Sie behindern nun massiv den Ausbau der Offshore-Windparks. „Auf jeder Trasse und bei jedem Park“, sagt der Koblenzer Meeresbiologe und Munitionsspezialist Stefan Nehring, „muss man mit Minen und Granaten rechnen.“ Die Belastung mit alter Munition wird die Energiewende um viele Monate, wenn nicht Jahre verzögern, ist er sich sicher.

Genau das erlebte der Netzbetreiber Tennet, als er 2012 den Windpark Riffgat in der Nordsee mit einem oberschenkeldicken Kabel anschließen wollte. Entgegen den offiziellen Seekarten war die Trasse gespickt mit Geschossen. „Würde die Munition beim Verlegen eines Kabels berührt, könnte es zu einer Massendetonation kommen“, sagt Kampfmittelräumspezialist Mathias Bölt vom Unternehmen Boskalis Hirdes. „Sie kann Teile des Schiffs zerstören und Menschen verwunden.“

Tennet hatte die Baufirma daher beauftragt, die gefährliche Altlast zu bergen. Im Frühjahr 2012 begann das Projekt, 42 Kilometer lagen vor den Arbeitern. Niemand ahnte damals, wie schwer die Räumung werden würde. Was eigentlich ein 50-Tage-Job für eine Handvoll Leute sein sollte, wuchs sich zu einem Mammutprojekt aus, das knapp zwei Jahre dauerte, mehr als 80 Mann auf drei Arbeitsschiffen rund um die Uhr beschäftigte – und zu einem Lehrstück für die Windbranche an Nord- und Ostsee wurde. Der Windpark Riffgat hätte schon im August vergangenen Jahres Strom liefern können, „wenn die Munitionsbelastung dort nicht so extrem hoch gewesen wäre“, klagt Claus Böttcher vom Schleswig-Holsteinisches Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume.

Als ich im März 2013 das Minenfeld besuche, liegt daher noch eine Menge Arbeit vor dem Räumungskommando. Spezialist Bölt drängt sich in orangefarbener Sicherheitsjacke und Schwimmweste sowie S3-Arbeitsschuhen mit Stahlkappen in den Windschatten des Zubringerboots „William Wallace“. Von der Nordsee her bläst ein frostiger Wind, der mit jedem Kilometer, den sich das Schiff aus dem Hafen in Norddeich entfernt, unbarmherziger in die Glieder dringt. Bölt ist mit mir auf dem Weg zur „Baustelle“, wie sie das verminte Gebiet nennen.

Dort angekommen, lassen seine Kollegen ein Unterwasserfahrzeug in die trübe See. Es schleicht am Meeresgrund entlang. Die Kampfmittel können zwar auch professionelle Taucher aufsammeln. Doch das ist gefährlich und teuer. Deshalb schwimmt ein unbemanntes U-Boot zu den Geschossen. Der rund zwei mal zwei Meter große rote Würfel ist der eigentliche Spürhund bei der Minensuche. Er besitzt Greifarm, Saugrüssel, mehrere Kameras und einen Metalldetektor. Pilot Richard Luter hat die Hand am Joystick. „Da haben wir etwas“, ruft er.

Eigentlich soll hier keine Munition mehr liegen, weil die Region am Vortag geräumt wurde. Doch der Metalldetektor schlägt aus. Die Wechselwirkung zwischen dem elektromagnetischen Feld der Detektorspule und dem Metall verrät Luter Größe und Lage des Objekts: „6500 Millivolt, elf Zentimeter unter dem Sand.“ Oberhalb von 4000 Millivolt ist es erfahrungsgemäß eine Mine. Je mehr Volt, desto größer. Der Copilot schreibt die Zahlen in ein Buch. Auf der Navigationskarte taucht der Fund als neuer grüner Messpunkt auf. „Alle Nationen, die sich im Zweiten Weltkrieg bekämpft haben, arbeiten jetzt hier, um dieses Zeug wieder aufzuräumen“, sagt Luter und lacht leise.

Munition, die mit großer Sicherheit nicht mehr detonieren kann, wird normalerweise in roten Containern am Seegrund gesammelt. Der staatliche Kampfmittelräumdienst liest diese Boxen von Zeit zu Zeit auf und vernichtet den Sprengstoff in den Geschossen in Spezialanlagen an Land. Große Seeminen und gefährliche Munition, die nicht sicher an Bord transportiert werden können, sprengen die Arbeiter an Ort und Stelle in der Nordsee. Drei Minen waren es 2012 auf Tennets Trasse. Mit einer großen Glocke, sea scarer genannt, verscheucht die Besatzung die Robben im Wasser, um sie vor der Wucht und dem Lärm der Detonation zu verschonen. Dann bringt sich die Mannschaft in 1000 Metern Entfernung in Sicherheit vor umherfliegenden Metallsplittern. In der Ferne schießt dann eine haushohe Wassersäule wie ein Geysir empor.

(grh)