Das BKA und die Kinderpornos: Die blaue Mauer des Schweigens

Außer Kontrolle

Jörg Ziercke hat vielleicht nicht gelogen, doch zumindest hat er etwas für sich behalten

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Die Homepage des Bundeskriminalamtes ist in einem leuchtenden Blau gehalten und wer die momentane Entwicklung rund um die Kinderpornographie-Thematik verfolgt, dem kommt ggf. der Begriff "blaue Mauer des Schweigens" in den Sinn. Darunter versteht man in den USA den Corpsgeist und die Bereitschaft, Fehlverhalten innerhalb der Strafverfolgung zu vertuschen und (nicht nur) gegenüber internen Ermittlern zu schweigen.

Notizen? Unnötig...

Seit den Hausdurchsuchungen bei dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy hat sich aus der "Affäre Edathy" eine Regierungsaffäre entwickelt, die auch auf das BKA übergegriffen hat. Jörg Ziercke war im Zuge dieser Affäre bereits wegen seines Gespräches mit dem SPD-Abgeordneten Thomas Oppermann in die Medien geraten und auch dies hat bisher eher zu mehr Fragen als Antworten geführt. Zwar hat Jörg Ziercke deutlich festgestellt, er habe keinerlei Informationen herausgegeben, ferner auch nicht bestätigt, dass es Ermittlungen gab oder geben würde. Doch wer sich mit Telefongesprächen zwischen "Bekannten" beschäftigt, der weiß, dass es eben auch so etwas wie ein "vielberedtes Schweigen" gibt, welches letztendlich beiden Beteiligten zugute kommt. Sollte es Fragen geben, so können sich beide darauf einigen, dass zwar etwas gefragt, jedoch nicht geantwortet wurde, was nicht einmal gelogen wäre. Im persönlichen Gespräch entspricht dies dem vielsagenden Blick, der ohne Worte auskommt.

Ob dem so war in diesem doch eher ungewöhnlichen Gespräch, bleibt offen, was jedoch für eine solche These sprechen könnte, ist das ungewohnte Fehlen einer Gesprächsnotiz sowohl bei Herrn Oppermann als auch bei Herrn Ziercke. Normalerweise werden gerade Telefonate, die ggf. zu heiklen Nachfragen führen können, wenigstens in Stichworten festgehalten und so aktenkundig, doch in diesem speziellen Fall bleibt letztendlich nur die Erinnerung der beiden Protagonisten über, aktenkundige Notizen fehlen gänzlich.

Als nun aufgedeckt wurde, dass auf der Liste, die dem BKA übergeben wurde, auch ein BKA-Beamter stand, gegen den ermittelt wurde, der, anders als Sebastian Edathy, strafrechtlich relevantes Material erwarb und letztendlich, wenn auch widerstrebend, einen Strafbefehl akzeptierte und in den Vorruhestand ging, ist die nächste Ungereimtheit in der ganzen Affäre. Hier kann man sagen, dass Jörg Ziercke es bisher vorzüglich verstand, diese Thematik mit Rabulistik abzuhandeln.

...dazu wurde ich nicht gefragt

Jörg Ziercke meinte auf die Frage, weshalb er während seiner Aussagen vor dem Innenausschuss des Bundestages nicht auch den Fall des BKA-Beamten ansprach, er könne natürlich immer nur dazu etwas sagen, wozu er befragt würde. Dieser Satz wirkt auf den ersten Blick logisch, ist jedoch irreführend. Dass Jörg Ziercke dem noch hinzufügt, er habe alle (im Innenausschuss) offen und ehrlich informiert, soll noch einmal unterstreichen, dass natürlich von seiner Seite aus nichts verschwiegen wurde. Das "offen und ehrlich" wird hier letztendlich nur deshalb genutzt, um zu suggerieren, dass es keine Möglichkeit bzw. Veranlassung gab, über den Fall des BKA-Beamten zu informieren. Schließlich habe ja niemand danach gefragt, was logisch ist, da der Fall noch nicht bekannt war - und Jörg Ziercke bisher mitgeteilt hatte, es hätte "keinen Promibonus" gegeben. "Einen Promibonus gibt es nicht. Hier hat niemand gesucht, ist da jemand, der besonders bekannt ist, sondern hier ist jeder gleich behandelt worden", wird Jörg Ziercke zitiert und hier ist dann erneut wieder eine Möglichkeit für ihn gegeben, sich im Endeffekt auf Formalismen herauszureden.

"Besonders bekannt war ja unser BKA-Beamter nicht", wäre eine folgerichtige Strategie, sich ähnlich wie mit "Keiner hat mich gefragt" auf fehlende Präzision der Fragenden bzw. fehlendes Nachfragen herauszureden. Als sei ein "Herr Ziercke bitte" nicht eine gängige Formulierung, um damit auszudrücken, der nun Frage und Antwort stehende Mensch solle alles, was in irgendeiner Form in Bezug auf die angesprochene Thematik von Wichtigkeit sein könne, berichten. Dass hier eben nicht jeder gleich behandelt wurde, sondern zumindest der Fall des BKA-Beamten vorrangig behandelt wurde, ist offensichtlich, wird jedoch von Jörg Ziercke nicht kommentiert.

Die zielgerichtete Auswertung und Aufbereitung...

Die "zielgerichtete Auswertung und Aufbereitung der Daten", so hieß es seitens Jörg Ziercke, sei beim BKA erst ab Juli 2012 per se möglich gewesen. Auch hier zeigt sich wieder die Wortgewandtheit des BKA, wenn es im Nachhinein heißt, es hätte ja eine "Grobsichtung" der Kundenliste durch eine Beamten gegeben, der der Name des Kollegen aufgefallen sei. Eine solche "Grobsichtung" unterscheidet sich natürlich grundlegend von einer "zielgerichteten Auswertung und Aufbereitung", weshalb auch hier letztendlich Jörg Ziercke zu Recht sagen kann, er habe sich hier nicht widersprochen, wenn im Januar 2012 bereits eine Grobsichtung stattgefunden hatte.

Reine Personalangelegenheit

Das Bundesinnenministerium wie auch das BKA geben derzeit keine Auskunft darüber, ob das Bundesinnenministerium von dem Fall des BKA-Beamten unterrichtet worden sei. Es handele sich schließlich um eine Personalangelegenheit, heißt es, als sei die Reichweite des Falles noch nicht erkannt worden.

Das Schweigen des Jörg Ziercke

Obgleich zu fast jedem Bericht in den Medien nunmehr die entsprechenden Klarstellungen (keine Gegendarstellungen im betreffenden Medium) zu finden sind, ist das Schweigen bzw. Herumlavieren des Jörg Ziercke, der derzeit Rückendeckung von fast allen Seiten erhält, wenig verwunderlich.

Wenn es darum ging, Selbstkritik an sich oder dem BKA zu üben, zeigte sich der nur wegen der NSU-Untersuchungen noch im Amt befindliche Jörg Ziercke stets unwillig und schweigsam. Als herauskam, dass während der Ermittlungen zur sogenannten "Militanten Gruppe" eine als relevant bezeichnete Notiz, die die Gewaltbereitschaft der "mg" untermauern sollte, vom BKA selbst verfasst worden war, gab es keinerlei offiziellen Kommentar seitens des BKA-Chefs hierzu. Dass der betreffende Beamte, nachdem er die Täuschung zugab, mit seiner Handakte aus "Termingründen" aus dem Gerichtssaal eilen konnte, der Richter sich dem Argument, es handele sich ja eben um "Amtsakten einer Behörde", anschloss und insofern den BKA-Beamten (immerhin den Ermittlungsführer bei der Angelegenheit) ziehen ließ, warf natürlich Fragen auf.

Doch Jörg Ziercke schwieg hierzu ebenso wie zu der umstrittenen Homepageüberwachung, der von dem Bundesgerichtshof für rechtswidrig erklärten Überwachung dreier Aktivisten oder den verwirrenden Datenlöschungen im Fall der Zwickauer Zelle. Zwar gibt es dann und wann Pressemitteilungen oder zum Teil seltsam anmutende Kurzerklärungen, doch eine grundlegende Auseinandersetzung mit den eigenen Fehlern bzw. jenen des BKA fehlt bisher völlig. Stattdessen übte sich Jörg Ziercke darin, Kritiker als Berufskritiker zu titulieren, die er zu einem fairen Dialog aufrief, als sei dieser bisher nicht möglich gewesen (dies geschah immerhin bereits vor fünf Jahren).

Jörg Ziercke wirkt wie eine Art Bollwerk, die das BKA vor jeglichem Schaden, darunter auch dem selbstverursachten, schützen will, doch er sorgt damit für weiteren Reputationsverlust des BKA, das sich seit mehreren Jahren durch dubiose Machenschaften und Rabulistik selbst das mediale Wasser abgräbt. Wie auch die Polizisten, die meinen, dass Auslassungen, Lügen und Täuschungen oder Schlimmeres einfach verschwiegen werden müssen, um die Reputation "des großen Ganzen "zu schützen, so agiert auch das BKA und sein Chef in einer Art "blauer Mauer des Schweigens".

Dass auf diese Weise aber die Reputation weiter beschädigt und das Vertrauen in das BKA weiter schwinden werden, ist ebenso logisch, wie es den Protagonisten entweder egal ist oder aber vernachlässigenswert erscheint. Dass sie es nicht verstehen, wäre die dritte Möglichkeit und würde viel darüber aussagen, wie das Denken der betreffenden Personen funktioniert. In allen drei Fällen jedoch ist festzustellen, dass hier kontraproduktiv gehandelt wird – nur sollten die Konsequenzen sich unterscheiden.