Rechte Massenbewegung, Putsch oder Bewegung von unten

Was passiert in der Ukraine? Die parlamentarische und außerparlamentarische Linke ist sich darüber überhaupt nicht einig

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Der Umsturz in der Ukraine hat sich durch das Eingreifen des russischen Militärs in den letzten Tagen zur internationalen Krise entwickelt. Manche sprechen gar von der größten Krise seit Ende des Ost-West-Konflikts. Das Wort vom neuen Kalten Krieg macht wieder Runde. Eine mögliche militärische Verwicklung in Europa müsste eigentlich die Reste der Friedensbewegung alarmieren.

Doch erstaunlicherweise findet man auf der Ukraine-Seite der AG-Friedensforschung bisher keinerlei eigene Stellungnahme Dort beschränkt man sich darauf, Dokumente Russlands und der Nato zum aktuellen Geschehen in der Ukraine zu präsentieren. Die Schwierigkeit, hier schnell eine eigene Stellungnahme zu veröffentlichen, dürfte auch damit zu tun haben, dass in der parlamentarischen und außerparlamentarischen Linken keine Einigkeit darüber besteht, wie der Umsturz einzuschätzen ist, der schließlich zum Eingreifen Russlands geführt hat.

Eine entschlossene rechte Bewegung

So führte innerhalb der Linkspartei das Interview mit Ilya Budraitski, der sich als ukrainischer Sozialist bezeichnet, zu einer heftigen Kontroverse. Tatsächlich fällt in dem Interview ein grundlegender Widerspruch sofort ins Auge. Budraitski weist auf die Dimension der rechten Bewegung hin:

"Es gibt dort sehr viel politische Agitation und zwar fast nur von rechten und rechtsextremen^Gruppen. Das reicht von den marktliberalen Oppositionsparteien bis zum außerparlamentarischen, ultra-nationalistischen 'Rechten Sektor', einem Bündnis verschiedener ultra-rechter Gruppen, die militärische Strukturen aufbauen. Darunter sind kampferfahrene Ultra-Fanklubs des Fußballvereins Dynamo Kiew."

Wenn er dann noch bestärkt, dass diese Bewegung "unglaublich entschlossen" sei, müsste ein Sozialist eigentlich vor einer solchen Zusammenrottung warnen.

Doch Budraitski verlagert sich darauf zu betonen, wie wichtig es ist, dass sich auch Linke an den Protesten beteiligen, auch wenn sie dort bedroht und vielleicht verjagt werden. Denn schließlich würden die Ukrainer für eine bessere Gesellschaft kämpfen.

Wieso rechte bis extrem rechte Gruppen die Hegemonie in einer Bewegung haben sollen, die für eine bessere Gesellschaft kämpft, bleibt in dem Interview allerdings offen.

Kritisiert wurde die ex-trotzkistische Strömung Marx 21, die das Interview auf ihrer Homepage veröffentlichte. Marx 21 wehrte sich gegen den Vorwurf, ihr Interviewpartner verharmlose die rechten Bestrebungen, blieb in ihren Argumenten aber schwach.

Für die traditionalistische DKP war es die Chance, in ihrem Vokabular um Jahrzehnte zurückzufallen und ein Bündnis zwischen Parteirechten und Trotzkisten heraufzubeschwören. Ein Tagesspiegel-Redakteur wollte dann gleich einen Streit der Linkspartei um die Ukraine ausmachen.

Tatsächlich wies er auf den Widerspruch hin, wonach einige Linksparteiabgeordnete die Grünen kritisieren, weil sie zu ultrarechten Tendenzen der Maidan-Bewegung schweigen, während andere in der Linkspartei ein Interview abdrucken, in denen diese Tendenzen nicht geleugnet werden, aber einer Kooperation trotzdem nicht im Wege stehen sollen.

Auch mit ihrer jüngsten Erklärung unter dem Titel "Weder Brüssel noch Moskau" weicht Marx 21 der Frage aus, wie sie es mit der rechten Basisbewegung hält, die in der Ukraine nach dem Umbruch an Boden gewonnen hat und im Zuge des Konflikts mit Russland eher noch erstarken dürfte. Mit der Qualifizierung als "Massenbewegung von unten" wird die Frage nicht beantwortet. Denn es zeichnet gerade faschistische Bewegungen aus, dass sie sich auf eine Massenbewegung stützen können.

"Warum Juden den Umsturz mit Sorge betrachten"

In dem Leitartikel der Jüdischen Allgemeinen wird formuliert, was die Marx21-Strömung nicht sagen kann oder will:

"Fakt ist jedoch, dass antisemitische und nationalistische Gruppen in der Opposition eine wichtige Rolle spielten. Da ist zum einen die rechtsextreme Swoboda - die der Jüdische Weltkongress in eine Reihe mit der griechischen Partei 'Goldene Morgendämmerung' und der ungarischen Jobbik stellt - und zum anderen der sogenannte Rechte Sektor, eine Vereinigung rechtsradikaler und neofaschistischer Gruppen."

Es ist auch auffallend, dass in der Debatte über die Entwicklung in der Ukraine die Sorgen der jüdischen Menschen, die in diesem Land leben, so gut wie kaum eine Rolle spielen, wie der Autor der Jüdischen Wochenzeitung schreibt:

"In der Ukraine leben derzeit über 200.000 Juden. Viele sind in der Oppositionsbewegung engagiert - darunter der Journalist Vitaly Portnikov und der Künstler Aleksandr Roitburd -, viele halten sich zurück, und einige sind auch mit dem alten Regime verbunden. Sie alle eint aber derzeit die Sorge, ob ihr Leben, ob jüdisches Leben in der Ukraine künftig noch sicher ist. Wer diese Sorge ausspricht, fällt angeblich, wie es bei vielen Kommentatoren anklingt, der legitimen Demokratiebewegung der Ukrainer in den Rücken. Dem ist nicht so.

Vor diesem Hintergrund ist es vielmehr erschreckend, wie leicht in Anbetracht eines politischen Umsturzes der Antisemitismus in der öffentlichen Wahrnehmung zu einer belanglosen Randerscheinung werden kann."

Tatsächlich hat die Jüdische Konföderation in der Ukraine schon vor einigen Wochen in einen Offenen Brief dazu aufgerufen, die rechten Kräfte in der Oppositionsbewegung und namentlich die Swoboda-Bewegung auszuschließen. Die vielen Ukraine-Besucher der letzten Wochen haben den Aufruf ebenso ignoriert wie die meisten Medien.

Solidarität mit den Opfern der ukrainischen Rechten

Neben den Juden sind auch unterschiedliche Linke im Visier der rechten Bewegung in der Ukraine. Die Solidaritätsorganisation Rote Hilfe hat einen Solidaritätsaufruf für die Opfer nationalistischer und faschistischer Übergriffe in der Ukraine formuliert. Dort heißt es:

"War es bereits in den Monaten zuvor riskant und gefährlich für linke Organisationen und Aktivist*innen, sich politisch zu betätigen, so hat der Terror rechter Gruppierungen seit dem bürgerlich-reaktionären Putsch ungeahnte Ausmaße angenommen. Büros der Kommunistischen Partei der Ukraine (KPU) sowie weitere Projekte der linken Bewegung wurden gestürmt und verwüstet; es kursieren so genannte Todeslisten, die sich gegen antifaschistische Aktivist*innen richten. Protestaktionen gegen die sich nach dem Machtwechsel neu konstituierende Regierung sind aktuell lebensgefährlich, während diese laut über ein Verbot der KPU nachdenkt."

Allerdings hätte man da gerne genauere Angaben über die angegriffenen Projekte erfahren. Auch die kürzlich gegründete Neue Antikapitalistische Organisation hat in einer Stellungnahme ihre Solidarität mit den von Opfern des ukrainischen Nationalismus und Faschismus erklärt.

Dabei sieht sie allerdings in den russischen Militärs keine Nachfolger der Anti-Hitler-Koalition, die den neuen ukrainischen Rechten Grenzen setzt. Vielmehr wird die Einmischung russischer Militärs in der Ukraine ebenso verurteilt.

"Die Ukraine ist zu einem Austragungsort um eine Neuaufteilung der Welt geworden", heißt es dort. In Köln fand kürzlich auch eine Kundgebung statt, in der Deutschland vorgeworfen wird, die Rechten in der Ukraine zu unterstützen.

Putsch oder rechte Massenbewegung?

Auffällig ist, dass die Kritiker der aktuellen Entwicklung in der Ukraine häufig von einem Putsch sprechen, wenn sie den Machtwechsel erwähnen. Der soll damit delegitimiert werden. Doch dabei wird übersehen, dass der Druck einer rechten Massenbewegung wesentlich zu dem Umsturz beigetragen hat und nicht ein Coup von Militärs.

Wenn dann auch argumentiert wird, die neue Regierung sei schon deshalb unrechtmäßig im Amt, weil die in der Verfassung vorgeschriebene Zahl der Abgeordneten für die Absetzung des alten Präsidenten nicht erreicht wurde, wird eaußer Acht gelassenen, dass es politische Situationen gibt, in denen eben die Verfassungen keine Rolle mehr spielen. Dann handelt es sich um eine revolutionäre und nicht um eine evolutionäre Situation. Das Problem in der Ukraine ist denn auch, dass es eben eine genuin rechte Revolution war, die aber nicht das Ergebnis eines Putsches, sondern einer rechten Massenbewegung ist.