ACTA-Pläne gegen Produktpiraterie: Kritische Würdigung in EU-Studie

Gutachter äußert sich kritisch über die Daten, die dem ACTA zugrunde liegen sollen. Daniel Caspary, Abgeordneter im Europäischen Parlament, geht von einer vollen Beteiligung des EU-Parlaments bei der Verabschiedung aus.

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Von
  • Monika Ermert

Während in der US-amerikanischen Botschaft in Genf in dieser Woche erstmals "offiziell" über das von westlichen Ländern geplante Handelsabkommen gegen Fälscherei (Anti-Counterfeiting Trade Agreement, ACTA) beraten wurde, startete beim Europäischen Parlament die Auswertung einer Studie zu ACTA. Gutachter Claudio Dordi von der Bocconi Universität in Mailand äußert sich in der Studie unter anderem kritisch zu den Piraterie-Statistiken, die dem bislang hinter verschlossenen Türen verhandelten Abkommen zugrundegelegt werden. Daniel Caspary, CDU-Abgeordneter im Europäischen Parlament und Mitglied im für ACTA zuständigen Ausschuss für Internationalen Handel, sagte, er gehe von einer vollen Beteiligung des EU-Parlaments bei der Verabschiedung aus.

Erklärtes Ziel des neuen Abkommens, das auf Initiative der USA, Japans und der EU gemeinsam mit Australien, Kanada, Jordanien, Korea, Mexiko, Marokko, Neuseeland, Singapur, der Schweiz und den Vereinten Arabischen Emiraten verhandelt wird, sind Maßnahmen gegen "Verletzungen geistigen Eigentums im großen Stil". Das verlautbarten die Vertragspartner in der vergangenen Woche unmittelbar nach ihrem Treffen in Genf. Strafrechtliche Maßnahmen, etwa bei "Gefahr für die öffentliche Sicherheit und die Gesundheit" der Verbraucher, seien ebenfalls ein Thema.

Caspary wandte sich im Gespräch mit heise online gegen Befürchtungen, dass das Abkommen darauf ziele, private iPods oder Laptops an der Grenze nach möglicherweise raubkopiertem Material zu durchsuchen. "Das kann nicht die Sache etwa US-amerikanischer Grenzbeamter sein," sagte Caspary, "die Privatsphäre muss geschützt werden." Der Schutz der Privatsphäre sei letztlich auch unerlässlich für den Schutz des geistigen Eigentums. "Andernfalls würde der Industriespionage Tür und Tor geöffnet."

Das Abkommen zielt seiner Ansicht nach insbesondere auf eine sanktionsfähige Umsetzung von "Dingen, die in der Welthandelsorganisation und in TRIPS (Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, d. Red.) geregelt sind." Zu den Hauptadressaten gehören laut Caspary eine Reihe von Schwellenländern, "die sich einen feuchten Kehrricht ums geistige Eigentum scheren". Der Abgeordnete geht davon aus, dass mit der Kompetenzerweiterung des Parlaments durch den Vertrag von Lissabon über den abschließenden Vertragstext mit entschieden wird.

Gutachter Dordi verweist in seiner Studie für das Parlament, die heise online vorliegt, auch auf Bemühungen der Schwellenländer im Kampf gegen Piraterie und Fälschungen. Die Zahl der Verhaftungen in derartigen Fällen hat nach seinen Angaben zwischen 2000 und 2004 um 36 Prozent zugenommen, 5305 Fälle seien vor chinesischen Gerichten verhandelt worden. Gleichzeitig mahnt der italienische Urheberrechtsexperte, es fehle an wirklich belastbaren Zahlen zu den Effekten von Piraterie für den internationalen Handel. Die EU und die USA legten Verluste zugrunde, die auf der Basis von Klagen der jeweiligen Industriebranchen geschätzt worden seien. "Die Schätzungen der Größenordnungen von Fälschung und Piraterie tendieren zu überzogenen Zahlen", schreibt Dordi.

Trotz einer grundsätzlich positiven Beurteilung des Versuchs, etwas für die bessere Umsetzung bestehender Gesetze zum Schutz des geistigen Eigentums zu tun, empfiehlt der Gutachter schließlich, auch bestehende Schrankenregelungen und Ausnahmen nicht zu vergessen. Solche Ausnahmen fänden bei internationalen Verhandlungen in der WTO oder bei der WIPO inzwischen vermehrt Beachtung. Das sei ein Grund für Ausweichbewegungen westlicher Länder weg von den multilateralen hin zu bilateralen Abkommen– oder – wie bei ACTA – zu Abkommen zwischen "gleich gesinnten" Staaten. Entwicklungsländer hätten damit weniger Einflussmöglichkeiten.

Dordi nannte einen offenen Vertrag im Stile eines OECD-Vertrags eine Alternative. Ferner rät er, auf die Konsistenz des gesetzlichen Flickenteppichs zum Schutz des geistigen Eigentums zu achten. In den nationalen Gesetzen der ACTA-Verhandlungspartner, die sich bereits im Juli wieder treffen, gibt es nämlich durchaus eine Reihe von Vorschlägen, die über TRIPS hinausgehen. Das Gutachten, bis vor kurzem noch auf einer Webseite mit Studien der EU, ist dort aktuell nicht mehr verfügbar. Monika Ermert/ (uh)