"Außer Kontrolle" – die Ausstellung zur NSA-Affäre

Wirtschaft und Staat hatten schon immer ein großes Interesse, Daten über ihre Bürgersubjekte zu sammeln. Die Geschichte der Überwachung ist immer auch die Geschichte, wie Überwachung außer Kontrolle gerät. Dies zeigt eine Ausstellung in Berlin.

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Von
  • Detlef Borchers

Das Berliner Museum für Kommunikation hat die Ausstellung Außer Kontrolle eröffnet, die sich mit der Überwachung des Menschen im öffentlichen und privaten Raum beschäftigt. Als die Arbeit am Ausstellungsthema begann, beschäftigte das außer Kontrolle geratene Streetview von Google die deutschen Gemüter. Heute gilt die Schau, die bereits in Frankfurt von 45.000 Besuchern gesehen wurde, als die Ausstellung zur NSA-Affäre.

"Außer Kontrolle" zeigt mit vielen interessanten Exponaten, wie eng der Zusammenhang von Überwachen und Strafen ist. Die Ausstellung beginnt mit dem mittelalterlichen Pranger, dem Spießrutenlauf oder dem Haberfeldtreiben: Wer sich von gesellschaftlichen Normen entfernt, wird von den mitüberwachenden Mitmenschen zur Ordnung gerufen. Kinder und Alte, zwei hilflose Bevölkerungsgruppen, werden besonders streng überwacht mit Systemen wie dem Leonie-Projekt von Siemens oder Projekten zum aktiven Altern.

Außer Kontrolle (4 Bilder)

In diesem Brief preist Konrad Zuse den Einsatz seiner Computer zur gestaffelten fortgesetzten Personen-Zutrittskontrolle in großen Betrieben an, die geheime Bereiche besitzen.

Zu dem Zeitpunkt, an dem mit dem Telefon das bereits im Mittelalter verbotene Mitlauschen an Türen technisch erschwert wird, setzt Technik ein. Die Ausstellung zeigt verschiedene mobile Abhörkoffer, wobei sich die Systeme vom ersten US-Produkt anno 1907 über DDR- und BRD-Technik kaum unterscheiden, bis hin zur aufgespleißten Kabelmuffe an Berliner Telefonanschlüssen: Das Ostberliner Ministerium für Staatssicherheit wollte alle Telefone der Hauptstadt überwachen können, schaffte jedoch nur die Ausleitung von zwölf Prozent aller Anschlüsse.

Von westdeutscher Seite sind die mächtigen Kassettendecks der Firma Reuter ausgestellt, mit denen Dutzende von Telefonanschlüssen abgehört wurden. Ehemalige Reuter-Kunden bestellen heute bei der Nachfolgefirma Digitask ihre Abhörsoftware wie den Bayerntrojaner 0zapftis. Screenshots des Internet-Überwachungssystems der umstrittenen deutschen Firma Trovicor zeigen das Problem der "Lawful Interception Software", das "Programmieren von Überwachungssoftware durch private Firmen", wie es im Ausstellungsführer heißt. Werbevideos der italienischen Firma Hacking Team komplettieren das Bild einer problematischen Gemengelage.

Die Überwachung von Smartphones und die Analyse der von diesen Geräten und dem Mobilfunk produzierten Metadaten wird in der Ausstellung anschaulich an den berühmten sechs Monaten im Leben des Malte Spitz gezeigt. Demgegenüber bleibt die Internet-Überwachung durch die NSA etwas zurück: Das Stakkato der Nachrichten mit immer neuen und größeren Dimensionen bedürfte einer Timeline, um das ganze Ausmaß der Überwachung begreifbar zu machen.

Die Überwachung der Smartphones über die SIM-Kartenkennung kann übrigens auf die Computer-Urgeschichte zurückblicken: In der Ausstellung kann ein dreiseitiger Brief studiert werden, in dem Konrad Zuse den Einsatz seiner Computer zur gestaffelten fortgesetzten Personen-Zutrittskontrolle in großen Betrieben anpreist, die geheime Bereiche besitzen. Dabei ist Zuse so fortschrittlich, dass nicht nur die einfachen Arbeiter, sondern auch alle Ingenieure und Leiter mit Befugnislochkärtchen ausgestattet werden. Diese Kärtchen könnten in Betriebstelefone gesteckt werden, auf dass der Computer als Zentralregistratur "automatisch mit dem Apparat verbindet, wo die Anwesenheit des Betreffenden gemeldet ist".

Außer Kontrolle beschäftigt sich auch mit der Überwachung des öffentlichen Raumes, mit Überwachung und Ausgrenzung durch Volkszählungen und Statistiken sowie mit den Fortschritten innerbetrieblicher Überwachung. Der Besucher kann am eigenen Leibe erfahren, wie er in der Ausstellung von Kameras überwacht wird – oder sich eine anonymisierende Papiertüte auf den Kopf setzen. Zur Ausstellung bietet der FIfF einen Kameraspaziergang durch das überwachte Berlin an, außerdem gibt ein einen verschiedene Vorträge über Reaktionen auf die Überwachung in Kunst, Literatur und Wissenschaft. Die Ausstellung ist bis zum 21. August 2014 geöffnet. (anw)