Kommentar: Warum ich mir noch nie ein Smartphone gekauft habe

Die Dekadenz jährlichen Handy-Neukaufs nervt genauso wie diese farbig anodisierten Kaffeekapseln, findet Clemens Gleich. Er verwendet die abgelegten Telefone der 24-Monats-Vertragler und ist damit mittlerweile bei seinem ersten Smartphone angelangt.

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Von
  • Clemens Gleich

Das geschenkte iPhone funktioniert, wenn man auch manchmal mit einem Gummiband nachhelfen muss.

(Bild: Clemens Gleich)

Jemand hat mir ein iPhone 4S geschenkt. Natürlich ist das Gerät nicht neuwertig. Es gehörte einem Winzerlehrling, der es im Weinberg mit Lehm versorgte, der in allen Ritzen hängt. Der Home-Knopf war anfangs sehr störrisch, geht aber nach kräftigem Schrubben mit der Zahnbürste wieder zu über 90 Prozent. Der Connector connected nur mit Gummiband fest genug für eine Datenverbindung. Ein unidentifiziertes Stück Natur wohnt tief im Kopfhörerstecker, den es damit unbrauchbar macht.

Alles Kleinigkeiten.

Im Prinzip hat mir dieser gute Mensch einen toll funktionierenden kleinen Computer zum Preis eines freundlichen Lächelns gegeben. Dieses Ereignis markiert für mich einen Wegpunkt der Maßgabe, keine Telefone neu zu kaufen, sondern mir eins aus den Bergen leicht veralteter Modetechnik schenken zu lassen: das erste Smartphone. Es geht.

Ein Kommentar von Clemens Gleich

Clemens Gleich saß vor langer Zeit als c't-Redakteur in einem Büro des Heise-Verlags, bevor ihn einschneidende Erlebnisse dazu brachten, fürderhin in den Sätteln von Motorrädern sein Geld zu verdienen. Doch einmal Nerd, immer Nerd: Als freier Autor schreibt er außer über Fahrzeuge am liebsten über Menschen, Gesellschaft - und jede Form von interessanter Technik von Skateboardachsen bis hin zu Raketenantrieben.

Wenn Kollegen meine Funktechnik sehen, rufen sie meistens laut aus: "Was? DU hast kein Smartphone?!" Darauf erkläre ich meinen Alltag als Kraftradfahrer, der schon so einige Telefone zerstört hat: Eine undichte Jackentasche hat mein erstes Telefon gerichtet. Fünf Stunden fließend Wasser hielt nicht einmal das Nokia aus. "Kauf dir ein Outdoor-Handy!", ist die darauf übliche Standardantwort.

Naja.

Mein zweites Telefon flog bei über 200 km/h aus der Tasche, weil sich der Reißverschluss aufgearbeitet hatte. Selbst wenn ein Outdoor-Gerät den Einschlag verkraftet: Das Suchgebiet ist zu groß für jede sinnvolle Aktion.

Und so weiter. Staub kriecht hinter Bildschirmglas und zwischen Kontakte. Stürze verformen den Hauptrahmen. Vibrationen zerbrechen Leiterbahnen. Mein Alltag auf dem Motorrad ist wenig telefonfreundlich, und mein konkretes Motorrad zerreibt mit seinen Einzylinderschwingungen alles zu Staub, was mit ihm in Berührung kommt. Aber das sind alles nur Ausreden. In Wirklichkeit könnte ich genauso ein neues Telefon kaufen. In Wirklichkeit bin ich nur zu faul, den wahren Grund mit jemandem zu diskutieren, der ihn sowieso nicht verstehen möchte.

Der wahre Grund ist: Überbordende Dekadenz geht mir fürchterlich auf die Nerven.

Wie jeder Mensch mag ich ein bisschen Luxus. Fernreisen, schön. Spaßausfahrten, super. Schick essen gehen, schmackofatz.

Doch es gibt Grenzen.

Das beste Beispiel einer solchen Grenze ist ein System namens "Nespresso", das eines Tages in meiner Küche stand. Die Anschafferin war ganz außer sich vor Lob, vor Freude. Kaffee in fünfzehn Sekunden, wie geil ist das denn?! Nespresso ist allerdings ein Kaffeezubereitungssystem von geradezu grotesker vermarkterischer Überzüchtung. Man legt oben eine Patrone aus feinstem, farbig anodisiertem Aluminium ein, die Kaffee enthält. Klack, Hebel umlegen, die Patrone damit aufstechen. Dann pumpt die Maschine heißes Wasser hindurch, Kaffee läuft heraus. Die Zubereitung geht wunderbar schnell, was es für mich als Koffeinabhängigen anfangs attraktiv machte. Nach kürzester Zeit nervt es jedoch nur noch: Für einen Kaffee in unterer Tankstellenqualität zahle ich pro Kapsel über 30 Cent, teilweise über 40 Cent. Das ist die Größenordnung von leckeren Restaurant-Espressos im ländlichen Italien. Dann schmeiße ich ein Stück Alu-Sondermüll weg, wo ich vorher die Kaffeereste kompostieren konnte. Ne. Sorry. Ist mir zu blöd. Was kommt als nächstes? Klopapier aus dem Gesichtsleder friesischer Robbenbabies?

Man braucht nicht nur jedes Jahr kein neues Handy, man braucht auch kein eigenes Auto: Carsharing funktioniert zumindest in Ballungsgebieten bestens.

(Bild: Clemens Gleich)

Genauso ist es mit dem Telefon.

Jeder soll alle zwei Jahre sein aktuelles Gerät wegschmeißen, weil sich die Mode geändert hat oder es fünf Pixel oder drei Megahertz oder einen Rechenkern mehr gibt. Die alten Geräte kommen in Schubladen.

Ne. Ist mir auch zu blöd.

Ich frage lieber nach den Schubladeninhalten. Was mich noch niemand gefragt hat: "Wie viele Mobiltelefone hast du denn gekauft, bevor du zum Schenken übergegangen bist?" Die Antwort lautet: null, keins. Schon das erste Mobiltelefon war geschenkt. Damals fragten Leute halt noch nicht "Wieso hast du kein Smartphone?", sondern "Wieso hast du kein Handy?". In beiden Fällen: "Das BRAUCHT man doch!"

Ne. Es gibt für Endnutzer keine Nachteile, eine neue Technik etwas später aufzugreifen. Im Gegenteil kann man sich viele von anderen abgeschaute Zeitverschwendungsfehler sparen. Ich habe zum Beispiel weiterhin parallel ein Handy zum Telefonieren, das auch mal eine Woche ohne Ladegerät auskommt. Das iPhone kommt bei Benutzung maximal einen Tag ohne aus, entsprechend benutze ich eher seine Jeejah-Funktionen abseits der Sprachdienste: Internet, Kamera, Textkommunikation, zusammen mit meiner alten klappbaren Zehnfinger-Bluetooth-Tastatur auch die Reiseschreibmaschine. Wenn der Strom im Apple-Akku zu Ende geht, bleibt das Handy für den Fall des Falles weiterhin erreichbar.

Meine Modi Operandi können nicht für alle die besten sein. Sonst gäbe es sowieso bald keine Jahrestakt-Neukäufer mehr, also auch keine geschenkten Telefone.

Es besteht wenig Anlass zur Annahme, dass ich viele Nachahmer finde. Darum geht es mir gar nicht.

Es geht um Zufriedenheit, diesen einzig allgemeingültigen Maßstab der Lebensqualität. Wenn bei allen Nespresso-Nutzern die Zufriedenheit gegenüber Trinkern weniger schnell zubereiteter, aber besserer Espressi gemessen würde, was stünde dann in den Daten? Ich setze mein Geld auf die normalen Kaffeetrinker.

Dekadenz macht auf Dauer nicht glücklich. Dekadenz nervt.

Ich glaube deshalb, es lohnt sich für jeden, ein Stück Dekadenz aus seinem Alltag zu werfen, für ein kleines Plus an Zufriedenheit. Brauche ich drei Autos? Muss mein Kaffee in Weltraumkapseln verpackt sein? Werden meine Katzenvideos wirklich schöner durch einen Rechenkern mehr? Dabei wird man feststellen: Mehr Zufriedenheit geht meistens einher mit viel weniger Kosten – ein Engelskreis. (jkj)