Piraten: Fertig zum Kentern?

Im Streit in der Piratenpartei über die Aktion einer Piratin werden auch die eigenen Grundsätze verletzt

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Die Piratenpartei sorgt in den letzten Tagen wieder vermehrt für Schlagzeilen. Ob dies der angeschlagenen Partei zugute kam, die nach dem desaströsen Ausgang der Bundestagswahlen verunsichert ist, kann bezweifelt werden. Denn der Kalauer "Bereit zum Kentern" hat hier sogar einen gewissen Wahrheitsgehalt.

Manche verlassen schnell das vielzitierte "lecke Schiff". Im Berliner Bezirk Reinickendorf hat es gleich die gesamte dreiköpfe Piratenfraktion zu neuen Ufern gezogen. Ein Ex-Pirat dockt bei der CDU, seine beiden ehemaligen Kollegen legen bei der SPD an. Doch die Berliner Piraten stellen sich nicht etwa die Frage, was die Vertreter einer Partei, die alles ändern wollte, zu den beiden Altparteien treibt.

Der Berliner Landesverband moniert lediglich, dass die ehemaligen Parteifreunde ihr Mandat mitgenommen haben: "Wir fordern Michael Windisch, Sascha Rudloff und Benjamin Adamski auf, ihre Mandate nieder zu legen. Nicht sie wurden von den Reinickendorferinnen und Reinickendorfern gewählt, sondern die Piratenpartei. Unsere Liste verfügt über ausreichend Nachrücker, um die Fraktion in Reinickendorf fortzuführen und unsere Politik auf Bezirksebene konstruktiver und vor allem aktiver voran zu bringen. Die Piratenpartei Berlin kämpft für eine verantwortungsvolle, mutige und transparente Politik mit mehr Bürgerbeteiligung und gegen die durch die anderen Parteien geschaffene Verkrustung der etablierten Strukturen."

Die kurze Erklärung schließt in ihrer Formelhaftigkeit so an ähnliche Erklärungen anderer Parteien an, dass man sich nicht wundern muss, wenn die drei Reinickendorfer dann gleich dort andockten. Wie alle anderen Parteien beklagen auch die Piraten sich nur, wenn ein auf ihrer Liste gewählter Mandatsträger seine Funktionen beim Austritt behält. Als in NRW mehrere auf der Liste der Linkspartei gewählte Abgeordnete zu den Piraten flohen und ihnen damit in verschiedenen Kommunalparlamenten erstmalig eine Präsenz verschafften, gab es natürlich diese Klagen seites der Piraten nicht.

"Ich finde die Fragen blöd"

Doch die Piraten wären froh, wenn die Aus- und Übertritte einiger Kommunalpolitiker ihr einziges Problem wären. Bald sorgte noch ein sehr eigenwilliges Interview des Berliner Piratenabgeordneten Christopher Lauer für neuen Ärger. Dabei war zunächst einmal erfrischend zu lesen, dass Lauer, der für das Amt des Berliner Landesvorsitzenden der Piraten kandiert, nicht devot um die Sympathie des Interviewers buhlte. Vielmehr ließ er den Journalisten spüren, dass er weder ihn noch die Fragen mochte. Statt aber dann irgendwelche Sprechblasen abzusondern, erklärte Lauer unumwunden: "Ich find die Frage blöd."

Auf die Frage, warum er für den Landesvorsitz kandiert, antwortete Lauer kurz und knapp: "Na, ich trau mir das halt zu." Als der Reporter dann eine Frage zur Piraten-Strategie zur Europawahl stellte, antwortete Lauer schlagfertig. "Da müssen Sie unseren Bundesvorsitzenden fragen zum Europawahlkampf, oder?" Auch hier unterscheidet er sich wohltuend von all den Politikern, die lieber eine gefällige Sprechblase absondern, als zuzugeben, dass sie zu dieser Frage nichts zu sagen haben oder nicht zuständig sind. Eigentlich müsste Lauer mit diesem Interview bei der Piratenpartei punkten. Schließlich betonten sie auch immer, dass die gewählten Funktionäre nur Sachverwalter sind und die Politik von der Basis gemacht wird. Trotzdem äußern sich auch ehemalige bekennende Piratenwähler empört. Sie werfen Lauer Unreife und Spontitum vor, was über das gar nicht so alternative Politikverständnis vieler Piratenwähler und wohl auch Mitglieder viel aussagte.

Dass die Piratenbasis längst nicht so anders als der Mainstream ist, musste auch die Piratenpolitikern Anne Helm in den letzten Tagen erleben. Auslöser eines wahren Shitstorms war eine Aktion anlässlich der Trauerfeierlichkeiten zum alliierten Bombardement auf Dresden am 13. Februar.

Zwei maskierte Frauen traten dort kurzzeitig in Pussy-Riot-Manier mit nackten, aber beschrifteten Brüsten auf. "Antifa Action, 13. Februar" und "Thanks Bomber-Harris" lauteten die aufgemalten Parolen. Damit wird auf Sir Arthur Harris angespielt, der für die alliierten Bombenangriffe in den letzten Monaten des 2. Weltkriegs verantwortlich war.

"Jetzt versenken sich die Piraten selbst", jubilierte die Boulevard-Presse. Doch auch innerhalb der Partei war die Empörung. Die Reaktionen ähnelten den Beschimpfungen, denen zwei Landtagsabgeordnete der bayerischen Grünen vor einigen Monaten ausgesetzt waren, als sie das Denkmal für die Münchner Trümmerfrauen in einer symbolischen Aktion verdeckten. Während sich aber in München die Grünen hinter die angegriffenen Parteimitglieder stellten, beteiligen sich im Fall von Anne Helm auch viele Menschen, die sich selber als Mitglieder oder Wähler der Piraten darstellen.

Diskursstrategie der Antinationalen

Auffällig ist, wie berechenbar hier im Sinne des deutschen Mainstreams reagiert wird. Dabei wird völlig ausgeblendet, dass der positive Bezug auf Bomber Harris von antifaschistischen und antinationalen Gruppierungen bereits seit mehr als 20 Jahren verwendet wird, um gegen die Neonaziaufmärsche rund um den 13. Februar in Dresden zu mobilisieren, aber auch um den Dresdner Opfermythos anzugreifen. In dem im Berliner Verbrecherverlag erschienenen Buch "Gedenken abschaffen" wird gut nachgezeichnet, wie die Parole "Bomber-Harris do it again" von einer antinationalen Gruppe aus Hamburg kreiert worden und auch in der antifaschistischen Bewegung immer wieder auf große Kritik gestoßen ist. Erst ab Mitte der 90er Jahre wurde sie von einigen Gruppen als gezielte Diskursstrategie eingesetzt.

Man erzeugte Empörung und gerade dadurch regte man die Leute zum Nachdenken an, lautete die Strategie. Schließlich hätte sich niemand aufgeregt, wenn man im Dresdner Mainstream nur die Aufmärsche der extremen Rechten ins Visier genommen hätte. Gerade dadurch, dass man mit Bomber-Harris einen Mann öffentlich lobte, der schon von den Nazis zum Massenmörder gestempelt wurde, konnte man später auch darüber diskutieren, dass Dresden eben nicht die unschuldige Kulturstadt war, die von alliierten Bomber völlig grundlos in Schutt und Asche gebombt wurde. In dem Buch "Gedenken abschaffen" gehen Historiker und Soziologen darauf ausführlich ein. In dem Mahngang Täterspuren finden diese lange verdrängten Erkenntnisse langsam auch in Dresden Zuhörer.

Natürlich bleibt die Frage, ob die Diskursstrategie, mit Bomber-Harris für Empörung zu sorgen, im Jahr 2014 noch die richtige ist bzw. ob sie es jemals war. Wenn man aber manche Reaktionen auf die Piratinnenaktion liest, könnte man glauben, sie hätten eigenhändig Dresden erneut bombardieren wollen.

Anonymität missachtet

Was aber in der pirateninternen Debatte völlig ausgeklammert wird, ist die Missachtung der von den Akteurinnen gewählten Anonymität. Sie hatten ihre Gesichter enttarnt, wurden an Tattoos und Gürtelschnallen erkannt und so gegen ihren Willen der Öffentlichkeit preisgegeben. Erst nach großem Druck räumte Helm in einem Interview ein, an der Aktion beteiligt gewesen zu sein. " Ich habe die Aktion zusammen mit Deborah Anderson, der Sprecherin von Femen Berlin, gemacht", erklärte sie gegenüber der Jungle World.

Auffällig ist dabei, dass Helm ihre Partei aus der Kritik nimmt. Austrittsforderungen kämen von rechten Gruppen. Dabei übergeht sie, dass solche Forderungen sehr wohl aus der eigenen Partei kommen, andere wegen ihr ausgetreten. Dass auch in ihrer eigenen Partei die gewünschte Anonymisierung missachtet wurde, ist für Helm auch keinen Gedanken Wert. Dabei beschreibt sie selber die Folgen ihrer Enttarnung:

"Ich bekomme zurzeit Drohungen, die von Suizid-Aufrufen, Morddrohungen bis hin zu Vergewaltigungsandrohungen reichen. Da ist eigentlich alles dabei. Es gibt eine Facebook-Seite, auf der unter anderem gefordert wird, ich solle öffentlich in Dresden gehängt werden. Als ich das letzte Mal nachgeschaut habe, hatte sie fast 9000 Likes. Ich habe auch schon einen Anruf bekommen vom Landeskriminalamt Berlin, Abteilung Rechtsextremismus. Die haben mir mitgeteilt, dass sie eine Akte über mich angelegt haben, da ich auf einschlägigen Seiten gelistet werde. Mir ist mitgeteilt worden, dass meine Kontaktdaten auf mehreren Nazi-Seiten veröffentlicht wurden."

Warum sie besonders im Fokus des deutschen Volkszorns steht, erklärt Helms auch plausibel. "Ich glaube, der Grund ist vor allem, dass ich geoutet wurde. Es gibt ja einen Grund, warum ich vermummt war." Warum sie aber von ihrer eigenen Partei, die auch den individuellen Datenschutz auf ihre Fahnen geschrieben hat, nicht besonders verlangt, dass der Wunsch nach Anonymität eingehalten wird, ist schwer verständlich.