Karlsruhe begrenzt erneut den Zugriff auf TK-Vorratsdaten

Das Bundesverfassungsgericht hat seine Auflagen zum eingeschränkten Zugang von Strafverfolgern zu verdachtsunabhängig vorgehaltenen Verkehrsdaten verlängert sowie neue Hürden für Geheimdienste aufgestellt.

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Das Bundesverfassungsgericht hat seine Auflagen zum eingeschränkten Zugriff von Strafverfolgern auf verdachtsunabhängig vorgehaltene Verkehrsdaten um weitere sechs Monate verlängert. Fahnder erhalten somit weiter nur bei der Verfolgung schwerer Straftaten Zugang zu den Datenbergen. Zugleich hat Karlsruhe neue Hürden für Sicherheitsbehörden für den Zugriff auf Vorratsdaten aufgestellt. Diese erweiterten Zugangsbeschränkungen richten sich gegen Befugnisse zum Datenabruf zur präventiven Gefahrenabwehr für Strafverfolger und Geheimdienste. Die Verfassungsrichter folgten damit zum Teil einem Antrag der Bevollmächtigten der "Massenklage" gegen die Vorratsdatenspeicherung von über 34.000 Bürgern.

Präventive Kompetenzen zur Nutzung der Vorratsdaten waren zuvor in Bayern mit der Novelle des Polizeiaufgaben- sowie des Verfassungsschutzgesetzes in Kraft getreten. Auch das Thüringer Polizeigesetz enthält inzwischen eine Befugnis für die Ermittler, "vorsorglich" auf Verbindungs- und Standortdaten zuzugreifen. Das Bundeskriminalamt (BKA) soll künftig mit der umstrittenen Reform des BKA-Gesetzes, auf das sich die Koalition am Dienstag geeinigt hat, vergleichbare Rechte erhalten.

Karlsruhe stellte in seinem jetzt bekannt gegebenen Beschluss (1 BvR 256/08) vom 28. Oktober klar, dass der Abruf der Daten nur zur Abwehr einer dringenden Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder zur Abwehr einer gemeinen Gefahr zulässig ist. Zur Strafverfolgung dürfen die Informationen nur weitergeleitet oder verwendet werden, wenn es um schwere Delikte geht, bei denen auch das Abhören der Telekommunikation erlaubt wäre. An den Staatsschutz und andere Nachrichtendienste sind Verbindungs- und Standortdaten herauszugeben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für einen Verdacht bestehen, dass jemand eine schwere Straftat begangen hat. Eine richterliche Anordnung ist dafür aber nicht erforderlich.

Das Bundesverfassungsgericht begründet die weiteren Einschränkungen mit dem Hinweis, dass mit der Schaffung der neuen Abrufnormen bei den beiden Bundesländern nicht mehr nur die Strafverfolgungsbehörden, sondern auch die im Bereich der Gefahrenabwehr tätigen Polizeibehörden "weit reichende Erkenntnisse über das Kommunikationsverhalten und die sozialen Kontakte der Betroffenen erlangen" könnten. Dabei würden neben der eigentlichen Zielperson des Auskunftsersuchens möglicherweise auch Personen erfasst, die in keiner Beziehung zu den Gründen stehen, die einen Datenabruf rechtfertigen könnten, und auch sonst keinen Anlass für den damit verbundenen Grundrechtseingriff gegeben haben. Ins Gewicht falle dabei vor allem, dass die durch die Vorschrift ermöglichte Nutzung der Daten sehr weit reicht und nur durch die nicht spezifizierte Voraussetzung der "Erheblichkeit" eingeschränkt wird.

Durch den größer gewordenen Kreis abrufberechtigter Behörden und die Erweiterung des zulässigen Abrufszwecks erhöhe sich die Wahrscheinlichkeit für den Betroffenen, auf der Grundlage der durch einen Zugriff auf die Vorratsdaten erlangten Erkenntnisse weiteren polizeilichen Maßnahmen wie Telekommunikationsüberwachungen, Beschlagnahmen und Wohnungsdurchsuchungen ausgesetzt zu werden, monieren die Verfassungshüter weiter. Dadurch werde das Vertrauen in die allgemeine Unbefangenheit des elektronischen Informations- und Gedankenaustauschs sowie das Vertrauen in den durch Artikel 10 Grundgesetz gewährleisteten Schutz der Telekommunikation "in erheblichem Maße eingeschränkt".

Auch die auf Bundesebene erlaubte Datenübermittlung für Aufgaben des Verfassungsschutzes, des Bundesnachrichtendienstes und des Militärischen Abschirmdienstes geht Karlsruhe inzwischen zu weit. Der Anwendungsbereich der entsprechenden Vorschrift im Telekommunikationsgesetz (TKG) eröffne im Vergleich zu den Zugriffsmöglichkeiten im Rahmen der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr "ein grundlegend weiteres, nur schwer überschaubares und eingrenzbares Feld". Erweise sich im noch ausstehenden Hauptsacheverfahren die Übermittlung verdachtsunabhängig bevorrateter Verkehrsdaten als verfassungswidrig, wären die sensiblen personenbeziehbaren Daten in verfassungswidriger Weise einem zu weit gehenden Zugriff der Behörden schon vor jeglicher konkreter Gefahr oder Straftat ausgesetzt. Das Risiko, in den Fokus der Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu geraten, wäre hierbei erheblich. Deshalb dürfe der Zugang zu den sechs Monate von den Telekommunikationsanbietern aufzubewahrenden Daten nur unter engen Grenzen erlaubt werden.

Der Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, forderte die Bundesregierung in einer ersten Reaktion einmal mehr zur gesamten Rücknahme der Speicherpflicht auf. Weder die Kundendaten noch die gespeicherten Verbindungsdaten seien bei den Telekommunikationsunternehmen sicher, monierte er in Berlin. Vertreter des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung, der zu der Massenbeschwerde in Karlsruhe aufgerufen hatte, zeigten sich zuversichtlich, dass die "exzessive Totalspeicherung unserer Verbindungs-, Standort- und Internetdaten auch weiterhin schrittweise in sich zusammenfallen wird".

Zu den Auseinandersetzungen um die Terrorismus-Bekämpfung, die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (anw)