NSA-Skandal in Europa: Zwischen Fassungslosigkeit, Desinteresse und Resignation
Wie wurden die Snowden-Enthüllungen eigentlich in anderen Ländern aufgenommen? Um das zu erfahren, hat sich heise online in Europa umgehört. Es zeigen sich große Unterschiede, nur Konsequenzen hatte der NSA-Skandal nirgends.
Als Edward Snowden im Sommer 2013 an die Öffentlichkeit trat und erste Beweise für ein gigantisches Überwachungssystem der NSA und befreundeter Geheimdienste vorlegte, wurde schnell klar, dass er mit seinen düsteren Warnungen nicht übertreibt. Westliche Dienste haben inzwischen ein System der totalen globalen Überwachung eingerichtet und das alles vorgeblich im Interesse der nationalen Sicherheit. Der NSA-Skandal bestimmt seitdem nicht nur auf heise online die Schlagzeilen. Doch bleibt die Auseinandersetzung mit den Enthüllungen größtenteils einzelstaatlich.
Eine grenzüberschreitende Debatte findet auch im vereinten Europa nicht statt. Wir haben deswegen europäische Journalisten gebeten, den Umgang ihrer Heimat mit den NSA-Berichten zusammenzufassen. Dies ergab ein uneinheitliches Bild: Während in Ländern wie den Niederlanden oder Schweden intensiv über die Enthüllungen diskutiert wurde, haben sie andere fast gänzlich kalt gelassen. In Frankreich etwa gibt man sich wenig überrascht und in Großbritannien verweigern alle bis auf eine Zeitung eine Debatte über die Überwachung. Nur in einem gleichen sich Europas Staaten auffallend: Konsequenzen sind ausgeblieben.
Eingeschlagen wie eine Bombe
Aus einigen Staaten berichten die angeschriebenen Journalisten, dass die Enthüllungen des Edward Snowden eingeschlagen hätten wie eine Bombe. Diese Formulierung hat Bart Olmer von der niederländischen Tageszeitung De Telegraaf verwendet. In seinem Land hätten sie intensive Diskussionen in der Presse, der Öffentlichkeit und dem Parlament ausgelöst. Dabei sei es auch um die Rolle des niederländischen Geheimdiensts AIVD (Algemene Inlichtingen- en Veiligheidsdienst) gegangen, der in ähnlichem Ausmaß wie die NSA überwacht. So habe seine Zeitung enthüllt, dass der AIVD vor Jahren in Second Life spionierte. In Schweden wiederum haben die Medien zwar intensiv berichtet, aber das öffentliche Interesse sei überschaubar geblieben, schreibt Tobias Brandel von der Tageszeitung Svenska Dagbladet.
Noch 2008/09 sei das ganz anders gewesen. Damals habe es immense Proteste gegen eine Ausweitung der Befugnisse für den Geheimdienst FRA (Försvarets radioanstalt) gegeben. Wenige Monate später war Schwedens Piratpartiet ("Piratenpartei") mit mehr als 7 Prozent ins Europaparlament gespült worden (Umfragen für 2014 sehen sie derzeit bei unter 2 Prozent). Sanna Torén Björling, die US-Korrespondentin der Tageszeitung Dagens Nyheter, begründet das große mediale Interesse in Schweden mit der langen Tradition von Offenheit und Transparenz. Außerdem hätten viele Redaktionen dafür plädiert, Edward Snowden nicht als Verräter zu behandeln. Das Vorgehen gegen Whistleblower wie ihn sei eine Gefahr für die Demokratie.
Intensiv wurde anfangs auch in Estland über den Überwachungsskandal berichtet, schreibt Hans Lõugas von der Tageszeitung Eesti Päevaleht. Danach sei aber eine gewisse Sättigung erreicht worden. Das habe auch an der Politik gelegen, die nicht reagiert oder die Partnerschaft mit den USA bekräftigt habe. Lediglich für die sehr beliebte und fortschrittliche E-Government-Infrastruktur des Landes sei eine Risikoanalyse durchgeführt und verbesserte Sicherheitsmaßnahmen angekündigt worden. Ansonsten hätten die Esten die Überwachung wohl als unvermeidbare Folge der Digitalisierung akzeptiert. Auch der Blick auf die Technik habe sich gewandelt: Sei man etwa einst stolz gewesen auf Skype und seine estnische Herkunft, gehört das Programm nun Microsoft und werde staatlich überwacht.
Die Macht der Geschichte
Unter dem Stichwort Datagate wird auch in Italien seit Beginn über die Enthüllungen berichtet, schreibt Simone Cosimi, freier Journalist für La Repubblica, Wired.it und VanityFair.it. Anfangs habe das Thema die Schlagzeilen beherrscht, dann fehlte den meisten Medien aber wohl die Möglichkeit, neue Zugänge zu der Geschichte zu finden. Und die italienische Politik, die sowieso nicht für ihre Transparenz bekannt sei, habe nur sehr zurückhaltend reagiert. Die italienische Öffentlichkeit habe sich wohl lediglich in ihrem Misstrauen gegenüber US-amerikanischen Geheimdiensten bestätigt gefühlt. Cosimi erinnert an die Entführung von Abu Omar durch die CIA sowie den ungeklärten Abschuss des Itavia-Flugs 870. Außerdem wurden die USA in seinem Land sogar mit der Ermordung des ehemaligen Ministerpräsidenten Aldo Moro im Jahr 1978 in Verbindung gebracht.
Österreichs Medien haben groß und breit über die Enthüllungen berichtet, schreibt Markus Sulzbacher von der Tageszeitung Der Standard. Gegen die in der Bevölkerung verbreitete Überzeugung, die Überwachung könne man eh nicht verhindern, sei man aber offenbar nicht angekommen. Auch weil die Politik seltsam mit der Frage umgehe. So ist das Land ja eigentlich neutral, die Armee (das Bundesheer) kooperiere aber eng mit der NSA. Gleichzeitig ermittle nun der Verfassungsschutz wegen der NSA-Villa, einer mutmaßlichen Abhörstation in Wien. Welche Seite sich durchsetzen werde, sei aber klar: Bei den Ermittlungen werde nichts herauskommen.
Zumindest worum es den Überwachern in Österreich geht, ist aber klar, erläutert Erich Moechel, investigativer Journalist vor allem für den ORF. Wegen der vielen internationalen Organisationen gebe es in Wien ungewöhnlich viele Diplomaten – schätzungsweise mehr als 17.000. Deswegen sei davon auszugehen, dass deswegen vor allem Einheiten wie die "Tailored Access Operations" eingesetzt werden, die es auf hochrangige Ziele abgesehen haben und deren Arsenal Jacob Appelbaum enthüllt hatte. Ein massenhafter Abgriff von Daten an Glasfaserkabeln vor Ort sei dagegen schon allein wegen der geografischen Lage eher unwahrscheinlich.
"Non!" – "Si!" – "Ohhh!"
In Frankreich war die gängigste Reaktion ein "Wussten wir das nicht bereits?", schreibt Lucie Ronfaut von Le Figaro. Die Menschen seien mit der Überwachung zwar nicht einverstanden, aber eine Protestbewegung sei deswegen auch nicht entstanden. Auch die Politik habe erst wirklich reagiert, als enthüllt wurde, dass französische Diplomaten von der NSA ausspioniert wurden, erklärt Martin Untersinger von Le Monde. Damals wurde sogar der US-Botschafter im Land einbestellt, ein ungewöhnlicher Schritt, zu dem es auch in Deutschland gekommen war.
In diesem Zusammenhang darf auch nicht vergessen werden, dass der französische Auslandsnachrichtendienst DGSE (Direction Générale de la Sécurité Extérieure) sehr eng mit der NSA kooperiert. Und der hat seinerseits eine eine eigene Überwachungsinfrastruktur eingerichtet, die darauf ausgelegt ist, große Mengen an Internetdaten abzufangen. Hier wird die NSA also wohl eher kopiert, als kritisiert. Dass Frankreichs Parlamentarier nur ein sehr geringes technisches Verständnis hätten, helfe bei dem Thema auch nicht, meint Untersinger.
So groĂź wie in anderen Ländern war die Geschichte um Snowdens Dokumente in Spanien nie, fasst Joseba Elola von El PaĂs zusammen. Auch die Politiker hätten sich nicht groĂź darum gekĂĽmmert und keine Konsequenzen verlangt. Als Ministerpräsident Mariano Rajoy im Januar 2014 die USA besuchte, sprach er mit Obama zwar ĂĽber die Ăśberwachung, ĂĽbte aber keine Kritik. Danach erklärte er Journalisten, die Erklärungen der US-Regierung seien ausreichend. Selbst als enthĂĽllt wurde, dass fĂĽr die NSA in Spanien eine immense Menge an Daten zu Telefongesprächen gesammelt wird, habe es nur zurĂĽckhaltende Reaktionen und keine Proteste gegeben.
Kein Interesse
Während in einigen Ländern zumindest anfangs Interesse herrschte, blieben andere deutlich gleichgültiger – in Rumänien etwa, meint Laura Ciobanu von der Tageszeitung Evenimentul zilei. Zwar würden die Massenmedien über die Enthüllungen berichten, vor allem, wenn die Überwachung von Berühmtheiten – wie Angela Merkel – öffentlich wird. Wichtiger seien die internen politischen Probleme. Als Einwohner eines ehemaligen kommunistischen Landes, seien viele wohl – irrigerweise, wie Ciobanu extra anmerkt – davon ausgegangen, dass ihre Telefone immer noch abgehört werden und deswegen wenig überrascht. Auch Snowdens Schicksal habe lediglich am Anfang für Aufsehen gesorgt, vor allem wegen des Konflikts zwischen den USA und und dem ungeliebten Russland.
Auch in Litauen habe man über Snowdens Dokumente berichtet, erklärt der stellvertretende Chefredakteur im Auslandsressort der größten Tageszeitung Lietuvos Rytas, Gintaras Radauskas. Doch er hält die Enthüllungen nicht für überraschend und ihren Nachrichtengehalt für zweifelhaft. Warum spreche denn niemand über die gewaltigen Überwachungsmaßnahmen der Franzosen, Russlands oder Chinas? Einige Leute in seinem Land würden auch vermuten, dass Snowden mit dem Kreml kooperiere, immerhin sei es auffällig, wie seine Enthüllungen russischen Interessen diene. Außerdem wiegelt Radauskas bei der Sammlung von Verbindungsdaten – etwa im Rahmen von PRISM – ab, immerhin gehe es nicht um Inhalte. Aber die Stimme der Vernünftigen werde in Litauen – wie fast überall sonst – inmitten der "Panikmache von Populisten" nicht gehört.
Ruhig Blut
Die Schweiz reagiere insgesamt weniger hysterisch und neige nicht so stark zu solchen Ausbrüchen wie der große Nachbar Deutschland. Das merke man auch bei den Snowden-Enthüllungen erläutert Eric Gujer, Leiter des Auslandressorts der Neuen Zürcher Zeitung. Allein deshalb wurde die NSA-Überwachung in dem Land weniger intensiv diskutiert. Hinzu komme die gänzlich andere Geschichte, die das Land mit den Vereinigten Staaten verbinde. In Deutschland sieht er der ehemaligen Besatzungsmacht eine übersteigerte Freundschaft oder aber übermäßig scharfe Kritik entgegen gebracht. Für die Schweiz seien die USA dagegen nur ein Land unter vielen, weswegen die emotionale Betroffenheit ob der Überwachung geringer sei. Man fühle sich einfach weniger stark verraten. Da habe sicher auch die Tatsache hineingespielt, dass es keine Verbindung zwischen dem Schweizer NDB (Nachrichtendienst des Bundes) und der NSA gebe – sein Land habe in Snowdens Dokumenten nicht einmal einen eigenen Codenamen.
Debatte um den Boten, nicht die Botschaft
Keine Einschätzung der Lage war aus dem Vereinigten Königreich zu bekommen – irgendwie passt das zu der Art und Weise, wie das Land mit den Enthüllungen umgegangen ist. So steht Großbritannien seit Anfang der Enthüllungen im Fokus, ist doch der britische GCHQ (Government Communications Headquarters) ein ganz besonders enger Verbündeter der NSA. Das machte die britische Tageszeitung The Guardian öffentlich, die dank der Zusammenarbeit mit dem Journalisten und Snowden-Vertrauten Glenn Greenwald besonders viel enthüllen konnte.
Doch abgesehen davon spielte das Thema in den britischen Medien eine auffallend kleine Rolle. Statt über die Botschaft wurde über den Boten diskutiert. Die Regierung unter Premier David Cameron griff wegen der Veröffentlichungen massiv den Guardian an, bis aus dem Ausland an den Wert der Pressefreiheit erinnert wurde. Aus der Bevölkerung kam nicht viel Widerstand, wohl auch weil die Briten dank der Unmenge an Kameras im öffentlichen Raum bereits an die allumfassende Überwachung gewöhnt. (mho)